Wie China Algorithmen regulieren will – zum Nutzen für Bürger und Diktatoren

Peking hat erstmals die Algorithmen von Internetfirmen reguliert. Das Gesetz vermischt dabei eine bessere Information der Nutzer mit einem Ausbau der Zensur.

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China Überwachung

(Bild: Herr Loeffler/Shutterstock.com)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Martin Kölling
Inhaltsverzeichnis

Chinas kommunistische Partei demonstriert gerade, wie sich eine Verbesserung der Datenhoheit der Bürger, eine Entmachtung der Internetriesen und zugleich ein Ausbau des Unterdrückungsstaat vereinbaren lässt. Das Mittel, die Bürger zufriedener zustellen und sie gleichzeitig noch effizienter kontrollieren zu können, ist die Verordnung über die "Verwaltung der Algorithmus-Empfehlung für Internet-Informationsdienste“, die am 1. März 2022 in Kraft treten wird.

Im Westen stieß dabei auf Interesse, dass ausgerechnet eine Diktatur ihren Bürgern mehr Transparenz über jene Algorithmen verschaffen will, mit denen Chinas Internetriesen wie Alibaba, Tencent oder auch ByteDance mit ihrem chinesischen Äquivalent zu TikTok ihre Kunden verführen und auf den Plattformen halten. So müssen Anbieter von "Algorithmus-Empfehlungsdiensten" die Nutzer deutlich darüber informieren, wie Empfehlungen zustande kommen (Artikel 16).

Artikel 17 fordert die Internetunternehmen auf, den Nutzern die Möglichkeit einzuräumen, ihre persönlichen Merkmale nicht zu berücksichtigen oder den Algorithmus-Empfehlungsdienst bequem auszuschalten.

So dürften chinesische Nutzer künftig nicht nur nachvollziehen können, warum ihnen welche Werbung präsentiert wird. Sie können auch einzelne Schlagwörter, die die Algorithmen für ihr automatisiertes Vorschlagswesen nutzen, löschen oder sie womöglich gänzlich deaktivieren.

Nur ist noch offen, wie stark diese Regeln die Internetfirmen wirklich treffen werden. Denn die Regulatoren schreckten vor einem "Opt-in" zurück, also einer aktiven Entscheidung der Kunden, Empfehlungsdienste zu nutzen. Stattdessen müssen sie sie selbst ausschalten ("Opt-out"). Allerdings machen die chinesischen Gesetzgeber schon im Artikel 1 deutlich, dass Datenschutz in ihrem Ansatz nur eine untergeordnete Rolle spielt.

In der Auflistung der Ziele wurde der Schutz der "legitimen Rechte und Interessen von Bürgern, Firmen und Organisationen" drei anderen Aufgaben untergeordnet: der Förderung sozialistischer Grundwerte, dem Schutz der nationalen Sicherheit und des "gesellschaftlichen öffentlichen Interesses".

Dabei gibt es einige neue Vorschriften, die die Macht der Internetkonzerne zugunsten der Bürger – wie auch der Machthaber – einschränken und auch im Westen auf Interesse stoßen könnte, gewissermaßen Dual-Use-Regeln für Datenschützer und Diktatoren: So dürfen Chinas Internetkonzerne künftig Kunden nicht mehr unterschiedliche Preise abverlangen, die je nach der Nutzerhistorie bestimmt werden. Außerdem wird Anbietern verboten, besonders Jugendlichen Dienste und Spiele zu servieren, die zu immer weiteren Videospielen oder Internetkonsum reizen.

Weit mehr in Richtung Regulierung der Internetkonzerne geht die Idee, dass Anbieter, die Nachrichten von Medien teilen, sich wie Internetmedien registrieren und regulieren lassen und gleichzeitig für die Gesetzestreue und den Informationsgehalt ihrer geteilten Nachrichten geradestehen müssen – also ähnlich dem hiesigen Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG). Angesichts der Flut an Missinformationen, die in den USA und Europa über soziale Netzwerke verbreitet wird, könnte dieser Punkt eine Lehre darstellen, wie sich Plattformen regulieren lassen.

Post aus Japan

Japan probiert mit Elektronik seit jeher alles Mögliche aus - und oft auch das Unmögliche. Jeden Donnerstag berichtet unser Autor Martin Kölling an dieser Stelle über die neuesten Trends aus Japan und den Nachbarstaaten.

Aber die eigentliche unterdrückerische Stoßrichtung als emanzipatorisch verkaufter Regeln stellt China unverhohlen gesetzlich klar: Artikel 6, der erste Durchführungsartikel, legt fest, dass die Anbieter sich "an der Mainstream-Wertorientierung" ausrichten sowie "aktiv positive Energie verbreiten und die Anwendung von Algorithmen für das Gute fördern" müssen.

Was Mainstream, positiv und gut ist, bestimmt dabei im Zweifel die Führung der Kommunistischen Partei, das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei oder eben Staats- und Parteichef Xi Jinping. Um den Unternehmen die Arbeit etwas zu erleichtern, gibt es immerhin eine Liste mit zugelassenen Nachrichtenquellen, die im Oktober 2021 1358 Einträge umfasste.

Die Chefs der Internetkonzerne werden demnach bedrängt, die Inhalte ihrer Plattform nach Kräften zu zensieren. Denn das Gesetz erinnert sie daran, dass sie Maßnahmen ergreifen müssen, unerwünschte Informationen zu verhindern, zu unterbinden und entsprechend der gängigen Zensurregeln aus dem Internet zu entfernen. Und es ist der Anbieter des "Empfehlungsdienstes", der die "Hauptverantwortung" für seine Algorithmen trägt.

Dass ausgerechnet Chinas Machthaber sich die großen Konzerne vornehmen, die sie zuerst zu Quasi-Monopolisten aufgebaut haben, ist kein Zufall. Alibaba und Co. entwickelten sich durch ihre Datenmengen zu einer alternativen Macht, die sich der Kontrolle der Partei entzog. Seit 2020 unterwirft die Regierung die Konzerne daher durch eine Flut neuer Regeln verstärkt der Kontrolle der Partei.

Diese parteiliche Machtstärkung geht mit dem Versprechen an die Bevölkerung einher, die riesigen wirtschaftlichen Unterschiede durch Umverteilung und andere Maßnahmen zu verringern. Bei der Regulierung der Algorithmen wiederholt sich diese doppelte Strategie. Sie wird damit zum Lehrbuchbeispiel, wie Datenhoheit der Bürger gegenüber Firmen und Diktatur gleichzeitig gestärkt werden können.

(jle)