Chinas Internet-Zensoren schlagen wieder zu

Wegen Artikeln im Netz wurde eine 22-jährige Studentin in der Volksrepublik China verhaftet.

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Von
  • Monika Ermert

Wie erst jetzt durch Nachforschung chinesischer User und Recherchen der Pekinger Redaktion von Voice of America (VOA) bekannt wurde, haben Behörden der chinesischen Hauptstadt kurz vor dem 16. Parteitag der KP eine Psychologie-Studentin inhaftiert, die anspielungsreiche satirische Artikel im Netz veröffentlicht hat. Die 22-jährige Liu Di publizierte unter dem Namen Stainless-Steel Mouse -- vermutlich eine Anspielung auf die Romane des Science Fiction Autors Harry Harrison -- ironische Artikel mit Titeln wie "Lasst uns auf die Straße gehen und den Kommunismus verkünden". Liu soll auch Symphatie mit dem verurteilten Portalbetreiber Huang Qi geäußert haben.

Wie üblich wurde die Familie von Liu Di über den Aufenthaltsort und die Natur der Anklage völlig im Dunkeln gelassen. Lius Großmutter Zhang Heng, mit der sich Liu eine Wohnung teilt, sagte gegenüber heise online: "Ich weiß nicht wo sie ist, ich weiß nicht, wessen sie angeklagt ist. Ich habe sie seit der Verhaftung nicht mehr gesehen. Ein Anwalt würde da auch nichts nützen, er könnte sie ja auch nicht treffen." Die Behörden haben der Großmutter lediglich mitgeteilt, ihre Enkelin habe Kontakt zu einer illegalen Organisation. Im Übrigen sei die jetzt laufenden Untersuchung geheim.

Die Behörden hatten laut der Schilderung der Großmutter gegenüber Reportern von VOA am Abend des 7. November nach einer Hausdurchsuchung den Computer, die Bücher und Notizbücher der jungen Frau abgeholt. Die Rufnummer der gemeinsamen Wohnung von Liu und ihrer Großmutter wurde neben einer ganzen Reihe von Hintergrundartikeln im Netzmagazin Boxun veröffentlicht, das auch einige englische Nachrichten bringt. Die Nummer wird inzwischen ganz offensichtlich überwacht und ist nicht mehr durchgehend erreichbar.

In der South China Morning Post wurde inzwischen darüber spekuliert, ob mit der besagten "illegalen Organisation" nicht einfach Lius Chat-Freunde gemeint sind. Laut dem Bericht der Hongkonger Zeitung soll Liu selbst einen eigenen Chatroom "A life like fire" eröffnet haben, nachdem ein von ihr besuchter Chatroom im vergangenen Jahr geschlossen worden sei. Freunde beschrieben Lius Postings als "völlig ungefährlich" für die Partei. Ihre über 80-jährige Großmutter beschreibt sie als Bücher verschlingende und schreibende Individualistin, die sich niemals einer Organisation anschließen würde. Allerdings attestieren Freunde ihr auch die sprichwörtliche Bereitschaft, "tief ins Bergland vorzudringen, wohl wissend, dass dort der Tiger haust", wie VOA berichtet. Liu war laut Aussagen von Freunden demnach mehrfach von Angehörigen der Bejing Normal University, wo sie im kommenden Jahr ihren Abschluss machen sollte, wegen ihrer Internetaktivitäten gewarnt worden. Kurz vor dem Parteitag schlug die Staatsmacht in der Weise zu, die der bekannte Autor Liu Xiaobo in einer ersten Reaktion nun als "altes Laster der KP-Diktatur" bezeichnete. Ihn beschleiche ein Gefühl der Absurdität, so Liu, dass man vor dem 16. Parteitag, bei dem Chinas blühende Landschaften mit Lobliedern besungen würden, soviel Angst vor einer Studentin haben, dass man derart gewaltätig gegen diese vorgehen müsse.

Die Freilassung von Liu, zumindest aber eine sofortige offene Anklageerhebung forderten inzwischen Reporter ohne Grenzen und die US-Organisation Committee to Protect Journalists. Die heimliche Verhaftung widerspreche dem Artikel 19 des Pakts über bürgerliche und politische Rechte, den auch die VR China unterzeichnet hat. Die Organisationen fürchten nach einem Monat heimlicher Haft um den Gesundheitszustand von Liu. Sie ist laut Reporter ohne Grenzen die 32. "Cyberdissidentin" in der Volksrepublik, von denen bislang der Hälfte der Prozess gemacht wurde. Im September war zuletzt mit Chen Shaowen ein Autor in Hunan für seine Online-Veröffentlichungen verhaftet worden. Für eine Verurteilung bieten Chinas weitgefasste Internet-Publikationsgesetze einen recht großen Spielraum. (Monika Ermert) / (jk)