Besser Hören: Hörkontaktlinse für das Trommelfell

Ein neues Hörgeräte-Konzept überträgt Ton-Schwingungen direkt auf die Hörknöchelchen – konventionelle Technik verstärkt lediglich den Schall.

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(Bild: Vibrosonic)

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Vielleicht ist es der hohe Preis, den man erwartet, wenn man zum Hörgeräteakustiker geht. Oder es ist die Eitelkeit, wenn man an Omas Knochen hinterm Ohr denkt. Jedenfalls trägt tatsächlich nur eine Minderheit der Schwerhörigen ein Hörgerät.

In Deutschland nutzten im letzten Jahr 2,44 Millionen Menschen über 14 Jahren ein Hörgerät, aber sehr viel mehr sind schwerhörig. Und nach einer Umfrage der Europäischen Vereinigung der Hörgerätehersteller hatten im Jahr 2018 gerade einmal knapp 37 Prozent der Schwerhörigen akustische Unterstützung durch ein Hörgerät.

Auch wenn die Hörgeräteakustik in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht hat – das Prinzip Hörgerät ist immer gleich: Der Schall, der auf das Ohr trifft, wird von einem Mikrofon aufgenommen und durch einen Lautsprecher verstärkt. Durch immer ausgefeiltere Elektronik lässt sich die Art der Verstärkung an Situationen anpassen, so dass nicht jedes Geräusch gleich verstärkt wird, aber letztlich bleibt es ein Lautsprecher im Ohr.

Fraunhofer-Forscher haben nun ein neues Hörgeräte-Konzept entwickelt: Eine Hörkontaktlinse, die direkt auf dem Trommelfell liegt. Statt eines Lautsprechers sitzt ein Mikro-Aktuator mit wiederaufladbarem Akku direkt auf dem Trommelfell der schwerhörigen Person. Herzstück ist ein Piezoaktuator, ein sehr dünner Schallwandler, der die Schallwellen direkt in einen mechanischen Reiz umwandelt und statt des Schalls das Trommelfell zum Schwingen anregt. Der Hammer – das erste Gehörknöchelchen des Innenohres – nimmt die Schwingung des Trommelfells ab und leitet die Tonwahrnehmung ein. Im Gehörgang befindet sich ein weiteres Modul des Hörgerätes – und noch können die Forschenden nicht auf ein „Hinter-dem-Ohr-Modul“ verzichten.

Als Vibrosonic alpha will Vibrasonic die Hörkontaktlinse im Herbst 2021 auf den Markt bringen. Vibrasonic ist eine Ausgründung des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung IPA und der Universitäts-HNO-Klinik Tübingen. Derzeit befindet sie sich in klinischen Studien, die gezeigt haben, dass die Linse für Menschen mit leichten bis mittelgradigen Hörschäden geeignet ist, also für etwa 85 Prozent aller Schwerhörigen.

Durch die mechanische Verstärkung des Schalls kann die Hörlinse einen breiteren Frequenzbereich abdecken als herkömmliche Hörgeräte. Ein gesundes Ohr verarbeitet Töne zwischen 20 und 20000 Hertz. Dieses Frequenzspektrum schrumpft mit dem Alter und einsetzender Schwerhörigkeit. Zunächst verschwinden die hohen Töne und klassische Hörverstärker können im Bereich zwischen 200 und 8000 Hertz helfen. Die Fraunhofer-Forscher wollen Betroffenen die Töne zwischen 80 und 12000 Hertz zurückgeben.

Ein weiterer Nachteil der meisten herkömmlichen Hörgeräte ist, dass das Mikrofon nicht im Gehörgang, sondern hinter dem Ohr angebracht ist. Das erschwert einerseits das Richtungshören und macht es andererseits anfällig für Wind oder andere Störgeräusche, wie das Grundrauschen auf Partys. Inzwischen gibt es zwar in-Ohr-Lösungen, die jedoch sehr spezifische Anforderungen an das Ohr stellen. Und je kleiner sie sind und je tiefer sie im Gehörgang verschwinden, desto geringer ist ihre Verstärkerfähigkeit. Die Hörkontaktlinse soll es später in zwei Versionen geben: Mit Hinter-dem-Ohr Modul und in einer zweiten Version, die vollständig im Gehörgang verschwindet.

(jsc)