Zwischen Design und Dialog: Politik im Internet

Im Internet twittern und vernetzen sich die Kandidaten für die Bundestagswahl im Herbst, doch bis zu einem echten Dialog mit den Wählern scheint der Weg noch weit.

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  • dpa

Anstrengend war Wahlkampf für Politiker schon immer. Im digitalen Zeitalter kommt zu den traditionellen Auftritten in Festzelten, auf Kundgebungen und Marktplätzen auch noch der im Internet hinzu. Dort twittern und vernetzen sich die Kandidaten für die Bundestagswahl im Herbst, doch bis zu einem echten Dialog mit den Wählern scheint der Weg noch weit.

Barack Obama gab den Takt vor. Inzwischen haben sich auch deutsche Politiker mit den Plattformen im Internet angefreundet. Selbst Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) "gruschelt" ihre Anhänger im Online-Netzwerk StudiVZ – nimmt also freundschaftlich Kontakt mit ihnen auf – und verrät Privates. Aufwendig haben Parteien und Politiker das Design ihrer Homepages überarbeitet. Sie stellen Videos bei YouTube und Fotos bei Flickr ein oder versenden Internet-Kurzmitteilungen über Twitter.

Dennoch fällt das Urteil der Experten vernichtend aus. "Das klassische Parteiensystem wird im Internet gerade abgewählt. Die Parteien haben es nur noch nicht so recht gemerkt", sagt der Medienwissenschaftler Robin Meyer-Lucht, Herausgeber des mit dem Grimme-Online-Preis ausgezeichneten Blogs "Carta". Denn bei allem Engagement und demonstrativer Bürgernähe im Netz scheinen zumindest die großen Parteien übersehen zu haben, dass auch im Internet über politische Inhalte gestritten wird.

Zur Bewährungsprobe kam es in der "Zensursula"-Debatte um das Sperren von Internet-Seiten mit kinderpornografischen Inhalten, benannt nach Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU). Fachleute verwiesen darauf, dass die Sperren Kindesmisshandlung nicht verhindern, dafür aber Tür und Tor für eine Zensur des Datennetzes öffnen. Dennoch votierten 348 Bundestagsabgeordnete von Union und SPD für die Sperren und nur 3 dagegen – obwohl sich etwa der mit prominenten Bloggern bestückte "Online-Beirat" der Sozialdemokraten vehement für ein Nein eingesetzt hatte.

Etliche der engagierten Internet-Nutzer wandten sich daraufhin der gegen die Sperren argumentierenden Piratenpartei zu, die durch den Übertritt des SPD-Abgeordneten Jörg Tauss nun auch über ein Mandat verfügt. Gleichzeitig nutzten die "Piraten" das Internet zur Mobilisierung ihrer Unterstützer. Mit mehr als 23.000 Anhängern bei StudiVZ liegt die Splitterpartei, die auf 0,9 Prozent bei der Europawahl kam, inzwischen klar vor der zweitplatzierten CDU mit knapp 17.000. "Die Internet-Sperren-Debatte und der Erfolg der Piratenpartei wäre ohne Netz nicht möglich gewesen", bilanziert Meyer-Lucht.

Kopfzerbrechen dürfte diese Entwicklung den Volksparteien zumindest kurzfristig aber nicht bereiten. Denn anders als in den USA spielt das Internet in Deutschland nur eine Nebenrolle für den Wahlausgang. Dafür spricht auch der hohe Anteil von älteren Wählern, die sich nur langsam der Online-Welt zuwenden.

Für die Jüngeren – einschließlich der Politiker – ist das Netz ohnehin mehr als ein Wahlkampf-Instrument. Julia Seeliger (30), bloggende und twitternde Grünen-Politikerin, sieht darin ein unverzichtbares Mittel, um mit Anhängern oder auch Gegnern zu kommunizieren – mindestens drei Stunden verbringt sie täglich im Netz. Die besten Chancen für einen echten Dialog sieht sie dabei vor dem eigentlichen Wahlkampf, zum Beispiel bei der Erarbeitung der Parteiprogramme. "Die müssen wir einfach noch intensiver mit den Bürgern diskutieren."

Das meint auch Arne Klempert, bei der Unternehmensberatung IFOK verantwortlich für den Bereich digitale Kommunikation. "Die Politiker nutzen zwar die Online-Plattformen zur Übermittlung ihrer Botschaften, haben sie als Mittel zum Dialog aber bisher nicht erkannt." Die Ursache dafür sei in den Strukturen der Parteien zu finden, die Programm-Diskussionen in internen Gremien oder mit anderen Institutionen führten, selten jedoch direkt mit interessierten Bürgern. "Der einzelne Wähler spielt abgesehen davon, dass er in der Wahlkabine sein Kreuzchen macht, praktisch keine Rolle." Dies sei jedoch problematisch in einer Zeit, in der sich die Menschen spontan in Netzwerken etwa über das Internet zusammenfinden und sich dann auch in der realen Welt für ein Thema engagieren.

Als Beispiel nannte Klempert die Online-Enzyklopädie Wikipedia, für deren deutschsprachige Version er bis 2008 als Sprecher arbeitete. Bei Wikipedia würden Nutzer ohne Bezahlung, aber mit hohem Einsatz gemeinschaftlich Artikel schreiben, Fachdiskussionen führen und dann auch Kontakte untereinander knüpfen. Solche Formen der inhaltlichen Mitarbeit seien wesentlich flexibler als die klassische Mitgliedschaft in einer Partei oder einem Verein, könnten aber dennoch von der Politik genutzt werden. "Allerdings haben die Parteien noch nicht wirklich angefangen, sich darüber Gedanken zu machen."

Zur Bundestagswahl im September 2009 siehe auch:

Zu den Wahlprogrammen für die Bundestagswahl 2009 siehe auch:

(Alexander Missal, dpa) / (anw)