Kommentar: Kleine Balkonkraftwerke – einfach ausklinken geht nicht

In Zeiten rasant steigender Energiepreise wollen immer mehr Menschen ihren eigenen Strom produzieren. Doch das ist nur ein Teil der Lösung.

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(Bild: Shutterstock; wavebreakmedia)

Lesezeit: 4 Min.

Seit 2019 darf man auch in Deutschland eine Photovoltaikanlage einfach an das Stromnetz anschließen, wenn sie nicht mehr als 600 Watt Leistung hat. 600 Watt sind zwar nicht sonderlich viel, aber seit die Strompreise in Folge des Ukrainekrieges spürbar klettern und jeden Tag über die Notwendigkeit des Energiesparens gesprochen wird, erscheint die Energieproduktion auf dem heimischen Balkon plötzlich in einem ganz anderen Licht.

Warum nicht die niedrig hängenden Früchte nutzen, und die Stromrechnung wenigstens um 100 Euro im Jahr drücken – und dabei auch noch was Gutes für das Klima tun? Zumal es – halbwegs bezahlbare – einfach zu installierende Hardware auf dem Markt gibt. Tatsächlich sind nach einer Studie der HTW Berlin allein in Deutschland rund 190.000 Steckersolaranlagen mit insgesamt rund 66 Megawatt Leistung in Betrieb.

Rund die Hälfte von ihnen, schätzen die Forschenden der HTW Berlin, werden allerdings in einem rechtlichen Graubereich betrieben. Denn wer ein Balkonkraftwerk installieren will, muss seinen Netzbetreiber informieren und die Anlage ins Marktstammdatenregister eintragen. Der Eintrag in das Register klingt kompliziert, ist aber einfach. Die Meldung beim Netzbetreiber kann aber schwierig werden. Denn der pocht in vielen Fällen auf die Einhaltung technischer Normen, die im Zweifelsfall teure und aufwendige Elektriker-Arbeiten nötig machen.

Ein Kommentar von Wolfgang Stieler

Nach dem Studium der Physik wechselte Wolfgang Stieler 1998 zum Journalismus. Bis 2005 arbeitete er bei der c't, um dann als Redakteur der Technology Review zu wirken. Dort betreut er ein breites Themenspektrum von Künstlicher Intelligenz und Robotik über Netzpolitik bis zu Fragen der künftigen Energieversorgung.

Dabei sind gerade die "Balkonkraftwerke" für Mieter besonders interessant, die nicht über eine eigene Dachfläche verfügen. Was nicht heißen soll, dass die Nutzung von Dachflächen zur Energieerzeugung einfacher ist: Kommt ein Vermieter auf die Idee, seine Mieter mit selbst erzeugtem "Mieterstrom" zu beglücken, sieht er sich unversehens in die Rolle eines Energieversorgers gedrängt, mit allen administrativen und steuerlichen Pflichten. Mit dem Erfolg, dass auch ökologisch motivierte Vermieter die von der Dach-PV erzeugte Energie lieber komplett an den Energieversorger verkaufen, so dass die Mieter weiterhin den teuren Strom der Stadtwerke kaufen müssen.

Kein Wunder also, dass Energiesparfüchse und Aktivisten der Guerilla-PV in Foren und Diskussion darüber schimpfen, wie finstere Lobbyisten in Tateinheit mit unflexiblen Bürokraten – wie deutsche Beamte halt so sind – immer neue technische und bürokratische Hürden errichten, um die echte, die basisdemokratische Energiewende "in Bürgerhand" zu verhindern. Eine Energiewende, an der weder die Energieversorger noch die Politik ein echtes Interesse haben.

Ganz so einfach ist die Sache aber nicht. Wobei, zugegeben, das Interesse der Politik an diesem Thema tatsächlich auffallend gering ist. In einschlägigen Diskussionspapieren kommt so ein Krümelkram wie Balkonkraftwerke nicht vor. Man macht sich mehr Gedanken um "Flexibilitätshindernisse", die Frage, wie "Netzentgelte das flexible Verhalten der Markakteure beeinflussen" und will dieses delikate Spiel der Marktkräfte auf keinen Fall "durch einseitige Förderungen bestimmter Technologien" durcheinanderbringen.

Immerhin, im "Bericht zum Zustand und Ausbau der Verteilnetze 2021" schreibt die Bundesnetzagentur, man habe "eine Abfrage zum Ausbaubedarf der unteren Netzebenen eingeführt. In dieser Abfrage meldeten die Netzbetreiber für die Netzebenen Mittelspannung bis Niederspannung jeweils einen aggregierten Netzausbaubedarf für Neubau, Ersatzneubau mit Erhöhung der Übertragungskapazität sowie Verstärkungs- und Optimierungsmaßnahmen für die nächsten zehn Jahre". Stolz bilanziert man: "So ist es in diesem Jahr erstmals möglich, einen besseren Eindruck über den zu erwartenden Netzausbaubedarf der unteren Netzebenen zu erlangen."

Das ändert aber alles nichts an einer sehr grundsätzlichen Überlegung: Wenn immer mehr Menschen Sonnenstrom aus kleinen Anlagen einspeisen (an sich eine gute Sache), müssen die Niederspannungsnetze ausgebaut werden. Das muss irgendjemand bezahlen. Und es sieht ganz so aus, als ob an dieser Stelle auch mehr politischer Druck nötig wäre. Dabei sind auch die in der Pflicht, die einen Teil ihres Stroms selbst erzeugen. Einfach ausklinken geht nicht: Die Energiewende ist bleibt eine gesellschaftliche Aufgabe.

(wst)