Bundeswehr: Mehr Cyber, mehr Angriff, mehr auf eigenem Boden?

Während des wehrtechnischen Forums "Wirkung und Schutz #neu" plädieren Teilnehmende für eine andere Aufstellung und Ausstattung der Bundeswehr.

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Reaper Drohne

Bewaffnete Drohnen gehören zu der besonders umstrittenen Ausstattung, wenn es um die Bundeswehr geht.

(Bild: US Air Force)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Hans-Arthur Marsiske
Inhaltsverzeichnis

Was haben wir aus 20 Jahren Afghanistan gelernt? Diese Frage wird derzeit häufig gestellt. Die Antworten fallen unterschiedlich aus, je nach Sichtweise. Rüstungsfirmen etwa legen das Augenmerk insbesondere auf Ausrüstungsmängel, die sie bei den beteiligten Streitkräften ausgemacht haben.

So hob Marc Roth von der Firma Heckler&Koch jetzt in Bonn beim Forum Wirkung und Schutz #neu der Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik (DWT) hervor, dass das NATO-Kaliber 5,56 mm sich als problematisch gezeigt hätte. Die "Inkapazitätswirkung" – also die Fähigkeit, den Gegner kampfunfähig zu schießen – sei bei Schüssen aus langen Rohren wie den Gewehren G36 oder M16 jenseits von 100 bis 150 Metern unbefriedigend gewesen, bei Kurzwaffen sogar bereits jenseits von 50 Metern. Der 7,62x39-Munition des Gegners habe sich diese Patrone energetisch als um 30 bis 50 Prozent unterlegen erwiesen. Roth zitierte Stimmen von Soldaten, wonach gegnerische Kämpfer auch nach fünf Körpertreffern noch das Feuer hätten erwidern können.

Roths Lehre aus dem langjährigen Krieg in Afghanistan ist daher die Empfehlung, ebenfalls die 7,62x39-Munition zu verwenden, etwa mit dem Sturmgewehr HK132 seiner Firma. Niemand müsse weltanschauliche Bedenken haben, auf Patronen zurückzugreifen, die standardmäßig für die als "Kalaschnikow" bekannte Waffe AK47 benutzt werden. Denn tatsächlich sei dies eine deutsche Erfindung, in den Jahren 1939 bis 1942 von der Firma Genschow in Karlsruhe und Berlin für das damalige Sturmgewehr M35 entwickelt. Lediglich aus logistischen, nicht aus technischen, Gründen sei sie damals von der Wehrmacht nicht eingeführt worden und dann wahrscheinlich durch Spionage in die Sowjetunion gelangt.

Die Verwendung dieser Munition hätte die zusätzlichen Vorteile, dass Spezialkräfte an ihren Einsatzorten keine verräterischen Patronenhülsen mehr zurücklassen müssten und zudem auf die Munitionsvorräte des Gegners zurückgreifen könnten. "Es wäre doch schön, wenn wir nicht mehr nur mit dem Messer zur Schießerei gehen müssten", so Roth.

Auch wer mit der Militärsprache wenig vertraut ist, hätte spätestens nach diesem Vortrag begriffen, was mit der "Wirkung" im harmlos klingenden Titel der Veranstaltung gemeint ist. Es geht um Angriff und Verteidigung und letztlich um die Frage, ob deutsche Soldaten künftig häufiger scharf schießen sollen oder müssen – zumal nicht nur Roth davon ausgeht, dass zukünftige militärische Einsätze vermutlich vermehrt auf heimischem Boden ausgefochten werden dürften. Diese Erwartung war auch einer der Gründe, das Forum zu veranstalten. "Solange ausschließlich der Auslandseinsatz strukturbestimmend war, genoss der Schutz des Soldaten höchste Priorität", schreibt Bernd Kögel, Geschäftsführer der Studiengesellschaft der DWT, im Tagungsprogramm und fragt: "Und heute? Schlägt die Waage im Szenario von Landes- und Bündnisverteidigung wieder stärker zugunsten von Wirkung aus?"

Die Bedeutung von Wirkung mag sich im Lauf der Zeit allerdings geändert haben. "Früher bot die Burgmauer den Schutz, die Kanone zeigte Wirkung", sagte Kögel bei der Begrüßung der Teilnehmer. Heute würden Konflikte auch im Cyberraum ausgetragen, was bedeute, dass sich die Burgmauer durchdringen ließe, ohne sie zu zerstören. Andererseits verweise der Name "Trojaner" für Spionageprogramme auf antike Mythen. Vielleicht, so Kögel, seien die heutigen Cyberkonflikte doch nicht so neu?

Auf jeden Fall seien die potenziellen Gegner mittlerweile militärisch ebenbürtig, sagte Wolfgang Gäbelein, Chef des Planungsamtes der Bundeswehr. Zudem würden Konflikte häufig unterhalb der Schwelle eines bewaffneten Konfliktes ausgetragen und zielten nicht unbedingt auf die Bundeswehr, sondern auf die Gesellschaft als Ganzes und ihren Zusammenhalt. "Wir müssen uns davon lösen, alles bestmöglich können zu wollen", forderte Gäbelein. Es sei notwendig, Verluste zu akzeptieren und trotzdem handlungsfähig bleiben zu können. Gegenüber hochkomplexen Waffensystemen, deren Verlust jedes Mal schwer wiege, zeigte er sich daher skeptisch. Statt eines neuen schweren Kampfhubschraubers sei es vielleicht sinnvoller, einen kleineren einzusetzen, von dem aus unbemannte Schwärme gesteuert werden können. Das gesellschaftliche Denken entwickle sich derzeit jedoch in eine andere Richtung, indem zumeist die optimale, beste Lösung angestrebt werde.

Dies deckt sich mit den Schlussfolgerungen, die Franz-Stefan Gady (Institute for International Strategic Studies) aus dem 44-tägigen Krieg zwischen Armenien und Asarbaidschan gezogen hat. Da er aus Gesundheitsgründen nicht am Forum teilnehmen konnte, wurde ein schriftlicher Beitrag von ihm zu dem Thema verteilt und auszugsweise vorgelesen. Darin betont er nicht nur die bereits viel zitierte Bedeutung bewaffneter Drohnen, sondern auch die des "Kampfes der verbunden Waffen": "Gepanzerte Verbände, die ohne adäquaten Luftverteidigungsschirm, ohne unterstützende Elemente wie begleitende Infanterie, ohne in der Tiefe liegende Artillerie und ohne nahe Luftunterstützung operieren, müssen auf dem modernen Schlachtfeld, welches von Sensoren überflutet ist, die jede Gefechtsfeldbewegung schnell aufzeichnen und melden, mit erheblichen Verlusten rechnen."

Tatsächlich hatten beide Seiten jeweils über 3000 Tote zu beklagen. Die armenischen Streitkräfte verloren zudem viel Material, allein 200 Panzer und über 50 Flugabwehrsysteme. "Aus diesem enormen Verlust an Mensch und Verschleiß an Material lässt sich schließen", so Gady, "dass zukünftige Streitkräftestrukturen mit großer Wahrscheinlichkeit fähig sein müssen, solche Ausfälle zu absorbieren und gleichzeitig einsatzfähig zu bleiben. Ein Schlüsselwort hierfür ist Redundanz." Angesichts der Bedeutung von Kampfdrohnen und der Schwierigkeit ihrer Abwehr stellt er zudem, ganz ähnlich wie Gäbelein, die Frage, "ob der Kampfhubschrauber Tiger noch ein zeitgemäßes Waffensystem für die Bundeswehr ist".

(kbe)