Die Welt ist keine Scheibe mehr: Plattenläden auf dem Rückzug

In ganz Deutschland machen Musikläden dicht. Wurden vor wenigen Jahren noch Schallplatten durch CDs zurückgedrängt, verschwinden nun auch die Auslagen mit den silbernen Compact Discs.

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Von
  • dpa

Das Runde muss aus dem Eckigen: Vorsichtig zieht der junge Mann die schwarzglänzende Vinyl-Platte aus ihrer quadratischen Hülle. Andächtig betrachtet er die leicht vergilbte Pappe, legt ehrfürchtig die Scheibe auf den Plattenspieler eines Ladens in Münster. Das Cover hat einen kleinen Riss, aber das macht nichts. Glück hat für einen Platten-Fan 30 Zentimeter Durchmesser. Doch dieses besondere Gefühl ist an immer weniger Orten zu finden.

In ganz Deutschland machen Musikläden dicht. Wurden vor wenigen Jahren noch Schallplatten durch CDs zurückgedrängt, verschwinden nun auch die Auslagen mit den silbernen Compact Discs. Downloads aus dem Internet und große Elektromärkte machen Fachgeschäften den Garaus.

Diese Zahlen verdeutlichen den Trend: Die Musik-Sparte trug im vorigen Jahr nur noch 3,6 Prozent zum Gesamtumsatz des deutschen Einzelhandels bei. Damit hat sich der Anteil von Plattenläden und Co. innerhalb von sechs Jahren mehr als halbiert. "Dafür gibt es Gründe: Einer ist das Unverständnis der Verbraucher, für Musik zu bezahlen", sagt Daniel Knöll vom Bundesverband der Musikindustrie in Berlin. "Das Kaufverhalten der Konsumenten hat sich verändert." Günstiger als im Laden an der Ecke komme man in Elektrofachmärkten oder im Netz über Downloadhändler und Musikforen an die Titel.

"Wenn man lange genug sucht, findet man das meiste auch im Internet", bestätigt Christian Weinrich vom Plattenladen Green Hell in Münster. Seit mehr als fünfzehn Jahren setzt man dort zusätzlich auf den Verkauf von Textilien. Diverse Marken aus dem Punkrockbereich sollen das sichern, was mit Schallplatte und CD allein nicht mehr möglich ist: das Überleben des kleinen Ladens. "Der CD-Verkauf ist heute nicht mehr so en vogue wie in den Neunzigern, daher müssen wir die Kunden anders in den Laden kriegen", sagt Weinrich. "Die Leute, die mit physischen Tonträgern aufgewachsen sind, kommen langsam in die Jahre und die Jugendlichen sind längst mit dem Download groß geworden." Um der Online-Generation Rechnung zu tragen, könnten daher Kunden bei Green Hell ihre Musik auch im Netz per Mailorder kaufen.

"Unser Laden ist die Selbsthilfegruppe für Vinyl-Junkies", sagt Frank Fritsching vom Plattenladen "Elpi" in Münster. "Stammkunden kennen sich untereinander und können sich Tipps geben." Nach mehr als 25 Jahren müssen sich Vinyl- und CD-Freunde allerdings nach einer anderen Fundgrube umsehen: "Elpi" macht dicht. "Von den paar Liebhabern kann man den Laden nicht halten. Es müssten mehr als doppelt so viele Kunden in der Woche kommen", sagt Fritsching. Diese Zeiten seien aber schon seit zwei Jahren vorbei.

"Es sind besonders Disc Jockeys, die bei uns einkaufen. Viele kommen auch zum Stöbern", beschreibt Fritsching im Rückblick seine Kunden. "Raritäten findet man mit Sicherheit eher hier als im Elektrofachmarkt, weil hier die Liebhaber arbeiten, die sich auch auf Börsen umtun." Die Beratung und der Austausch mit Gleichgesinnten seien das, was Plattenläden auch heute noch auszeichne.

"Wenn die verschwinden, ist das natürlich traurig", sagt Knöll . "Ich habe früher einen Verkäufer gehabt, der meinen Musikgeschmack genau kannte und mir noch andere Sachen empfohlen hat." Neben dem gesuchten Album stoße man im Plattenladen häufig auf viele weitere Titel. Dafür müsse man aber Zeit investieren; Zeit, die sich heute nur noch die Wenigsten nehmen.

Und das, obwohl sich die Musiknutzung innerhalb von zehn Jahren mehr als verdreifacht hat. Hat man in den Neunzigern täglich etwa 14 Minuten Musik gehört, war es 2005 bereits eine Dreiviertelstunde. "Es wird mehr Musik gehört, aber weniger gekauft. Das liegt daran, dass die Musik sehr oft illegal aus dem Internet bezogen wird", betont Knöll. Er ist sich aber sicher: "Musik wird es immer geben und den Vertrieb von Musik wird es auch immer geben." In welcher Form, stehe aber in den Sternen: "Das entscheidet letztlich der Verbraucher." (Antonia Lange, dpa) / (anw)