Wer gewinnt beim virtuellen Radrennen unter Spitzensportlern?

Radrennen in den heimischen vier Wänden hatten während der Pandemie Hochkonjunktur. Jetzt bereiten sich die besten Fahrer auf das Rennen ihres Lebens vor.

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(Bild: Franziska Barczyk)

Lesezeit: 11 Min.
Von
  • Chris Baraniuk
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Ende Februar wird Maeghan Easler einen Ventilator ins Fenster stellen, der winterlich kalte Luft in ihre Wohnung in Des Moines, Iowa, bläst. Sie wird sich selbstgebastelte "Kühlakkus" – mit Eiswürfeln gefüllte Strumpfhosen – unter ihre Fahrradkleidung packen. Und sie wird wie verrückt in die Pedale treten.

Easler will am 26. Februar mit Dutzenden anderen Radfahrern auf Heimtrainern aus der ganzen Welt bei den "UCI Cycling Esports"-Weltmeisterschaften antreten. Es ist der zweite Wettbewerb dieser Art – der erste fand 2020 statt. Er wird komplett in einer videospieleähnlichen Umgebung, die ein futuristisches Manhattan darstellt, auf der Rad-Plattform von Zwift ausgetragen. Insgesamt 100 Frauen und 100 Männer werden aus der Ferne an den Rennen teilnehmen und auf einem stationären Fahrrad kräftig in die Pedale treten, während ihre Avatare auf dem Bildschirm den Kurven der speziell entworfenen Strecke folgen.

Easler, von Beruf Labortechnikerin, zählt zu den besten unter Amerikas Radfahrerinnen und Radfahrern und hat sich kürzlich online für das Weltmeisterschaftsteam von USA Cycling qualifiziert. Sie weiß noch nicht, ob sie Freunde und Familie zum Anfeuern während des Rennens einladen will. "Vielleicht bleibe ich auch ganz allein in meiner Wohnung", sagt sie, "und fahre einfach nur stramm."

Durch Lockdowns und Reisebeschränkungen wurde das Spinning in den heimischen vier Wänden während der Pandemie deutlich populärer. Fitnessplattformen wie Peloton und Wahoo verzeichnen einen starken Anstieg der Nutzerzahlen – ebenso wie Zwift. Wie viele aktive Nutzer es sind, hält das Unternehmen geheim, gibt aber an, dass bis heute insgesamt etwa 4 Millionen Zwift-Konten aktiviert worden seien. Die Zahl der Nutzer habe sich im letzten Jahr mehr als verdoppelt.

Letztendlich hoffen die Zwift-Gründer, dass diese neue Form des Radsports eines Tages als olympische Disziplin anerkannt wird. Dazu könnte es tatsächlich kommen, sollte der olympische Radsportverband UCI dies unterstützen. Der Trend geht offenbar bereits dahin. Im vergangenen Juni gab Zwift sein Debüt bei einer neuen Veranstaltung namens Olympic Virtual Series, die vom Internationalen Olympischen Komitee ins Leben gerufen wurde. Im Unterschied zu anderen Elite-Veranstaltungen ist es für jeden relativ einfach, an einem virtuellen Radrennen teilzunehmen. "Weltweit kann sich jeder bequem von zu Hause aus für die Teilnahme qualifizieren", sagt Sean Parry, Director of Strategy bei Zwift.

So schaffte Easler den Durchbruch. Zwar scheiterte sie in einer Qualifikationsrunde, an der User aus ganz Amerika teilnehmen konnten, schaffte es aber über ein separates Qualifikationsverfahren in das Nationalteam der USA. Sie ist keine völlige Anfängerin, denn sie hat schon als Studentin an Triathlons teilgenommen. Virtuelle Rennen empfindet sie nicht weniger spannend als Wettkämpfe im Freien. "Man spürt das Adrenalin", sagt Easler. "Man weiß, dass man gegen echte Menschen antritt, die wirklich etwas können.“

Easler und ihre Mitstreiter bei den Weltmeisterschaften erhalten alle den gleichen smarten Trainer, der das Hinterrad eines stationären Fahrrads ersetzt, wodurch alle auf demselben virtuellen Spielfeld antreten können. Intelligente Trainer erhöhen oder verringern automatisch den Widerstand, um sich dem Gefühl der virtuellen Straßenoberfläche auf einem Zwift-Kurs anzupassen. Es ist sogar möglich, Kopfsteinpflaster zu simulieren.

Weil die Fahrerinnen und Fahrer ihre Leistung möglichst ständig überwachen wollen, spielen Daten auf Plattformen wie Zwift eine große Rolle. Herzfrequenz, Geschwindigkeit, Leistung in Watt und andere Statistiken sind während eines Rennens jederzeit auf dem Bildschirm sichtbar. Kommentatoren können einige dieser Statistiken live abrufen, um den Zuschauern zu zeigen, wie stark ein einzelner Teilnehmer sich verausgabt.

Easler weiß zum Beispiel, dass sie ihre Herzfrequenz (gemessen in Schlägen pro Minute) unter einem bestimmten Wert halten muss, um nicht abzubauen. "Ich kann bei Kräften bleiben, wenn meine Herzfrequenz 185 erreicht. Aber bei 195 schaffe ich das nicht mehr", sagt sie. Die Verfolgung ihrer Zahlen auf dem Bildschirm ermöglicht es ihr, sich ihrem Limit zu nähern, ohne es zu überschreiten. Darin sei sie mit der Zeit besser geworden, sagt sie.

Echtzeitdaten über die Leistung jedes Fahrers ermöglichen es Zwift und den UCI-Beamten auch, bei den Meisterschaften mögliche Betrüger zu erkennen. Unsportliche Wettkämpfer können viele Tricks anwenden – von falschen Angaben zu ihrem Gewicht, was ihnen eventuell einen Leistungsvorteil verschafft, bis hin zum Versuch, das Spiel zu manipulieren.

Im Jahr 2019 wurde ein Zwift-Nutzer vorübergehend gesperrt, weil er sich mit Hilfe eines Computerprogramms Zugang zu einem leistungsstärkeren virtuellen Fahrrad verschafft hatte, mit dem er dann ins Rennen ging. Bei den Weltmeisterschaften wird die Leistung der Fahrer durch intelligente Trainer überwacht sowie durch ein separates Gerät, zum Beispiel einen in die Pedale eingebauten Leistungsmesser. Etwaige Abweichungen sollen so leicht zu erkennen sein. Außerdem muss die Leistung der Teilnehmer auch mit den Daten übereinstimmen, die in früheren virtuellen sowie Outdoor-Rennen von ihnen erhoben wurden. "Wir kennen ihre körperlichen Fähigkeiten ziemlich genau", sagt Zwift-Sprecher Chris Snook. "Alles, was außerhalb dieses Bereichs liegt, würde sofort angezeigt werden."