Höhere Bierpreise möglich? Streit um Patent für Braugerste geht weiter

Das Europäische Patentamt hat ein Patent auf Braugerste bestätigt. Züchter, Landwirte und kleinere Brauereien sehen die Vielfalt im Lebensmittelanbau bedroht.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 59 Kommentare lesen

(Bild: monticello/Shutterstock.com)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Katja Scherer
Inhaltsverzeichnis

Komplizierte Klauseln, abstrakte Abhandlungen: Patentrecht kann auf den ersten Blick abschreckend wirken. Richtig eingesetzt aber wird es zur wirksamen Waffe im Kampf um Monopole – ein Szenario, das sich derzeit auf dem Biermarkt beobachten lässt.

Der dänische Braukonzern Carlsberg kämpft dort gegen der Rest der Welt: Das sind grob gesagt die Frontlinien. Das Unternehmen Carlsberg hat im Jahr 2016 ein europäisches Patent auf eine bestimmte Braugerste-Sorte angemeldet. Diese soll Bier schmackhafter und den Brauprozess energiesparender machen. Viele Züchter, Landwirte und kleinere Brauereien sind überzeugt, dass Carlsberg dieses Patent nicht zusteht. Das Unternehmen habe die Gerstensorte durch konventionelle Züchtung gefunden, sagt Christoph Then, der Geschäftsführer des Vereins "No Patents on Seeds". Und damit sei das Ergebnis nicht patentierbar: "Das Problem ist, dass das Europäische Patentamt das Europäische Patentrecht falsch auslegt – und solche Patente trotzdem erteilt."

Das Unternehmen Carlsberg hat für seine Züchtung ein Verfahren genutzt, das in der Branche Zufallsmutagenese genannt wird. Die Züchter haben Gerstenkörner mit einer chemischen Substanz unter Stress gesetzt. Dadurch mutiert das Erbgut der Pflanzen schneller als normal; es entsteht eine große Anzahl von Mutationen in kurzer Zeit. Die Züchter haben die Mutationen analysiert und eine vorteilhafte Genvariante entdeckt. Sie hemmt das Auftreten bestimmter Enzyme und sorgt dadurch für den guten Geschmack. Mit dieser Genvariante haben die Züchter herkömmliche Braugerste gekreuzt und das Ergebnis patentieren lassen. Mutationen würden bei dieser Art der Züchtung aber nur beschleunigt, sagt Then. Es seien keine technischen Erfindungen: "Es handelt sich nach wie vor um zufällige Mutationen und nicht um gezielte Eingriffe ins Erbgut wie bei der Gentechnik."

Das Europäische Patentamt (EPA) hält das Patent dennoch für gerechtfertigt. Es hat das Patent im Jahr 2016 erstmals erteilt und nun bestätigt. Ein breites Bündnis aus Landwirten, Züchtern und kleineren Brauereien hatte Einspruch gegen das Patent eingelegt – ohne Erfolg. Warum das EPA seine Entscheidung bestätigt hat, will das Amt in zwei bis drei Wochen schriftlich bekannt geben. Das sagte ein Sprecher auf Anfrage von MIT Technology Review online. Für den Tiermediziner und Aktivisten Christoph Then ist im Wesentlich aber klar: Der Grund für die Entscheidung des EPA ist eben die aus seiner Sicht falsche Auslegung des Patentrechts. "Dort heißt es: Im Wesentlichen biologische Verfahren, die auf Kreuzung und Selektion beruhen, sind nicht patentierbar."

Das Europäische Patentrecht besagt, dass biologische Zuchtverfahren, die auf natürlicher Kreuzung und Selektion beruhen, grundsätzlich nicht patentierbar sind. Es gibt allerdings ein Statement des EPA aus dem Jahr 2017, das diese rechtliche Grenze aus Sicht von Kritikern untergräbt. Darin heißt es, dass Pflanzen nur dann nicht patentierbar sind, wenn ausschließlich Züchtung und Selektion betrieben wurde. Sobald Unternehmen im Prozess Genanalysen betreiben, bestimmte Genvarianten definieren und damit weiterzüchten, sind Patente eben doch möglich – unabhängig davon, ob der Züchtungsprozess konventionell oder mit Gentechnik stattfindet. Auf dieser Auslegung des Patentrechts beruht das Carlsberg-Patent für Braugerste.

Christoph Then von der Initiative "No Patents on Seeds" sagt, diese Rechtsauslegung habe weitreichende Folgen. Unternehmen könnten nach dieser Definition so gut wie jede Züchtung patentieren lassen, kritisiert er. Der jüngste Streit um die Braugerste ist nur ein Beispiel für eine viel größere Entwicklung. Der Bierkonzern Carlsberg hat weitere Patente angemeldet. "Und wir sehen inzwischen Patentanträge, bei denen Unternehmen hunderte Genvarianten patentieren lassen wollen", sagt Then. Das betrifft auch Lebensmittel wie Tomaten, Salat und Melonen. Er sieht dadurch die freie Züchtung und langfristig sogar die Lebensmittelsicherheit bedroht. Der Konzern Carlsberg indes betont, man wolle das Brauen nachhaltiger machen, die Umweltauswirkungen des Brauens verringern und die Bierqualität verbessern. "Die Patente von Carlsberg und Heineken Supply Chain beziehen sich auf technisch entwickelte Gersteneigenschaften, die heute in der Mälzerei- und Brauindustrie fehlen."

Die Folgen solcher Patente sind weitreichend. Die Entscheidung des EPAs bei der Braugerste zum Beispiel bedeutet, dass für mittelständische Züchterinnen und Züchter der Zugang zu Braugerste schwieriger und teurer wird. Züchtungen ohne Patent werden normalerweise beim Bundessortenamt angemeldet. Dann darf jeder auf die Sorte zugreifen und damit weiterzüchten. Ist eine Sorte patentiert, müssen Zuchtbetriebe aufpassen, das Patent nicht zu verletzen. Oder sie müssen teure Lizenzgebühren an den Patentinhaber zahlen, was sich oft nicht rechnet. Viele verzichten auf patentierte Sorten also ganz; die Vielfalt bei Lebensmitteln wird gehemmt.

Negative Folgen hat die Entscheidung des EPAs auch für Landwirte und kleinere Brauereien. Diese müssen nun ebenfalls Lizenzgebühren an Carlsberg zahlen – und Gerste und Bier dann zu höheren Preisen verkaufen. Der Verbund "Die Freien Brauer" aus rund 40 Familienbrauereien in Deutschland, Österreich und Luxemburg kritisiert die Erteilung des Patents daher ebenfalls. "Wir fordern von allen Verantwortlichen der Länder, des Bundes und der Patentämter, sich dafür einzusetzen, dass eine rechtlich klare und eindeutige Richtlinie zur Auslegung des europäischen Patentrechts verabschiedet wird", heißt es dort.

Der Verein "No Patents on Seeds" will gegen die jüngste Entscheidung des Patentamts Beschwerde einlegen. In der nächsten Behördenstufe wird erneut geprüft. "Wir hoffen, dass die Experten dort den Sachverhalt nochmal grundlegend überdenken – und dann zu einem anderen Beschluss kommen“, sagt Then.

(jle)