"Chernobylite" angespielt: Auf den Spuren von "Stalker"

Das Rollenspiel-Survival-Abenteuer ”Chernobylite” folgt großen Vorbildern, entpuppt sich aber auch in der finalen Version noch als sperriger Rohdiamant.​

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(Bild: heise online)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Andreas Müller
Inhaltsverzeichnis

Zwei Jahre im Early Access, ein irrer Plot und große Vorbilder: ”Chernobylite” ist auf dem Papier ein Traum für Rollenspielfans, die ”Fallout” hoch und runter gespielt haben und sich nach ”Stalker 2” sehnen. In der Praxis hat dieser Rohdiamant überall Ecken und Kanten, über die Spieler hinwegsehen müssen, um ein ungewöhnliches Abenteuer im radioaktiv verseuchten Tschernobyl zu erleben.

Igor weiß nicht, wie er in diese radioaktive Einöde kam: grüne glitzernde Monster, die auf ihn einstürmen; geheimnisvolle feindliche Soldaten und der elende Kampf ums Überleben in einer verseuchten Umwelt, in der Nahrung und Waffen spärlich gesät sind, bestimmen seinen Alltag. Mit einem kleinen Team macht er sich auf die Suche nach dem Geheimnis dieser Welt, in der sich alles um ein geheimnisvolles Kristall namens Chernobylite dreht, das sogar Monster erschaffen kann.

Chernobylite angespielt (5 Bilder)

Eine tolle Atmosphäre, aber spielerisch noch Luft nach oben: ”Chernobylite” verlangt von den Fans viel Geduld. (Bild: heise online)

Entwickler The Farm 51 hat das Survival-Abenteuer mit allem vollgepackt, was in den letzten Jahren ”in” ist: Überlebenskampf, Shooterpassagen, Basenbau und surreale Traumsequenzen. Zusammen mit Wissenschaftler Igor erkunden Spieler und Spielerinnen in der Egoperspektive das ehemalige Tschernobyl, um einer großen Verschwörung auf die Spur zu kommen. Dabei müssen sie Rohstoffe sammeln, um ihre Basis und nicht zuletzt ihre Gefährten und Gefährtinnen in Schwung und bei Laune zu halten. Verweise an die Vorbilder sind überall zu finden: Die Einöde und Unmengen an Schrott und Rohstoffen erinnern an ”Fallout”, die Waffenbastelei an ”Metro” und das Szenario an den Kult-Shooter ”Stalker”.

In den Missionen muss Igor meist Personen suchen oder den Feind sabotieren. Dazwischen bleibt aber noch Platz, um Hinweise zu finden, die ihm bei der Suche nach seiner verschollenen Freundin weiterhelfen. Doof nur, das diese kleine Illusion von Open-World oft von unsichtbaren Wänden zunichtegemacht wird.

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Igors Team agiert auf den Missionen vollkommen unabhängig. Der Erfolg hängt von den Fähigkeiten und dem gesundheitlichen Zustand ab. Sind einzelne Teammitglieder nämlich am Verhungern oder ist ihre Moral dahin, kann es durchaus passieren, dass sie nicht lebend zurückkommen. Auch Igor muss aufpassen: Jeder Kampf setzt ihm psychisch zu und das Strahlungslevel muss per Medikament kontrolliert werden.

Es braucht einige Stunden, um ins Spiel zu kommen. Die Benutzerführung ist unübersichtlich, Gegner lassen sich in dem Gestrüpp nur schwer erkennen und überhaupt überfällt das Spiel uns bereits nach kurzer Zeit mit taktischen oder moralischen Entscheidungen: Soll ich meinen treuen Freund zur Nahrungssuche schicken, obwohl die Erfolgsaussichten gering sind? Stehle ich wichtige Daten, obwohl ich mich darauf einstellen muss, dass die Feinde dann aggressiver werden?

Zerbröseln wir die Story, wird es nicht unbedingt leichter: Irgendwie ist unser Igor zwischen den Dimensionen gefangen, weil er mit Quantenphysik hantiert hat. Der KGB hat die Freundin entführt und jetzt sucht Igor in den Ruinen nach Hinweisen, mit denen er dann in die virtuelle Realität eintaucht. Stirbt er bei einem Auftrag, ist nicht alles verloren. Stattdessen verliert er ein paar Gegenstände, kann aber in einer Art Zwischenreich bestimmte Entscheidungen wieder rückgängig machen.

Sind diese Hürden überwunden, erwartet Spieler und Spielerinnen eine fantastische Atmosphäre, die eher auf ruhige Momente und dosierten Horror setzt als auf das ganz große Spektakel. Wenn Igor vorsichtig durch die Wälder streift, in stillgelegten Ruinen und Bunkern nach Rohstoffen sucht und dabei sein Bestes tut, sein Team zusammenzuhalten, entwickelt ”Chernobylite” einen eigenwilligen Charme, der seinen Vorbildern in Nichts nachsteht.

The Farm 51 hat mit ”Chernobylite” einen sperrigen Rohdiamanten geschaffen, der mit einem spannenden Szenario und vielen Ideen glänzt. Die gruselige Atmosphäre, das ruhige Spieltempo und die zahlreichen Möglichkeiten heben das Spiel von der Konkurrenz ab. Trotzdem läuft vieles nicht rund: Die Kämpfe sind viel zu leicht und die Benutzerführung ist unübersichtlich. The Farm 51 muss noch einige Zeit am Spiel werkeln, damit auch weniger geduldige Spieler schnell in den Genuss dieses eigenwilligen Spielkonzepts kommen.

”Chernobylite” ist als Download für Windows erschienen. Es kostet ca. 30 €. USK nicht geprüft.

(dahe)