Warnsystem: Bundesregierung will offenbar Cell Broadcast einführen

Bundesinnenminister Horst Seehofer sagte gegenüber dem ARD-Hauptstadtstudio, er habe die Einführung des "Cell-Broadcast" in Auftrag gegeben.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 276 Kommentare lesen

(Bild: Shutterstock/Juan Aunion)

Lesezeit: 3 Min.
Von

Nach der Flutkatastrophe im Westen Deutschlands treibt das Bundesinnenministerium einem Medienbericht zufolge die Einführung eines Warnsystems über das Mobilfunknetz voran. Er habe die Einführung des sogenannten "Cell Broadcasting" am Mittwoch in Auftrag gegeben, sagte demnach Minister Horst Seehofer dem ARD-Hauptstadtstudio am Freitag.

Der CSU-Politiker betonte demnach erneut, er betrachte das System als Ergänzung zu den bestehenden Warnmitteln. "Die Warnung der Bevölkerung muss klappen, auf allen Kanälen. Wenn man nachts geweckt wird, muss man sofort wissen, was passiert ist und wie man sich verhalten soll." Die Textnachricht könne Sirenen, Apps und den Rundfunk ergänzen. "Wir brauchen sie", sagte Seehofer laut ARD-Hauptstadtstudio.

Nach der Unwetterkatastrophe hatte es Vorwürfe gegeben, die Menschen in den betroffenen Gebieten seien nicht schnell genug gewarnt worden. Beim Cell Broadcasting wird eine Nachricht an alle Handy-Nutzer verschickt, die sich zu dem Zeitpunkt in der betreffenden Funkzelle aufhalten. Anders als eine persönliche SMS wird bei Cell Broadcast wie ein Radiosignal gesendet – wer in Reichweite der Zelle ist und ein eingeschaltetes Handy hat, empfängt die Nachricht.

Das System ist im Prinzip in den gängigen Mobilfunkstandards angelegt und wird auch in einigen europäischen Ländern längst eingesetzt – zum Beispiel in den Niederlanden. Einfach einschalten lässt sich das jetzt aber nicht. Vor einem bundesweiten Einsatz müssen gemeinsame Schnittstellen und der rechtliche Rahmen definiert werden. Dann können Netzbetreiber das in ihrer Infrastruktur implementieren. Sollte die Bundesregierung bis zur Wahl eine gesetzliche Grundlage schaffen, halten Branchenvertreter die Einführung bis zum nächsten Sommer zumindest für realistisch.

In der EU müssen bis Sommer 2022 alle Mitgliedsstaaten ein Warnsystem eingerichtet haben, bei dem "die Anbieter von mobilen nummerngebundenen interpersonellen Kommunikationsdiensten den Endnutzern öffentliche Warnungen übermitteln". Man mag es der Technologieneutralität zuschreiben, dass die EU-Kommission hier nicht direkt "Cell Broadcasting" in die Direktive schreibt. Dass sie im folgenden Absatz aber ein Hintertürchen für vergleichbare Systeme per App offengelassen hat, dürfte auch auf Betreiben der Bundesregierung passiert sein.

Denn Deutschland pflegt lieber seine eigene Infrastruktur mit dem modularen Warnsystem des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) und Apps wie Katwarn oder NINA. Das System hat sich aber nicht nur bei dem bundesweiten Testalarm im vergangenen Jahr als unzuverlässig erwiesen, sondern auch während der Flutkatastrophe.

Mitte der Woche hatte Seehofer gesagt, das BBK habe zur Warnung per Cell Broadcasting bereits im Frühjahr eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben. Dessen Präsident Armin Schuster gehe davon aus, dass das noch vor der Bundestagswahl erwartete Ergebnis positiv sein werde. Warum man für ein System, das als Teil eines globalen Mobilfunkstandards definiert ist und in mehreren Ländern schon erfolgreich eingesetzt wird, überhaupt noch eine Machbarkeitsstudie braucht, wird wohl das Geheimnis der Bundesregierung bleiben.

(vbr)