Die Natur als Verbündeter: Forscher erproben Küstenschutz von Morgen

Der Meeresspiegel steigt, die Küsten müssen besser geschützt werden. Das geht auch ökologisch, wie Forscher des Projekts "Gute Küste" zeigen.

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(Bild: Lippe / Stromann / NLWKN)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Lennart Stock
  • dpa

Massive Bauten schützen die rund 750 Kilometer lange Küstenlinie Niedersachsens: Unter anderem mit meterhohen Deichen und Buhnen trotzen die Küstenbewohner seit Jahrhunderten Wellen und Sturmfluten. Was sich für den Küstenschutz als effizient bewährt hat, bietet für die Natur selbst allerdings kaum einen Nutzen. Im Gegenteil: Manche Sperrwerke wirken gar wie starre Fremdkörper in der norddeutschen Küstenlandschaft.

Wissenschaftler des Verbundforschungsprojektes "Gute Küste Niedersachsen" wagen nun ein Umdenken bei der jahrelang erprobten Landverteidigung: Sie wollen künftig beide Seiten, den Küstenschutz und die Ökologie, zusammenbringen.

Die Forscher suchen nach natürlichen Küstenschutz-Elementen, die die Natur von sich aus bereithält – sie nennen das ökosystembasierten Küstenschutz. "Welche Leistungen bringen etwa Salzwiesen vor den Deichen für die Dämpfung von Wellen und zwar quantifizierbar? Wir wissen schon, dass sie nützlich sind, aber nicht genau wie viel und zu welchem Grad", sagt Torsten Schlurmann, Leiter des Ludwig-Franzius-Instituts für Wasserbau, Ästuar- und Küsteningenieurwesen an der Universität Hannover. In der Vergangenheit sei der Küstenschutz in die Natur hinein gebaut worden. Künftig gehe es darum, Küstenschutz mit der Natur zu bauen.

Für Schlurmann begann das Umdenken 2004 nach dem Tsunami im Indischen Ozean. Auf Sri Lanka sah er, wie ganze Küstenstreifen überflutet waren – bis auf einen kleinen Streifen, wo ein natürlich vorhandenes, vorgelagertes Korallenriff den Tsunami für die Küste abdämpfte. "Das war für mich persönlich ein Augenöffner: Die intakte Natur kann im Küstenschutz etwas leisten", ist der Professor überzeugt.

Für das Verbundprojekt "Gute Küste", das über fünf Jahre von der Volkswagenstiftung mit fünf Millionen Euro gefördert wird, haben sich gleich mehrere Institute der drei niedersächsischen Universitäten Oldenburg, Hannover und Braunschweig zusammengetan. "Die Leitfrage, die wir uns zusammen gestellt haben ist: Was ist eine gute Küste", berichtet Schlurmann. Was mache die Küste lebenswert, ökologisch wertvoll, gleichzeitig aber auch sicher und wirtschaftlich?

Den Anstieg des Meeresspiegels sehen die Wissenschaftler als zentrale Herausforderung – und als Gefahr für das Wattenmeer, denn Deiche begrenzen es im Süden. "Die einzige Chance, die das Wattenmeer hat, ist, es muss über Sedimente aufwachsen – und zwar schneller als der Meeresspiegel steigt", erklärt Oliver Zielinski von der Uni Oldenburg, der ebenfalls in dem Verbundprojekt arbeitet. Bei einem Teil von "Gute Küste" werde daher überprüft, wie das Watt mithilfe von Salzwiesen, die Sedimente ansammeln, mitwachsen könnte.

Ihre Forschung wollen die Wissenschaftler an den tatsächlichen Bedürfnissen ausrichten. "Die unterschiedlichen Sichtweisen, etwa von einem Fischer, von einem Wattführer oder auch von Urlaubern, die man bekommt, das ist wertvolles Wissen, was wir miteinbeziehen können", sagt Zielinski. Die Qualität der Erkenntnisse gewinne bei diesem "Reallabor-Ansatz". Als "Reallabore" wurden drei Gebiete um Spiekeroog, vor Neßmersiel und in Butjadingen ausgewählt.

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In einem Teil-Projekt beschäftigen sich die Forscher mit der Entwicklung neuer Grassaaten zur Verbesserung der Deichfestigkeit. Was sie dabei mitbedenken wollen: Die heutigen Saatmischungen, die für die Pflege der Deiche optimiert sind, bieten kaum mehr als eine Handvoll unterschiedlicher Gräser. "Eine Win-Win-Situation wäre, mit den Saatmischungen die Artenvielfalt auf Deichen zu unterstützen, um so die Ökosystemleistung zu erhöhen, und gleichzeitig möglichst tiefe und widerstandsfähige Wurzeln zu haben", sagt Schlurmann.

Die Forscher wollen die neuen Grassaaten probeweise auf Sommerdeichen anbauen und regelmäßig Dichte und Tiefe der Wurzeln überprüfen. Auch dazu wurden die Einwände der Küstenbewohner gehört: "Schmeckt das überhaupt den Schafen, habt ihr das geprüft", sei etwa die Frage der Deichverbände gewesen, berichtet Schlurmann.

Wie es funktionieren könnte, zeigen die Nachbarn in den Niederlanden. Diese seien beim ökosystembasierten Küstenschutz um Jahre voraus, sagt Schlurmann. Die Deiche abreißen, das wollen sie nicht, betonen die Forscher von "Gute Küste" – aber ohne stärker auf die Natur zu setzen, werde es künftig auch nicht mehr gehen, sind sie sich sicher.

(olb)