Amazon-Zusteller: KI-Kamera im Führerhaus senkt Lohn durch falsche Strafen

Ein KI-System in Lieferwägen bestraft die Zusteller für nicht gemachte Fahrfehler. Die Chauffeure verlieren ihre Gehalts-Boni - Widerspruch zwecklos.

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Netradyne-Kamerasystem im Amazon-Lieferwagen

Netradyne-Kamerasystem im Amazon-Lieferwagen

(Bild: Screenshot aus Amazon-Video)

Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Frank Schräer
Inhaltsverzeichnis

Amazon hat Anfang dieses Jahres KI-unterstützte Überwachungskameras in vielen Lieferwagen installieren lassen, um Menschen und Zustellungen sicherer zu machen. Mittlerweile beschweren sich aber die Zusteller. Das System würde sie abstrafen für Fehler, die sie nicht begangen hätten. Solche Aktionen wirken sich auf ein Punktesystem aus, an dem die Amazon-Zusteller gemessen werden und das für die Zuteilung von Boni entscheidend ist.

Das Kamerasystem kommt von der kalifornischen Firma Netradyne und verwendet vier HD-Objektive, die alle vier Seiten filmen. Netradynes künstliche Intelligenz soll potenzielle Gefahrensituationen erkennen. Sie warnt den Zusteller per Stimme, wenn dieser zu schnell fährt, nicht an einem Stopp-Schild hält, der Abstand zu anderen Fahrzeugen zu gering ist oder wenn der Fahrer abgelenkt scheint, zum Beispiel beim Griff zum Handy während der Fahrt.

Jetzt aber beklagen sich sowohl Zusteller als auch von Amazon beauftragte Lieferunternehmen über zuviele Warnmeldungen, die bei der Fahrt stören und die bei den Lieferfirmen für Mehraufwand bei der Auswertung sorgen. Außerdem würde das System Fahrfehler melden, die nicht in der Verantwortung der Zusteller liegen, berichtet Vice. Dadurch werden den Fahrern Punkte abgezogen bei ihrer wöchentlichen Bewertung. Damit verlieren sie Boni zum Gehalt wie Zusatzzahlungen oder Sachgeschenke.

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Beispiele für vom KI-System registrierte Fahrfehler seien das Einscheren anderer Fahrzeuge direkt vor dem Lieferwagen, das als ungenügender Sicherheitsabstand bewertet wird. Das vorsichtige Anhalten an einer unübersichtlichen Kreuzung wird als zu später Halt registriert, und sogar Griff zum Radio oder der Blick in den Rückspiegel vor einem Spurwechsel seien als Ablenkung bewertet worden. Außerdem würden manche Straßenschilder vom System falsch als Stoppschild erkannt.

Amazon betont die erhöhte Sicherheit durch die installierten KI-Kameras. Demnach seien die Unfallzahlen um 48 Prozent gesunken und Verstöße gegen Stoppschilder und rote Ampeln seien um 77 Prozent zurückgegangen. Auch das Fahren ohne Sicherheitsgurt sei um 60 Prozent, abgelenktes Fahren um 75 Prozent und Verstöße gegen den Sicherheitsabstand um 50 Prozent zurückgegangen.

Die Zusteller und die Lieferunternehmen sehen das System dagegen als Mittel für Amazon, die Bezahlung der Mitarbeiter und Partner zu senken. Diese leiden ohnehin schon unter Zeitmangel und strengen Lieferterminen, und würden durch die vielen Warnmeldungen weiter unter Druck gesetzt. Das An- und Ablegen des Sicherheitsgurtes würde zu viel Zeit kosten, wenn man in ruhigen Wohngegenden von Haus zu Haus fährt. Hinzu kommt, dass Amazon Beschwerden oder Anfragen zu Punktabzügen nicht bearbeite.

Amazon arbeitet in den USA mit rund 2.000 kleineren Lieferunternehmen zusammen, die etwa 115.000 Fahrer beschäftigen und jedes Jahr Milliarden Pakete zustellen. Die Überwachungskameras für Amazon-Lieferwagen werden seit dem ersten Quartal 2021 ausgerollt, aber es ist nicht bekannt, wie weit die Verbreitung des Netradyne-Systems mittlerweile ist. heise online hat Netradyne um Stellungnahme ersucht. Gegenüber Vice hat sich die Firma nicht geäußert.

(fds)