Europäisches KI-Ökosystem: Aleph Alpha beginnt Partnerschaft mit Graphcore

Das deutsche KI-Unternehmen Aleph Alpha arbeitet mit dem britischen Chiphersteller Graphcore zusammen für das Erforschen und Entwickeln neuartiger KI-Systeme.

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Von
  • Silke Hahn
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Aleph Alpha, ein in Heidelberg ansässiger Anbieter mehrsprachiger großer KI-Modelle aus eigener Forschung und Entwicklung, geht eine Partnerschaft mit dem britischen Chiphersteller Graphcore ein. Die Forschungs- und Ingenieursteams der beiden in Europa verwurzelten Unternehmen wollen gemeinsam KI-Systeme der neuesten Generation weiterentwickeln, die durch ihre multimodalen Eigenschaften im Bereich Sprachverarbeitung und Bilderkennung als vielseitig einsetzbar gelten, beispielsweise für Wissensmanagement, Konversation, Textgenerierung und das Verarbeiten von Dokumenten sowie kombinierte Text-Bild-Verarbeitung.

Die Verfügbarkeit eines auch im internationalen Vergleich führenden KI-Modells, das in Deutschland entwickelt wurde und auf den Hard- und Softwaresystemen eines britischen Unternehmens läuft, ist aus Sicht der beiden Partner ein greifbares Beispiel dafür, wie ein erfolgreiches europäisches KI-Ökosystem aussehen könnte. Gemeinsam verfügen die beiden Unternehmen über ein Wagniskapital von gut 700 Millionen Euro, ihre Aktivitäten standen bereits vor der Partnerschaft in Einklang mit Bestrebungen nach Datensouveränität auf nationaler Ebene unter europäischer Führung.

Auf technischer Seite geht es bei der Forschungszusammenarbeit insbesondere um das Vortrainieren, Feintunen und die Inferenz fortgeschrittener Sprach- und Computervisionsmodelle im Milliarden-Parameter-Bereich. Der britische Hersteller von Chips für Machine-Learning-Prozesse bietet eigenen Angaben zufolge eine Technik, die auf KI-Workflows ausgelegt ist und unter anderem durch Nebenläufigkeit besonders hohe Verarbeitungsgeschwindigkeiten erzielt. Branchenübergreifend kommt die Technik bereits im Finanzwesen, in der Physik und der Pharmokologie sowie in Wettermodellen zum Einsatz. Aleph Alphas Hauptplattform für das Trainieren von Modellen stammt zurzeit weiterhin von HPE und Nvidia.

Für Jonas Andrulis, Gründer und CEO von Aleph Alpha, bedeutet das Hochskalieren der Rechenkraft (gepaart mit leistungsstärkerer Hardware) einen Schub für weitere, aus seiner Sicht mutmaßlich bahnbrechende KI-Fähigkeiten. In den IPU-Systemen von Graphcore sieht Andrulis eine neue Möglichkeit, fortgeschrittene Ansätze im Machine Learning wie Conditional Sparsity auszuprobieren. Neue Architekturen werden ihm zufolge eine Rolle spielen in der Forschungs- und Entwicklungs-Roadmap seines Unternehmens.

Beide Seiten betonen in flankierend veröffentlichten Blogeinträgen das europäische Anliegen ihrer Partnerschaft. Mit der "KI Made in Europe" stünden dem privaten und öffentlichen Sektor neue Wege offen, um sichere sowie leistungsfähige Anwendungen zu bauen, die unter anderem den strengen europäischen Anforderungen an Ethik und Datenhoheit gerecht würden. So habe sich laut Nigel Toon, dem CEO und Mitgründer von Graphcore, Aleph Alpha in Europa als ein führender Akteur bei der Entwicklung großer multimodaler KI-Modelle etabliert. Toon und Andrulis verfolgen mit ihren Teams gemeinsam das Ziel, die Marktdominanz globaler Hyperscaler und großer Forschungslabore aufzubrechen.

Zuletzt hatte im Juni der Informatiker und KI-Forscher Hans Uszkoreit, wissenschaftlicher Leiter des DFKI (Deutsches Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz), bei der Fachkonferenz "Rise of AI" in Berlin das von Aleph Alpha entwickelte, bis zu 200 Milliarden Parameter große KI-Modell Luminous in der internationalen Forschungs- und Unternehmenslandschaft als vielversprechend eingeordnet. Uszkoreit beklagt den Braindrain deutscher Ingenieure beispielsweise zu großen US-Unternehmen.

Die Keynote schloss mit der Forderung, in Deutschland und Europa eine eigenständige Infrastruktur zu schaffen, "die uns zumindest eine Chance gibt, mitzuhalten" ("Let's create an infrastructure that gives us at least a chance to compete!"). Dafür sei neben unternehmerischer Leistung auch eine Unterstützung durch die öffentliche Hand nötig, wie sie seitens Politik in der Deutschen KI-Strategie 2018 bereits zugesichert worden sei. In eine ähnliche Kerbe schlug der Darmstädter KI-Professor und Informatiker Kristian Kersting in einem Gastbeitrag für die iX, in dem er die aktuellen Entwicklungen großer neuronaler Sprachmodelle einordnete und die Frage nach einer KI-Kreislaufwirtschaft in Europa stellte.

Die unternehmerische Partnerschaft zwischen Aleph Alpha und Graphcore dürfte in die von Uszkoreit, Kersting und anderen Experten geforderte Richtung gehen, indem sie von privatwirtschaftlicher Seite zu einer souveränen europäischen KI-Infrastruktur beiträgt. Insbesondere im Hardwarebereich tut sich zurzeit viel: Graphcore hat soeben eine Partnerschaft mit G-Core Labs angekündigt, mit denen es eine KI-Infrastruktur als Service (AI Infrastructure as a Service, kurz: AIIaaS) am Standort Luxemburg anbietet, und Aleph Alpha betreibt mit Alpha One seit Kurzem in Deutschland ein eigenes Rechenzentrum mit Hardware von Nvidia und HPE, das auf der Weltrangliste der Supercomputer Platz 72 belegt.

Mehr Informationen zu der aktuellen Kooperation der beiden Unternehmen lassen sich einem Blogeintrag bei Aleph Alpha entnehmen sowie auf der Website von Graphcore nachlesen. Weitere Hinweise zu Technik, Forschung und Use Cases stehen auf der Website von Aleph Alpha bereit, wo Interessierte im Playground die verfügbaren KI-Modelle auch testen können. Wer weiteren Input sucht oder den Vortrag von Hans Uszkoreit nachhören möchte, kann sich die Aufzeichnungen der Rise-of-AI-Vorträge ansehen, die mittlerweile bei YouTube veröffentlicht sind.

Aleph Alpha ist ein in Heidelberg ansässiges KI-Forschungs- und -Anwendungsunternehmen, das für Partner aus dem öffentlichen und privaten Sektor generalisierende KI-Modelle für Text, Bild und Strategie erforscht, entwickelt sowie umsetzt. Das 2019 vom KIT-Wirtschaftsingenieur Jonas Andrulis und seinem Co-Founder Samuel Weinbach in Heidelberg gegründete Start-up beschäftigt rund 50 Mitarbeiter an den Standorten Heidelberg und Berlin. Seit April 2022 bieten die Heidelberger ihr KI-Modell Luminous auch zur kommerziellen Nutzung an. Digitale Souveränität (für Europa) und lokale Wertschöpfung gehören zu den Unternehmenszielen.

Aleph Alpha zählt laut Fachleuten zu den Hoffnungsträgern der deutschen KI-Industrie und ist als derzeit einziges europäisches Unternehmen mit der Erforschung und Entwicklung eigener KI-Basismodelle befasst. Das Unternehmen konnte in zwei Finanzierungsrunden bislang rund 30 Millionen Euro an Wagniskapital gewinnen und ist nach mehreren Auszeichnungen (KI Champions Baden-Württemberg, Deutscher KI-Preis 2021) seit Juni 2022 im Finale des Deutschen Gründerpreises.

(sih)