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Was war. Was wird. Mit Vierfach-Rumms und Doppel-Wumms

Angesichts der Umweltkatastrophe durch die Pipeline-Anschläge ist Hal Fabers Vorfreude aufs lange Wochenende begrenzt. Mehr Wumms als Rumms wünscht er sich.

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Neben ihrer Schönheit haben Herbstblüten einen entscheidenden Vorteil: Sie erzeugen keinen Lärm. Wie schrieb schon Arthur Schoppenhauer: "Am Baum des Schweigens hängt seine Frucht, der Friede." Nach so viel Wumms und Rumms der Woche wäre Stille eine Wohltat.

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

*** Vier Löcher in der Pipeline und viele offene Fragen: der Dreiklang aus einer Teilmobilmachung in Russland, erfolgreich verlaufende Zwangs-Referenden in den russifizierten Wurmfortsätzen a.k.a. Volksrepubliken Donezk und Luhansk und schließlich die Detonationen am Montag wird mitsamt den Folgen noch lange zu hören sein. Mitunter mit schiefen Tönen wie dem Begriff vom "Sozialtourismus", den Oppositionsführer Friedrich Merz übernahm, um vor den Ukrainern zu warnen, die angeblich Sozialleistungen abgreifen und vor den Russen, die wegen der Mobilmachung das Land verlassen und nach Deutschland wollen. Hübsch, dass Merz mit dem Unwort des Jahres 2013 der perfekte Tritt ins Fettnäpfchen gelang, nachdem der Spiegel den Trumpismus light von März kritisiert hatte: "Eine gewisse Seriosität aber darf man von Konservativen erwarten. Sie sollen sich auf ihre Werte besinnen. Attacken sind in Ordnung, solange sie auf Fakten basieren und der Wahrheit entsprechen." Doch was ist, wenn die Fakten eine Sprache sprechen, die einer wie Merz gar nicht versteht?

Leitungen ganz ohne Rums und Lochfraß

*** Vom erwähnten Dreiklang sind die Löcher in den Pipelines besonders erwähnenswert. Die Bundeswehr spricht von einer "bemerkenswerten Abfolge der Ereignisse", die tageszeitung schreibt über die "Spekulationsblase", die nun in der Ostsee bis Sonntag zu sehen sein soll und macht ein großes Fass zu den Pipelines, die niemand mehr haben will: "Sobald auf die Pipelinesprengung in der Ostsee ein weiterer, unzweideutig russischer Angriff auf kritische Infrastruktur von Nato-Staaten erfolgt, steht Artikel 5 der Nato-Charta und damit die kollektive Selbstverteidigung im Raum – das, meinen manche, erhöht das Risiko eines dritten Weltkriegs. Das sind Horrorszenarien, und sie will niemand. Aber es wäre verkehrt, sich von ihnen leiten zu lassen. Dass die von niemandem mehr gewollten Pipelines in der Ostsee jetzt auch noch kaputtgehen, ist eigentlich völlig egal." Das ist eine beruhigende Aussage – für aufgeregte ordentliche Verschwörungstheoretiker gilt das natürlich nicht. Hans-Georg Maaßen zeigt mit einem Foto vom US-Flottenverband im Fehmarnbelt, wen er für verdächtig hält. Auch für Fefe ist der Fall klar. Kim Dotcom zeigt sich in einem Tweet überzeugt davon, dass es US-Amerikaner oder ihre Tauchdrohnen warnen und will partout nicht an diesen Terrorstaat ausgeliefert werden. Für den Terrorstaat Russland spricht, dass so die vertragliche Verpflichtung zur Lieferung von Gas ausgehebelt werden kann, wie es der ehemalige BND-Chef Schindler in der Springer-Presse ausführte. Aus der Sicht von Putin könnte es das Motiv geben, möglichen Nachfolgern die Verhandlungsmasse für künftige Friedensverhandlungen kaputtzumachen. Leider hinter einer Paywall heißt es in der Zeit: "Wenn Putin geht, enden die Kampfhandlungen, und das höchstwahrscheinlich relativ rasch. Russland zieht sich hinter die Grenzen vom 23. Februar 2022 zurück, und von dieser Position aus wird es Verhandlungen anbieten." Doch wie "geht" Putin.

*** So schlimm und umweltschädlich die vier Lecks auch sind, so sollte man die Dimensionen bedenken: Wahrscheinlich emittieren sie 7,5 Millionen CO₂-Äquivalenten, bis die Pipelines in einer Woche leer sind. Das entspricht 1 Prozent der deutschen Gesamtemissionen in einem Jahr, um einmal die wahren Dimensionen des Fossil-Terrorismus mit Gas und Kohle zu benennen. Außerdem sind es nicht einmal "unsere" Emissionen: Technisch werden sie wohl Dänemark und Schweden zugerechnet, sollte das Gas nicht in internationale Gewässern blubbern. Dann ist nämlich kein Staat für die Berechnung der Belastungen zuständig. So elegant lösen sich manche Probleme. Als Problem bleiben die kritischen Infrastrukturen, für die es viele warme Worte gibt. Man denke nur an die zahlreichen Unterwasserleitungen für unsere süßen Datenpäckchen. Alles muss geschützt werden, nun auch die Routen für das Flüssiggas. Bundeswehr und Marine bekommen viel zu tun, auch die Bundespolizei will mindestens vier weitere Schiffe der Potsdam-Klasse. Die deutsche Bundespolizeigewerkschaft fordert für sie einen mittleren dreistelligen Millionenbetrag. Bleibt die Frage, was die deutsche Luftaufklärung mit ihren Orion-Flugzeugen gesehen hat, die bekanntlich das fliegende Auge der Flotte sind. Erinnerungen an den 2013 gestoppten Eurohawk werden wach, die Aufklärungsdrohne, die über der Ostsee pendeln sollte, aber als fundamentales Missverständnis abgewrackt wurde. Weil die Angst vor dem Atomkrieg in den 50ern die Mär von der Reichsluftscheibe produzierte, "die bizarrste 'Ente', die je eine Druckerpresse verließ", könnten ähnliche Gebilde bald mit den Russen-Pipelines in Verbindung gebracht werden. Nein, das ist kein Witz.

*** Ob Witz oder fundamentales Missverständnis, die Vorratsdatenspeicherung beschäftigt wieder einmal die deutsche Politik. Zur aktuellen Debatte im Bundestag zeigte vor allen die CDU/CSU, wie man kunstvoll auf einem toten Pferd reiten kann. Die Rede war vom "Autokennzeichen im Netz", der Vorwurf vom "Datenschutz als Täterschutz" durfte auch nicht fehlen und die Mindestpeicherdauer unser aller Kommunikation auf Vorrat sollte bescheidene sechs Monate betragen. Das beißt sich leicht mit der Angabe von "wenige(n) Wochen, damit wir die Täter noch ermitteln können", die SPD-Ministerin Nancy Faeser gerne nennt, sich dabei auf Praktiker berufend. Bleibt die Frage, wer eigentlich die Praktiker sind, auf die man sich so gerne beruft. Die angebliche Flutwelle von Kinderpornographie, die auf die Aufhellung des Dunkelfeldes durch 302.250 Meldungen des National Center for Missing and Exploited Children zurückgeht, durfte natürlich auch nicht fehlen.

*** Deutschland kann sich mit Kanzler Olaf Scholz freuen, dass ein finanzieller Doppelwumms im Anmarsch ist. Wie schreibt eine kluge Frau: "Dieser Wumms – der erst mal rein psychologischer Natur ist, denn die Details der Preisbremse sind noch unklar – wird teuer, ist aber bitter nötig. Denn es geht nicht nur darum, die deutsche Wirtschaft vor dem Kollaps zu retten, sondern auch darum, den gesellschaftlichen Zusammenhalt, mithin die Demokratie zu stabilisieren." Vom Stabilisieren träumten sie auch anderswo. So hat es in Großbritannien einen Doppelrumms gegeben, der stabilisieren sollte. Das vom britischen Finanzminister Kwasi Kwarteng am letzten Freitag vorgestellte "Mini-Budget" mit Steuererleichterungen von 45 Milliarden Pfund Sterling sorgte dafür, dass das Pfund unter der Woche abstürzte und Pensionsfonds so in Nöten brachte, dass die Notenbank mit Stützkäufen eingreifen musste. Den massiven Steuersenkungen fehlt ein Gegenstück, das dem Staat Einnahmen bringt. Die bejubelten 38 Quasi-Investitionszonen, die eingerichtet werden sollen, können das nicht sein, denn in diesen Zonen müssen weder Gewerbesteuern noch Sozialversicherungsbeiträge gezahlt werden.

Morgen ist ein Feiertag, was eigentlich ganz OK ist, aber zum Feiern gibt es in Doppelwummsland nicht viel. Wie wäre es, sich am Tag der offenen Moscheen sich nicht nur mit der Energiekrise und dem Islam zu beschäftigen, sondern mit dem Kopftuchzwang, der im Iran gerade infrage gestellt wird. So ist die iranische Fußball-Nationalmannschaft bei einem Spiel in schwarzen Trainingsjacken aufgelaufen, die das Nationaltrikot verdeckten, aus Solidarität mit den Frauen im Iran. Andererseits gibt es Versuche, den Iran von der WM in Katar auszuschließen.

Annalena Baerbock mag sich freuen, dass die "Time" sie als Doppelwumms sieht, doch die Art und Weise, wie deutsche Außenpolitik den Iran sanft ermahnt, könnte verbessert werden. Das Verhältnis wird durch Verträge zum Nuklearabkommen geprägt und spottet der feministischen Außenpolitik, mit der Baerbock begann. "Wenn die Frauenrechtsproteste im Iran kein Fall für eine feministische Außenpolitik sind – dann gibt es keine feministische Außenpolitik." Solch einen Satz kann die Außenministerin natürlich nicht verknusen und antwortete im Bundestag mit ihrer eigenen Logik: "Wenn das iranische Regime im Namen der Religion Frauen niederknüppelt, dann hat das nichts, aber auch gar nichts mit Religion zu tun! Es ist Ausdruck eines Machtsystems, das auf Erniedrigung und Gewalt basiert." Und auf Software zur Gesichtserkennung, die Vorratsdatenspeicherung nicht zu vergessen.

(mawi)