Was War. Was wird. Vom Versuch, dem Wahlkampf zu entfliehen

Die Welt fest im Griff des Anthropozän möchte Hal Faber am liebsten auf einem Mammut dem Wahlkampf entfliehen, denn Fortschritt geht jetzt rückwärts!

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(Bild: Shutterstock/Dotted Yeti)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

*** Hach, endlich mal kein Wahlkampfthema. Schauen wir lieber auf die neue AUKUS-Allianz, die jetzt entstanden ist. Hinter dem Akronym verbirgt sich ein Sicherheitsbündnis, das die nächsten Jahrzehnte prägen wird. Frankreich ist so verärgert, dass es seine Botschafter aus den USA und Australien abruft. Prompt gehen die Vorwürfe aus Frankreich Richtung Berlin, wo Angela Merkels bekannte Art des Nichtstuns als Rückgratlosigkeit kritisiert wird: "l’UE a, elle, singulièrement manqué de cohérence et de colonne vertébrale dans sa gestion de l’ascension chinoise, notamment sous l’influence de Berlin. Elle le paie chèrement aujourd’hui. Ob "uns" das heute teuer zu stehen kommt, hängt davon ab, wer mit "uns" gemeint ist. Ist es nur Frankreich oder gleich ganz Europa, dass dem Aufstieg Chinas nicht genug entgegengesetzt hat?

Wer andern eine Grube gräbt, hat ein Grubengrabgerät. So geht es natürlich auch.

*** AUKUS ist eine Art Unterwasser-Five Eyes, nur ohne Kanada und Neuseeland, das wegen seines Nukleargesetzes ohnehin Atom-U-Booten die Fahrt in seinen Gewässern verbietet. Hier könnte man fröhlich mit den Kanadiern Taking Care of Business trällern: Denn am Donnerstag ist ein Prüfbericht der Anwaltskanzlei WilmerHale (PDF-Datei) veröffentlicht worden, das China im "Doing Business"-Report der Weltbank mit einigen Tricks im Länder-Ranking hochgejubelt wurde. Das veranlasste die Weltbank zu einem Statement, dass man die Publikation von "Doing Business" einstellen wird. Dabei nennen die Anwälte klipp und klar in ihrem Bericht, dass der Erfinder des Rankings, Simeon Djankow schon mal Anweisungen gab, wie das Ranking auszusehen hat. Jordanien steht im Ranking vor Saudi-Arabien? Geht ja gar nicht. China belegt Rang 78 und droht weiter abzustürzen. Macht das weg. So geht Ökonomie, Ökonomen gehen so. Unterdessen wird über den chinesischen Evergrand-Moment spekuliert, in Analogie zum Lehman-Moment. Dann doch lieber den gemütlichen deutschen Wahlkampf gucken?

*** Wenn der Wahlkampf etwas Gutes hat, dann sind es die regionalen Sitten, die in ihm hin und wieder eine Rolle spielen. So kann man lernen, dass Franken mit dem Laserschwert eine Zukunfts-Stoffbahn durchtrennen, ehe sie sich zum Rostbratwürstchenaufsauerkraut-Essen mit dem Kanzlerkandidaten Laschet zusammensetzen. Der Spruch zum Essen: "Möge die Macht mit uns sein." Als Niedersachse habe ich von der "rheinischen Frohnatur" Laschet lernen können, was eine Nubbelverbrennung ist. Eine bayerische Zeitung schrieb, dass in Punkto Laschet im "Zwerg- und Inselstaat Twitter täglich zur Nubbelverbrennung geblasen wird". Warum Journalisten so verächtlich über Twitter schreiben und eine Staatsfunktion herbeifantasieren, verstehe ich nicht. Liegt es daran, dass es auf Twitter ein Digitalministerium gibt? Auf Twitter habe ich übrigens noch was gelernt: der Wahlkreis, in dem Hans-Georg Maaßen antritt, ist demnach größer als das Saarland. In diesem Raum tritt also ein CDU-Kandidat mit den Parolen der Querdenker an. Auch die AfD hält bekanntlich nichts von der Corona-Diktatur.

*** Apropos Digitalministerium: die Debatte um die Digitalisierung, die in diesem Wahlkampf geführt wird, dreht sich viel zu oft um schnelles Internet oder die Versprechungen des Online-Zugangsgesetzes. Immerhin wird diese ungenaue Fokussierung auch kritisiert, in einem Artikel über diese Chefsache, der Online als agile Demokratie hinter einer Amortisationswand steht. Da werden die zehn Sachen gelistet, um die es in Wirklichkeit bei der Digitalisierung geht: "Der Überwachungskapitalismus. Die Erosion des politischen Diskurses. Die Manipulation der Nutzer im Dienste der Werbekunden. Die Manipulation der Wähler im Interesse antidemokratischer Kräfte. Das Ende der Privatsphäre. Die Verletzung von Menschen- und Bürgerrechten durch die Automatisierung von Entscheidungsprozessen mittels künstlicher Intelligenz in Behörden. In Versicherungen. In Betrieben. Die Zementierung von Machtstrukturen und Vorurteilen durch unausgewogene KI-Datensätze. Die Radikalisierung des Finanzsystems durch Blockchaintechnologien wie Bitcoin. Die Verwundbarkeit des gesamten öffentlichen, wirtschaftlichen und privaten Lebens durch Cyberkriege. Huch, das waren schon elf Gründe."

*** Die Verletzung von Menschen- und Bürgerrechten in Betrieben hat eine Dimension erreicht, die bedrohlich ist. In dieser Woche haben die österreichischen Cracked Labs eine Studie über die Ausweitung der betrieblichen Datenerfassung am Arbeitsplatz veröffentlicht, die es in sich hat. Projektleiter Wolfie Christl schreibt in der Kurzfassung: "Welche Funktionen und technische Möglichkeiten bietet Software, die Betriebe heute einsetzen können, und wie werden dabei Daten über Beschäftigte verarbeitet? Bei einigen Fallbeispielen ist ein Einsatz in Österreich und Deutschland rechtlich nur schwer vorstellbar." Was dann folgt, sind Horrorszenarien von großen Unternehmen bis hin zu den Smartphone-gesteuerten Liefersklav:innen bei Gorillas & Co. Die Spionage hat längst eine Dimension erreicht, die klassische Überwachungssoftware wie Orvell alt aussehen lässt. Natürlich geschieht alles im Rahmen ehrbarer Aktivitäten, um Bedrohungen durch Insider-Attacken auszuschließen, wie Securonix das formuliert. Auch das Business Execution Management System von Celonis fertigt Screenshots an, um zu analysieren, was Mitarbeiter einer Firma so treiben oder ob sie gar auf Jobsuche sind. Das ist bekanntlich brandgefährlich, weil Wissen abfließen kann. So heißt es in der Studie: "Unter dem Schlagwort „Task Mining“ bietet Celonis darüber hinaus an, mit Hilfe einer auf den Rechnern der Beschäftigten installierten Spionagesoftware Bildschirminhalte, Tastatureingaben, Mausklicks, Scrollvorgänge und sogar den Inhalt der Zwischenablage aufzuzeichnen. In Folge werden versandte E-Mails, Aufrufe von Websites oder Interaktionen mit Anwendungen wie Excel den passenden Datensätzen über Aktivitäten aus SAP und anderen Systemen zugeordnet." Über den 152 Seiten der kompletten Studie (PDF-Datei) von Cracked Labs könnte der Spruch stehen: "Lasst alle Hoffnung fahren", aber der steht nun einmal nicht über einer Office-Tür, sondern über dem Tor zur Hölle. Gut, dass wir in dieser Woche noch eine IEEE Norm bekommen haben, wie ethische Werte in IT-Systemen zu berücksichtigen sind.

Noch ist der Wahlkampf nicht zu Ende. So gesehen ist es besonders hübsch, wenn die seit einiger Zeit herumgeisternde Geschichte von einer Art Wiedererschaffung des Wollmammuts in Gestalt eines Lindner-Mammuts wieder einmal die Runde macht. Die Viecher sollen in der Arktis ausgesiedelt werden und den Boden so festtrampeln, dass das Methan im Boden bleibt und das Klima gerettet wird. Wie war noch mal Christian Lindners Motto? Für mehr Freude am Erfinden statt verbieten gehe ich über Leichen oder in ungeahnte Koalitionen? Kann der Mann mit dem Wollmammut als FDP-Leittier gar Finanzminister werden? Oder gelingt es den anderen, den GRRdischen Knoten zu zerschlagen. So bleibt nur noch die Frage übrig, ob man nicht eine andere DNA und keinen Elefanten als Ausgangsbasis nehmen kann. Kleiner Tipp: Heute vor 30 Jahren gab es im letzten Jahrhundert einen Jahrhundertfund. Seitdem heißt es, zumindest in Österreich "Wir sind Ötzi". [i]"Ötzi schauen ist Mensch schauen. Geheimnisvoll, ein wenig erschreckend und sehr faszinierend zugleich. Als mysterium tremendum und mysterium fascinans hat die Religionswissenschaft einmal das Wesen des Heiligen beschrieben. Durch das Guckloch im Südtiroler Archäologiemuseum geht der Blick in den Tabernakel des Anthropozäns."[i]

Der Fortschritt geht rückwärts und das Mammut soll den Griff des Anthropozän lösen. Oder besser die Krawatte vom Lindner?

(bme)