Asteroidensonde: "Wir müssen nach DART schnellere Abwehrmissionen entwickeln"

Alan Harris vom Institut für Planetenforschung am DLR beschäftigt sich seit 25 Jahren mit der Erforschung von Asteroiden. Im Interview spricht er über Dart.

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DART-Mission

(Bild: NASA)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Christian Rauch

(This article is also available in English)

Nach dem erfolgreichen Einschlag der DART-Sonde auf den Asteroiden Dimorphos in der Nacht auf den 27. September äußert sich Prof. Alan Harris zu den erwarteten Ergebnissen und zur Frage, ob uns DART einer "planetaren Verteidigung" näherbringt.

Technology Review: Prof. Harris, DART hat Dimorphos frontal getroffen. Was werden wir nun lernen?

Alan Harris: Wir wussten bisher nichts über die Beschaffenheit der Oberfläche. Je nachdem, wie weich oder hart sie ist, kann der Einschlag unterschiedliche Effekte haben.

Große Teleskope auf der Erde, sowie die Weltraumteleskope Hubble und James Webb, haben DARTs Aufprall beobachtet.

Viele Sternwarten werden nun über die kommenden Wochen und Monate den Effekt auf die Umlaufbahn von Dimorphos um seinen größeren Mutterasteroiden Didymos untersuchen. Und 2024 startet die europäische Sonde Hera, die 2026 die beiden Asteroiden vor Ort vermessen wird.

Warum eigentlich ein Binärsystem? Hätte man nicht besser einen einzelnen Asteroiden auf seiner Umlaufbahn um die Sonne beeinflusst?

Das wäre aufwändiger gewesen. Je nach Asteroid hätte die Sonde größer sein müssen und die anschließende Beobachtung der Umlaufbahn wäre langwieriger gewesen. Denn: Dimorphos kreist so um Didymos, dass wir mit Teleskopen von der Erde aus direkt sehen, wie sich der kleine um und über den großen Asteroiden hinweg bewegt. Die Intensität des reflektierten Sonnenlichts ändert sich periodisch während des Umlaufs. Durch die geringfügige, aber messbar erhöhte Frequenz der Änderungen sehen wir den Effekt, den DART hinterlassen hat. Diese Erkenntnisse können wir auf den Umlauf von Asteroiden um die Sonne übertragen, also auf die Bahn, die einen Asteroiden in gefährliche Nähe zur Erde bringen kann.

Was würde ein Asteroid wie Dimorphos anrichten, wenn er auf die Erde träfe?

Dimorphos kann auf seiner Umlaufbahn der Erde nicht nahekommen. Ein Asteroid seiner Größe, etwa 160 Meter Durchmesser, würde allerdings verheerende Schäden anrichten, wenn er die Erde träfe. Ein mehrere Kilometer großer Krater könnte eine Großstadt auslöschen und eine ganze Region verwüsten. Das Problem ist: Es gibt sehr viele Asteroiden, die so groß wie Dimorphos oder etwas kleiner oder größer sind, und die wir alle noch nicht kennen.

Wenn so viele Asteroiden noch unentdeckt sind, ist das Risiko einer Katastrophe nicht unkalkulierbar?

Unter den wirklich großen Asteroiden, mit mehreren Kilometern Durchmesser, die einen Kontinent auslöschen und eine globale Katastrophe verursachen würden, finden wir gottlob fast alle. Organisationen wie das Minor Planet Center und Suchprogramme der NASA sorgen dafür. Zahlreiche Teleskope behalten diese ständig im Blick. Statistisch geschieht ein Einschlag eines solchen Asteroiden auf die Erde einmal in Hunderttausenden von Jahren. Die kleineren sind viel häufiger. Bei denen von Dimorphos-Größe aufwärts haben wir etwa 10.000 entdeckt und 17.000 noch nicht. Und von den noch kleineren, ab etwa 50 Meter Durchmesser, die beim Eintritt in die Erdatmosphäre nicht verglühen würden, ist das Verhältnis von entdeckten zu unentdeckten noch schlechter und die Zahl der unentdeckten noch größer.

Haben wir überhaupt eine Chance zu reagieren, und können, wie DART, einen Asteroiden ablenken?

Prof. Alan Harris.

Momentan brauchen wir fünf bis zehn Jahre, um eine Abwehrmission zu planen, zu bauen und durchzuführen. Wenn wir einen Asteroiden kennen und merken, dass er seine Umlaufbahn in eine ungünstige Richtung verändert, zum Beispiel durch Effekte wie den Strahlungsdruck der Sonne oder die Schwerkraft benachbarter Planeten, hätten wir so viel Zeit. Wir könnten dann vielleicht eine sanftere Ablenkungsmethode anwenden als DART: den gravity tractor. Dazu würde eine Sonde den Asteroiden anfliegen, bis die Schwerkraft beginnt, die Sonde anzuziehen. Diese würde dann ihr Triebwerk gegen die Anziehungskraft des Asteroiden richten. Mit nur so viel Schub, dass die Anziehung ausgeglichen und die Position erhalten wird.

Dadurch nimmt die Sonde den Asteroiden in Schlepptau und ändert seine Umlaufbahn um die Sonne ausreichend stark. Mit einem lang andauernden Laser- oder Ionenstrahl könnte das auch gelingen. Allerdings würde der gravity tractor allein vor Ort – Planung, Bau und Flug nicht mitgerechnet – Jahre brauchen. Ein kinetischer Impactor, wie DART, erzielt den Effekt sofort.

Für den Fall, dass der Aufprall nicht gelingt oder der Effekt zu gering ist, müsste man aber im Ernstfall eine zweite Impactmission vorhalten. Im Idealfall schickt man vorher eine Erkundungsmission zu dem Asteroiden. Man kann so die Beschaffenheit und Masse bestimmen – etwas, das wir bei DART und Dimorphos nicht taten – und damit die Impactmission gezielt dimensionieren. Aber das braucht wieder Extrazeit.

Bei einem neu entdeckten Asteroiden haben wir diese Zeit nicht …

Wahrscheinlich nicht. Je kleiner der Asteroid, desto weniger. Der Himmelskörper, der im Februar 2013 unweit von Tscheljabinsk, Russland, in einer Höhe von etwa 25 km explodierte, hat Tausende Gebäude beschädigt und etwa 1500 Menschen verletzt. Der Asteroid war wohl nur 20 Meter groß, kam aus dem Tageshimmel und wurde vorab nicht entdeckt. Ein Asteroid von etwa 50 Metern könnte bereits eine größere Region verwüsten und viele Tote fordern.

Ihn sollten wir wenigstens einige Wochen oder Monate vorher entdecken. Für eine Abwehrmission zu spät, aber für eine Evakuierung der gefährdeten Region ausreichend. Ab 100 Metern Durchmesser ist das gefährdete Gebiet für eine Evakuierung zu groß, in dieser Größenklasse wird aber die Entdeckung leichter und die Vorlaufzeit größer. Also müssen wir Abwehrmissionen wie DART weiter testen, besser und schneller machen.

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Notfalls hilft noch eine Atombombe?

Kein Wissenschaftler und hoffentlich niemand will einen solchen Einsatz. Wenn aber andere Abwehrmaßnahmen nicht funktioniert haben und uns die Zeit davonläuft, wäre das die letzte Option. Das Problem: Eine solche Mission kann man nicht testen. Ohne akute Gefährdung ist ein Kernwaffeneinsatz in Atmosphäre und Weltraum international verboten und für die meisten Staaten tabu. Verschiedene Studien haben allerdings gezeigt: Eine nukleare Explosion in der Nähe eines großen Asteroiden könnte seine Umlaufbahn sehr effektiv ändern. Im Falle eines kleinen Objekts, kleiner als 100 Meter, könnte der Asteroid kurz vor der Ankunft an der Erde so zerlegt werden, dass die Bruchstücke an der Erde vorbeifliegen oder weitgehend in der Atmosphäre verglühen.

Würden sie mit Stephen Hawking und Elon Musk mitgehen, dass Asteroiden und Kometen die wohl größte Bedrohung für uns Menschen sind?

Ein sehr großer Asteroid könnte die Menschheit tatsächlich auslöschen. Die Folgen wären wohl noch gravierender als bei einem Atomkrieg oder Klimakatastrophe. Kometen können sich der Erde auf einer extrem elliptischen Umlaufbahn sehr schnell und mit großer Energie und ähnlichem Risiko nähern. Die statistische Wahrscheinlichkeit für einen Einschlag ist aufgrund der vergleichsweise geringen Zahl von Kometen aber extrem gering. Und das gleiche gilt für große Asteroiden, die wir ja kennen und beobachten. In den nächsten Jahrzehnten glaube ich nicht an ein Ereignis, das schlimmer ist als Tscheljabinsk. Und in spätestens 100 Jahren sollte die Menschheit mehrere Abwehrmethoden beherrschen – wenn wir nach DART weitermachen. Klimawandel und Nuklearwaffen sind heute die realistischere Bedrohung.

(bsc)