Recht auf Reparatur: Wie Landwirte ihre Traktoren zurückerobern wollen

Ein Hack auf der DefCon-Konferenz zeigt das Dilemma, in dem Landmaschinen-Besitzer gegenüber Herstellern wie John Deere stecken. Doch die Landwirte kämpfen.

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Die neuen vollautonomen John-Deere-Traktoren sind beladen mit Technik und Software – doch ohne Landwirt.

(Bild: John Deere)

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Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Veronika Szentpetery-Kessler
Inhaltsverzeichnis

John Deeres grün-gelbe Traktoren sind seit mehr als 100 Jahren eine so feste Institution in der Landwirtschaft, dass sie sogar in Countrysongs besungen werden. Während sie dort eher ein Symbol der guten alten Zeit sind, ist der US-Landmaschinenhersteller längst in der Moderne angekommen. Auf der Elektronik-Fachmesse CES 2022 stellte er Anfang Januar seinen ersten vollautonomen Traktor vor. Das neue Modell seiner 8R-Reihe soll später dieses Jahr auf den Markt kommen und seine Arbeit ganz ohne Fahrer verrichten.

Am vergangenen Wochenende, am 14. August, sorgten John-Deere-Traktoren abermals für Aufsehen – genauer gesagt: Der Hacker, Sick.Codes genannt, nahm die Landmaschinen ins Visier. Auf der DefCon-Sicherheitskonferenz in Las Vegas hatte er einen Hack der Terminals von John-Deere-Traktoren vorgestellt. Der Hack öffnet damit gewissermaßen eine Pforte für die Eigenreparturen für die Farmer an den mit Hightech beladenen Landmaschinen.

John Deere arbeitet seit Jahren daran, seine Maschinen mithilfe von Künstlicher Intelligenz autonomer zu machen und kaufte dafür 2017 sowie 2021 zwei Robotik-Unternehmen mit dieser Expertise: Blue River Technology und Bear Flag Robotics.

Doch die Früchte der fortschreitenden Landmaschinen-Digitalisierung sind für die Kunden oft sauer. Während die führenden US-Hersteller John Deere und Case New Holland sowie Kubota aus Japan für ihre besten Maschinen hohe sechsstellige Kaufpreise einstreichen – John Deeres 8R 280-Grundmodell der Reihe kostet 320.000 Dollar, der teuerste John-Deere-Traktor bis zu 800.000 Dollar – gehören diese den Landwirten nach dem Kauf nicht vollständig.

Die Farmer dürfen weder bei Hardware- noch bei Softwareproblemen selbst Hand anlegen, da nur autorisierte Händlerwerkstätten Zugriff auf die proprietäre Diagnostik- und Reparatursoftware haben. Unabhängige Werkstätten sind nur eingeschränkt nutzbar, da neue Ersatzteile nur von autorisierten Technikern freigeschaltet werden dürfen. Die Monopol-Mondpreise der Hersteller können sich allerdings viele Landwirte nicht leisten. Weil etwa John Deere zudem in manchen Bundesstaaten seine Werkstätten zusammengestrichen hat, kann das Warten auf den Techniker im schlimmsten Fall zu Ernteausfällen führen.

Überdies ist in modernen Landmaschinen fast alles inklusive dem Anlassen und dem Kalibrieren von Geräten an lizenzpflichtige Firmware gekoppelt. Deshalb kaufen immer mehr Landwirte lieber weniger komplizierte ältere Traktoren aus zweiter Hand oder besorgen sich gehackte Firmware, um ihre Maschinen am Laufen zu halten. Denn ein Kauf lohnt sich oft nur dann, wenn sie die Fahrzeuge durch bezahlbare Reparaturen so lange wie möglich nutzen können.

Die Nachfrage nach einfacher reparierbaren Modellen hat die Preise zwar selbst bei mehr als 50 Jahre alten Traktoren mehr als verdoppelt. Das ist aber immer noch deutlich günstiger als die Neupreise für smarte Traktoren. Zudem lassen sich die Oldies durchaus etwa mit satellitengestützter Steuerung nachrüsten.

Weniger einfach ist der Zugang zu den Raubkopien der Traktor-Firmware, die es auf dem digitalen Schwarzmarkt nur in Foren gibt, für die man eine Einladung braucht. Erhältlich sind hier unter anderem Diagnostikprogramme, Lizenzschlüsselgeneratoren und per Reverse Engineering hergestellte Kabel. Rechtlich ist das Hacken des eigenen Traktors in den USA eine Grauzone, da Landmaschinen vom 2015 erlassenen Digitales-Copyright-Gesetz ausgenommen sind. Es ist im Prinzip nicht verboten, aber wohl ist den Landwirten dabei nicht. Deshalb kämpfen viele von ihnen für das Recht auf Reparatur.

Ein Anführer dieser Graswurzelbewegung ist der Agraringenieur Kevin Kenney aus Nebraska. Er ist auf einer Milchfarm aufgewachsen und musste für seinen Universitätsabschluss noch einen Dieselmotor auseinandernehmen und wieder zusammenbauen können. Mit modernen Traktoren ist das nicht mehr möglich. Aber dem Aktivisten geht es um mehr als nur das angestammte Recht, in einem der ältesten Berufe der Welt sein eigenes Hab und Gut wie von je her selbst reparieren zu können.

Er will Landwirte auch von jenen Knebelverträgen befreien, die die von ihren Landmaschinen auf den Feldern gemessenen Daten – von der nahinfrarot-spektroskopischen Erkennung von Erntegut-Bestandteilen bis hin zur Telematik – über ein Mobilfunk-Gateway-Gerät automatisch an die Hersteller-Cloud überträgt. "Der US-Kongress hat anerkannt, dass Landwirtschaftsdaten das Geschäftsgeheimnis der Farmer sind. Aber nur wenige wissen, welche Rechte sie mit ihrer Vertragsunterschrift aufgeben", ärgert sich Kenney. Er fürchtet, dass die Hersteller auf ein weiteres lukratives Geschäftsfeld mit dem Verkauf dieser Daten aus sind.

Kenney hat auch der Koppelung der Maschinenteile an die individuelle VIN-Nummer der Traktoren (Serialisierung) den Kampf angesagt, die Ersatzteile von Drittanbietern effektiv ausschließt. Eine ähnliche Koppelung praktiziert Apple etwa für seine Akkus. Geht also ein Bauteil kaputt, kann nur der autorisierte Techniker das neue Bauteil per Software aktivieren.

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Vorbild im Kampf um das Recht auf Reparatur ist zum einen das 2013 erlassene Gesetz des US-Bundesstaates Massachusetts, das die Auto- und Lastwagenhersteller dazu verpflichtete, ihre Diagnostik- und Reparatursoftware auch unabhängigen Werkstätten und den Besitzern selbst zugänglich zu machen. 2021 gab es bereits in 27 Bundesstaaten "Right to Repair"-Gesetzesentwürfe für Landmaschinen, sagt Gay Gordon-Byrne, geschäftsführende Direktorin von "The Repair Association". "Das Problem der monopolisierten Reparatur betrifft nicht nur die großflächig anbauenden Getreidefarmer, sondern alle Landwirte".

Zum anderen dürften auf die Landmaschinenhersteller Klagen zukommen, wie die am 12. Januar im Bundesstaat Illinois eingereichte Sammelklage gegen John Deere. Darin wird dem Hersteller unter anderem Monopolbildung bei den Reparaturdiensten und die künstliche Verknappung von autorisierten Werkstätten vorgeworfen. Ohne erfolgreiche Klagen und "Recht auf Reparatur"-Gesetze wird sich für Landwirte wenig ändern. Denn die Anklageschrift beziffert die Motivation der Hersteller gleich mit: Für John Deere und seine Händler seien Bauteile und Reparaturdienste drei- bis sechsmal profitabler als der Verkauf der Originalausrüstung.

(jle)