Nord Stream 1 und 2: EU droht wegen möglicher Sabotage mit Sanktionen

Die Wahrscheinlichkeit eines Sabotageaktes an Nord Stream 1 und 2 durch einen staatlichen Akteur steigt. Die EU droht in einem solchen Fall mit Sanktionen.

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(Bild: -strizh-/Shutterstock.com)

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  • dpa
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Im Westen wächst die Überzeugung, dass die Lecks an den Gas-Pipelines Nord Stream 1 und Nord Stream 2 auf einen Sabotageakt zurückzuführen sind. Alles deute auf eine vorsätzliche Handlung hin, erklärte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell am Mittwoch im Namen der 27 Mitgliedstaaten. Zugleich drohte die EU den Verantwortlichen mit Sanktionen. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sprach von Sabotage. Und auch Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, hatte bereits am Dienstag den möglichen Tätern mit Konsequenzen gedroht. Mit Schuldzuweisungen hielten sich westliche Politiker jedoch zurück. Russland wies jede Verantwortung von sich.

In der Nacht zum Montag war zunächst in einer der beiden Röhren der nicht genutzten Pipeline Nord Stream 2 ein starker Druckabfall festgestellt worden. Später meldete der Nord-Stream-1-Betreiber einen Druckabfall auch in diesen beiden Röhren. Dänische Behörden entdeckten schließlich insgesamt drei Lecks an den beiden Pipelines. Mehrere Länder brachten bereits am Dienstag einen Anschlag auf die europäische Gasinfrastruktur als Ursache für die als beispiellos geltenden Schäden ins Spiel.

Ein Sprecher der Nord Stream 2 AG sprach am Mittwoch von einem möglichen "Riesenriss". Ein Sprecher der Nord Stream AG sagte, es sei "beispiellos", dass innerhalb kurzer Zeit derartige Schäden an mehreren Leitungen eingetreten seien.

EU-Chefdiplomat Borrell betonte, man sei über die Schäden sehr besorgt. "Diese Vorfälle sind kein Zufall und gehen uns alle an", erklärte der Spanier. "Alle verfügbaren Informationen deuten darauf hin, dass diese Lecks das Ergebnis einer vorsätzlichen Handlung sind." Man werde jede Untersuchung unterstützen, die Klarheit schaffen solle. Zugleich machte er deutlich, dass jede vorsätzliche Störung der europäischen Energieinfrastruktur inakzeptabel sei und "mit einer robusten und gemeinsamen Reaktion beantwortet" werde. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen hatte sich ähnlich geäußert.

Ein Sprecher der Bundesregierung sagte am Mittwoch, dass es "keine natürliche Ursache für diesen Vorfall geben kann". Auf die Frage, ob es sich um einen Anschlag handele, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit: "Ich würde das im Augenblick gar nicht beschreiben."

Die Ukraine hatte bereits am Dienstag Russland für die Lecks verantwortlich gemacht. So solle die Energiekrise in Europa verschärft und Panik vor dem Winter ausgelöst werden.

Kremlsprecher Dmitri Peskow wies derlei Schuldzuweisung am Mittwoch zurück. "Es ist ziemlich vorhersehbar und vorhersehbar dumm und absurd, solche Annahmen zu treffen", sagte er nach Angaben der Agentur Interfax. Die Schäden seien auch für Russland ein großes Problem. Beide Stränge von Nord Stream 2 seien mit Gas gefüllt. "Dieses Gas kostet viel Geld, und jetzt entweicht es in die Luft."

Bevor irgendwelche Aussagen gemacht würden, müssten Untersuchungen an den Lecks abgewartet und festgestellt werden, ob es sich um eine Explosion oder nicht gehandelt habe, sagte Peskow. Zudem forderte er, dass Russland an der Aufklärung der Vorfälle beteiligt werden solle. Peskow selbst hatte Sabotage bereits am Dienstag nicht ausgeschlossen. Russland forderte wegen der Lecks an den Nord-Stream-Gaspipelines eine Sondersitzung des UN-Sicherheitsrats. Wann die Lecks untersucht werden können, war unklar. Da so viel Gas in den Leitungen sei, könne es eine oder zwei Wochen dauern, bis ausreichend Ruhe in dem Gebiet eingekehrt sei, um die Lecks in etwa 80 Metern Tiefe untersuchen zu können, sagte der dänische Verteidigungsminister Morten Bødskov in Brüssel. Später erklärte die dänische Energiebehörde allerdings, dass bereits mehr als die Hälfte des Gases aus den betroffenen Leitungen entwichen sei. Voraussichtlich am Sonntag sollen die Leitungen demnach leer sein, wie Behördenchef Kristoffer Böttzauw sagte.

Der Betreiber der Pipeline Nord Stream 1 schloss eine Reparatur des beschädigten Doppelstrangs grundsätzlich nicht aus. Zurzeit sei allerdings gar nichts auszuschließen, sagte ein Sprecher der Nord Stream AG der Deutschen Presse-Agentur. Für eine genaue Beurteilung müssten zunächst die Schäden begutachtet werden. Es gebe Erfahrungen und Anbieter für mögliche Arbeiten. Man wolle die Schäden so schnell wie möglich inspizieren, das setze aber voraus, dass die Behörden die verhängten Sperrzonen aufhöben.

Auch der Nord Stream 2 AG sind die genauen Schäden an ihrer weitgehend parallel verlaufenden Pipeline nach eigenen Angaben noch unbekannt. Es könne "kein Mensch momentan seriös sagen, wie es da unten aussieht" und welche technischen Möglichkeiten es nun gebe, sagte Sprecher Ulrich Lissek.

Die Lecks befinden sich nach Angaben des dänischen Ministers Bødskov in internationalen Gewässern in den Ausschließlichen Wirtschaftszonen Dänemarks und Schwedens. Beide Länder hatten nach der Entdeckung Sicherheitszonen für die Schifffahrt errichtet. Schiffe dürfen das Gebiet um die Lecks in einem Radius von fünf Seemeilen (knapp 9,3 Kilometer) nicht passieren.

Nato-Generalsekretär Stoltenberg schrieb am Mittwoch auf Twitter, in einem Gespräch mit dem Bødskov sei es um "die Sabotage" der Pipelines gegangen. Zudem hätten sie über den Schutz der kritischen Infrastruktur in den Nato-Staaten gesprochen. Auch Borrell erklärte, man werde Schritte unternehmen, um die Energiesicherheit robuster zu machen. Bødskov selbst betonte, dass es sich nicht um kritische Infrastruktur seines Landes handle.

Das Bundesinnenministerium erklärte zur Sicherung der Infrastruktur in Deutschland, die Maßnahmen würden immer an die Lage angepasst, auch vor dem Hintergrund der aktuellen Lage. Eine "abstrakte Gefährdungslage" für die kritische Infrastruktur sei immer anzunehmen, nicht nur nach dem aktuellen Vorfall.

Das Umweltbundesamt ist nach den Lecks besorgt über freitretendes Methan. Nach Berechnungen der Behörde führen die Schäden zu etwa 7,5 Millionen Tonnen an sogenannten CO₂-Äquivalenten. Das entspreche etwa einem Prozent der deutschen Jahres-Gesamtemissionen, teilte die Behörde am Mittwoch mit. Die Berechnung stütze sich auf geschätzte Informationen zu Füllzustand und Volumen der beiden Pipelines. Zur besseren Vergleichbarkeit werden andere Treibhausgase in CO₂-Äquivalente umgerechnet. Maßstab ist ihr jeweiliger Beitrag zur Erderwärmung im Vergleich zu Kohlendioxid.

(olb)