Immer mehr gläserne Bürger in den USA

Dass Details aus ihrem Leben im Internet für jedermann per Mausklick einsehbar sind, müssen in den USA viele Bürger fürchten.

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Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Tilman Streif
  • dpa

Der Schutz der Privatsphäre ist garantiert -- das versprechen Online-Firmen in der Regel ihren Kunden. Schließlich sollen persönliche Daten wie Kreditkarten-Nummern oder Details über Einkaufsgewohnheiten nicht in die falschen Hände geraten. Dass noch viel intimere Details aus ihrem Leben im Internet für jedermann per Mausklick einsehbar sind, müssen jedoch in den USA viele Bürger fürchten. Denn immer mehr Kommunen gehen dazu über, ihre Datensammlungen -- mit Einzelheiten über Scheidungsverhandlungen bis hin zu Hauskauf-Verträgen -- auch im weltweiten Datennetz zu präsentieren.

Gesetze, die in Deutschland den öffentlichen Zugang zu Gerichts- oder Verwaltungsakten streng einschränken, gelten in den USA nicht. Wer dort wegen einer Schlägerei festgenommen wird oder für zu schnelles Fahren ein Strafmandat kassiert, muss damit rechnen, dass die entsprechenden Unterlagen von jedem Interessierten eingesehen werden können. Die Hürde für Neugierige war früher allerdings immer der große Aufwand, mit dem die entsprechenden Akten in den richtigen Büros gesucht werden mussten. Hier hilft nun das Internet.

Mit ein paar Mausklicks unter der Adresse www.courtclerk.org können die Bewohner des Bezirks Hamilton County im Bundesstaat Ohio ihre Nachbarn beschnüffeln -- es reicht die Eingabe des Namens im Suchfeld der Website, und schon stellt sich heraus, wer einmal eine Gerichtsvorladung erhielt, ein Knöllchen wegen Falschparkens bezahlen musste oder womöglich ein Sexualstraftäter ist. Im letzteren Fall wird dem entlassenen Häftling oft eine Registrierung bei der Polizei befohlen -- das entsprechende Dokument ist dann online einsehbar.

Hamilton County, das die Großstadt Cincinnati mit einschließt, macht in den USA Schlagzeilen, weil der Bezirk eine Vorreiterrolle einnimmt. Die Betreiber sind besonders eifrig und haben dafür gesorgt, dass schon Millionen von Dokumenten online einsehbar sind. Im ganzen Land sind andere Bezirksverwaltungen dabei, ihre Datenbestände ebenfalls online zu präsentieren -- von New York bis Los Angeles, und von Chicago bis Houston. Dass man dort noch nicht ganz so weit ist wie in Hamilton County habe lediglich technische Gründe, betont Jim Cissell, der Verwalter der Bezirks-Gerichtsakten.

Wer seine Akten nicht öffentlich zugänglich machen wolle, der könne sich ja mit einer Petition an das Gericht wenden, teilt Jim Cissell mit. Er weist gerne auf die Beliebtheit der von ihm organisierten Website hin: Geschiedene Familienväter, die ihre Unterhaltszahlungen nicht leisten, stehen online am Pranger und werden gelegentlich von Kollegen oder Bekannten erkannt und bei der Polizei gemeldet. Firmen können überprüfen, ob Stellenbewerber ein Vorstrafenregister haben. Und dann hat die Präsentation all dieser Daten natürlich auch einen gewissen Unterhaltungswert -- denn wer möchte nicht über die schmutzige Wäsche der Nachbarn genau Bescheid wissen.

Der sorglose Umgang mit äußerst sensiblen Daten ist aber auch in anderer Hinsicht problematisch. Für Diebe, die zu eigenen Gunsten im Namen von arglosen Bürgern Kreditkarten-Konten eröffnen, sind die Datenbanken von Bezirken wie Hamilton County eine Fundgrube. Dort speichert man auch Dokumente, die neben dem Namen gleich noch die Original-Unterschrift des Namensbesitzers präsentieren, dazu seine Sozialversicherungsnummer, die in den USA so wichtig wie ein Personalausweis ist.

Im Internet tummeln sich inzwischen Firmen, die möglichst viele Datenbanken von US-Bezirken zusammenschließen und ein perfektes privates Überwachungsnetz aufbauen. Damit kann dann etwa bei www.rapsheets.com jeder zahlende Kunde zum Big Brother werden. Für 30 Dollar gibt es eine landesweite Suche in Gerichtsakten. Diesen Service bietet auch das Unternehmen Choicepoint, der größte US-Spezialist für die Überprüfung von Stellenbewerbern. Zu den gigantischen Datenbanken von Choicepoint hatten bisher nur Firmen Zugang -- nun dürfen neuerdings auch Privatleute unter der Adresse www.knowx.com schnüffeln. (Tilman Streif, dpa) / (anw)