Bits & Bäume 2022: Forderung nach einem Reset

Digitalisierung muss umwelt- und klimagerecht werden. Das fordern Wissenschaftler im Bericht „Digital Reset“ zum Auftakt der Bits & Bäume-Konferenz.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht

(Bild: PeachShutterStock / Shutterstock.com)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Christiane Schulzki-Haddouti
Inhaltsverzeichnis

An diesem Wochenende findet in Berlin die Konferenz „Bits&Bäume“ zum zweiten Mal statt. 2018 hatten die Organisatoren auf der Tagung selbst noch mühsam zu gemeinsamen Positionen finden müssen, denn die digitalen und die ökologischen Debatten fanden damals weitgehend nebeneinander statt. „Diesmal geht es nicht mehr nur um das Kennenlernen von Techies und Ökos“, sagt Mit-Initiator und -Organisator Rainer Rehak vom Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF), „sondern es gibt mehr Raum für Allianzen mit Politik und Wirtschaft“.

Als Anstoß für die politische Debatte stellte Tilman Santarius von der TU Berlin zu Beginn der Konferenz gemeinsam mit Kollegen unter anderem von der Universität Zürich und University of Sheffield den Bericht „Digital Reset“ vor. Die darin präsentierten Zahlen konterkarieren die gängige Selbstdarstellung der Big-Tech-Konzerne als industrielle Nachhaltigkeitsvorreiter.

Schon heute entfallen auf digitale Geräte rund 8 Prozent des weltweiten Stromverbrauchs. Diese dürfte bis 2030 um 50 bis 80 Prozent steigen. Insbesondere der Energieverbrauch der Big-Tech-Konzerne Alphabet und Meta steigt jährlich um 6 bis 7 Prozent. Sowohl Umsatz als auch Energieverbrauch stiegen in den vergangenen sechs Jahren parallel, womit die Geschäftsentwicklung der Konzerne direkt an ihren Energieverbrauch gekoppelt ist. Der Report kommt zu dem Schluss, dass die Unternehmen trotz ehrgeizig formulierter Klimaziele nicht auf das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens zusteuern.

Die Forscher sehen mehrere sozialwirtschaftliche Herausforderungen. So treibe die Digitalisierung die „Polarisierung von Einkommen, von Prekarisierung, von Niedriglohnjobs im Servicebereich“ mit an. Zudem hätten sich – einhergehend mit der Privatisierung und Aneignung von öffentlichen Gütern – nicht zuletzt dank neuer Überwachungsmöglichkeiten monopolisierte, proprietäre Märkte gebildet.

Für Tilman Santarius steht fest: „Mit der zunehmenden Macht auf den digitalen Märkten, mit der zunehmenden Macht und dem Zugriff auf Daten, zu Profilen, zu Trends, zu Meinungen, zu Vorlieben, zu Marktentwicklungen sichern sich die Konzerne die Märkte der Zukunft.“ Dies reiche bis zu Manipulationen und Beeinflussungen von Wahlen – Stichwort Cambridge Analytica. Angesichts dessen, dass die Digitalisierung eher dazu beitrage, die bestehend sozialen und ökologischen Krisen zu verschärfen, brauche es jetzt „eine grundlegende Neuausrichtung der Digitalisierung“, sagt Santarius: „Es braucht einen Digital Reset.“

Zum „Digital Reset“ gehört es nach Auffassung der Forschenden, nicht die Symptome, sondern die Ursachen von nicht-nachhaltigen Produktions- und Konsumweisen anzugehen. Die bisherigen Regulierungsansätze zu Digital Governance auf europäischer Ebene würden jedoch bis auf Verbraucherrechte und Datenschutz keine sozialen und ökologischen Ziele verfolgen, kritisiert Santarius. Allein wie bisher auf Effizienzmaßnahmen zu setzen, genüge nicht, nötig sei es „den ökologischen Fußabdruck von digitalen Geräten zu verringern“ – und zwar in den klimapolitischen Sektoren wie Energie, Industrie, Landwirtschaft und Mobilität. Gleichzeitig müsse aber auch die Nachhaltigkeitspolitik in diesen Sektoren digitaler werden und Digital Governance wiederum nachhaltigkeitsorientiert werden. Das heißt, dass Daten auf dem Weg zur Kreislaufwirtschaft helfen – und dass dies seitens der Politik mit starken Anreizen vorangebracht wird.

Das bedeutet, dass „zukünftige Maßnahmen sich stärker an der Kreislaufwirtschaft sowie an der Suffizienz ausrichten müssen“, erklärt Santarius. Für Rechenzentren heißt das etwa Strom aus erneuerbaren Energien zu beziehen und Abwärme sinnvoll zu nutzen, die Kühlung effizienter zu gestalten und im Wärme-Kreislauf bereitzustellen. Im Sektor Mobilität würde das bedeuten, dass digitale Technologien Multi-Modalität und virtuelle Kommunikation unterstützen, damit weniger Individualverkehr auf der Straße ist und dabei weniger Personenkilometer zurückgelegt werden. Ein wichtiger Aspekt ist hierbei, Verkehrsanbietern relevante Daten zugänglich zu machen.

Der Report stellt den Suffizienz-Gedanken ins Zentrum, was eine „moderate Nutzung von Digitalisierung“ meint. Zur Suffizienz gehört es etwa, die Nutzungsdauer der Geräte zu verlängern – etwa indem sie modular, standardisiert sowie reparier- und updatefähig werden. „Wenn Geräte länger genutzt werden, hat das den größten ökologischen Effekt auf den Fußabdruck der Geräteproduktion“, sagt Santarius. 80 Prozent des Fußabdrucks des iPhone 8 entfalle auf die Produktion, 20 Prozent auf die Nutzung.

Der Effekt einer verlängerten Nutzung gehe „weit über eine Effizienzsteigerung der Prozessoren, der Grafikkarten oder der Akkus hinaus“, betont Santarius. Ein weiterer Aspekt der Suffizienz bezieht sich auf die Geschäftsmodelle: Ein Switch vom Verkauf zum Verleih der Geräte unterstützt Suffizienz, ebenso das Prinzip der Datensparsamkeit. Konzerne wie Meta und Alphabet treiben Datenübermittlungen und die Nutzung digitaler Dienstleistungen systematisch nach oben – dabei müsse die Digitalisierung auf „so wenig wie möglich“ optimiert werden, betont der „Digital Reset“-Bericht.

Im Rückblick auf die erste Bits & Bäume-Konferenz 2018 in Berlin sieht Mit-Organisator Tilman Santarius den digitalökologischen Diskurs heute „viel reifer“: „Es gibt mehr Wissen, es gibt mehr konkrete Vorschläge, was anders zu tun ist. Und es gibt auch erste politische Initiativen.“ Doch trotz der klaren Benennung dessen, was nun zu tun ist, stellt Mit-Organisator Rainer Rehak fest, bestehe weiterhin das Problem, dass die Politik in „einem totalen Disconnect“ die Notwendigkeit einer digitalökologischen Transformation ignoriere. Zwar gebe es viele vage Veränderungsideen, doch die Dringlichkeit des Handelns sei trotz globaler Bewegungen wie Fridays-for-Future auch in der Ampel-Koalition noch nicht angekommen.

Ein konkretes Beispiel dafür ist die Ankündigung von FDP-Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger, die Entwicklung „verantwortungsvoller" und „gemeinwohlorientierter" KI-Systeme zu fördern. Dabei soll es verstärkt um die Bekämpfung der Coronapandemie sowie Nachhaltigkeit, Umwelt- und Klimaschutz gehen.

Die Regierung Merkel hatte für die KI-Strategie 5 Mrd. Euro bis 2025 versprochen. Im Haushalt veranschlagt wurden bisher nur 2,5 Mrd. Euro und an 13 Ministerien verteilt, darunter 1 Mrd. Euro an das BMBF. Das Bundesumweltministerium förderte mit den Mitteln beispielsweise KI-Leuchttürme für Nachhaltigkeit. Trotz der jüngsten Ankündigung von Stark-Watzinger gibt es seitens der Ampel-Regierung aber keinen Anlauf, die von Merkel versprochenen weiteren 2,5 Mrd. Euro bereitzustellen. Auch ist kein Konzept zu erkennen, welche Förderprojekte nun aufgesetzt werden sollen.

Wie sehr in den vergangenen vier Jahren der digitalökologische Diskurs gereift ist, zeigt sich nicht nur am prallen Programm der Bits & Bäume 2022, sondern auch daran, dass die Organisatoren bereits Anfang September vorab gemeinsame Forderungen vorstellten. Darin unterstreichen 13 Organisationen aus Umwelt-, Klima- und Naturschutz, Digitalpolitik, Entwicklungszusammenarbeit und Wissenschaft, dass die Digitalisierung sozialökologisch gestaltet werden müsse, um den Umbau in eine klimaneutrale Gesellschaft und Wirtschaft innerhalb der planetaren Grenzen zu befördern. Doch das könne ohne eine klare politische Unterstützung nicht gelingen. Die Forderungen sollen auf der Konferenz weiter vertieft diskutiert werden.

Das diesjährige Programm wird in zwei Gebäuden der TU Berlin in 17 Räumen parallel plus Forum veranstaltet. Alle Vorträge werden aufgezeichnet, nicht aber Workshops. Der Chaos Computer Club organisiert das Streaming.

(mki)