Zweites Leben mit Linux: Extra schlanke Distributionen​ für Spezialeinsätze

Anders als bei Windows stehen Unternehmen bei Linux selbst für die ältesten und schwächsten Geräte noch einige Betriebssystem-Optionen zur Wahl. Teil 3 von 3.​

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Von
  • Tim Schürmann
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Wenn die alte Hardware den hohen Ansprüchen von Windows 11 nicht mehr gerecht wird, muss man die Geräte nicht gleich entsorgen. Vielmehr ist in solchen Fällen Linux eine interessante Option: Die verschiedenen Distributionen sind deutlich weniger ressourcenhungrig als Microsofts Betriebssystem. Neben den bereits vergangene Woche vorgestellten Enterprise-Distributionen gibt es noch eine Vielzahl weiterer Linux-Systeme, die auf spezielle Einsatzgebiete abzielen. Einige Entwickler trimmen ihre Distributionen gezielt auf einen möglichst kleinen Umfang.

Ein prominentes Beispiel ist Alpine Linux, das sehr gerne als Unterbau in Docker-Containern zum Einsatz kommt. Extra für diesen Anwendungsfall stellt das Alpine-Linux-Team ein Mini-System in Form eines kleinen Root-Filesystems bereit, das gerade einmal knapp 7,1 MByte belegt (das ist kein Schreibfehler). Das Standard-System von Alpine Linux wiegt zwar mit rund 160 MByte mehr, damit aber dennoch deutlich weniger als die meisten Konkurrenten. Auf Wunsch läuft die Distribution komplett im Hauptspeicher (Run-from-RAM-Distribution). Obendrein legen die Entwickler den Fokus auf die Sicherheit. Unter anderem sind alle Userland-Werkzeuge explizit gegen Angriffe gehärtet.

Alpine Linux eignet sich somit besonders gut als Unterbau für schwachbrüstige Server oder Router. Für diese Einsatzzwecke steht noch eine Extended-Fassung mit weiteren Softwarepaketen bereit, dessen Startmedium auf knapp 775 MByte kommt – womit es immer noch auf eine CD passt. Beim benötigten Hauptspeicher ist sich das Alpine Linux Wiki etwas uneins: Laut Installationsanleitung genügen bereits 100 MByte, gemäß der Seite mit den Systemanforderungen sind es 128 MByte und 512 MByte in der 64-Bit-Version. Letzteres gilt zudem nur für ausgewählte Architekturen. Die Installation und Wartung von Alpine Linux erfolgt auf der Kommandozeile und setzt tiefergehende Linux-Kenntnisse voraus. Des Weiteren verwendet die Distribution einen eigenen Paketmanager und besonders schlanke Komponenten. So stellt Busybox die Standard-Linux-Tools bereit, als C-Bibliothek kommt die Musl Libc anstelle der sonst üblich Glibc zum Einsatz. Das kann unter Umständen zu Kompatibilitätsproblemen mit bestehenden Skripten oder Programmen führen. Alpine Linux betreut die Community, professionellen Support darf man von den Entwicklern nicht erwarten.

Alpine Linux existiert in verschiedenen Varianten für unterschiedliche Einsatzzwecke und Plattformen.

(Bild: Screenshot Alpine Linux)

Die Smallest Server Suite (kurz TheSSS) wiegt ähnlich wie Alpine Linux nur rund 150 MByte und läuft vollständig im RAM. Mit ihr lässt sich schnell ein Server hochfahren, der unter anderem als DNS-, Mail-, MySQL- oder Webserver arbeiten kann. TheSSS eignet sich vor allem, wenn man einen Testserver benötigt oder einen plötzlich ausgefallenen Dienst schnell (vorübergehend) ersetzen muss. Es genügt dann, einen ausgemusterten PC hervorzukramen und auf ihm TheSSS zu zünden. Sofern man die Distribution installiert, genügen 128 MByte Hauptspeicher, im Run-from-RAM-Modus sind 1,3 GByte nötig. TheSSS liegt allerdings nur in einer 64-Bit-Fassung vor, ältere 32-Bit-Atom-Systeme lassen sich folglich nicht als Test- oder Notfallsystem nutzen. Das Gleiche gilt für 4MLinux, auf dem TheSSS basiert. 4MLinux geht zwar ebenfalls sparsam mit den Ressourcen um, das Installationsmedium umfasst aber bereits 1 GByte. Das verwundert etwas, basiert TheSSS doch auf 4MLinux.

4MLinux nutzt den schlanken Window Manager JWM. Über das Menü lassen sich schnell zahlreiche Serverdienste hochfahren.

(Bild: Screenshot 4MLinux)

Im Internet findet man viele weitere extrem schlanke Distributionen, etwa die Puppy-Linux-Familie. Diese Systeme betreut jedoch meist ein nur kleines Team. Support gibt es – wenn überhaupt – nur in öffentlichen Foren oder auf Mailinglisten. Auch bei TheSSS und 4MLinux mangelt es an professioneller Unterstützung. Mitunter muss man zudem mit nicht ganz brandaktuellen Programmversionen auskommen oder länger auf Sicherheitspatches warten. Wer ein möglichst schlankes System dauerhaft produktiv betreiben möchte, sollte daher dem in der Praxis bewährten Alpine Linux den Vorzug geben.

Dank Spezial-Distributionen kann man schließlich noch einen ausgemusterten Rechner einem komplett neuen Zweck zuführen. So lässt sich ein Server beispielsweise mit IPFire in eine leistungsfähige und erstaunlich flexible Firewall verwandeln. Der Funktionsumfang kann auch mit kommerziellen Firewall-Systemen mithalten. So bietet IPFire ein Intrusion Prevention System (IPS), mit dem die Firewall unter anderem Angriffsversuche erkennt und blockt. Nachrichten lassen sich priorisieren (Quality of Service, QoS), über IPSec oder OpenVPN zudem ein VPN aufbauen. Erweiterungen rüsten zusätzliche Funktionen nach. IPFire arbeitet so als Monitoring-System, als Backup- und File-Server oder als (Web-)Proxy. Das deutsche Unternehmen Lightning Wire Labs aus Datteln leistet bei Bedarf professionellen Support. IPFire setzt lediglich 1 GByte Hauptspeicher und zwei Netzwerkschnittstellen voraus. Im IPFire-Wiki finden sich zudem Listen mit getesteten Hardwarekomponenten. Das System läuft auf 64-Bit-Prozessoren mit x86-Architektur und einigen Einplatinencomputern mit ARM-Prozessor wie dem Raspberry Pi.

Die schlanke Firewall-Distribution IPFire bedient man über eine Weboberfläche, die auch bequem die Firewall-Regeln verwaltet.

(Bild: Screenshot IPFire)

Die österreichische Proxmox GmbH liefert gleich drei spezialisierte Distributionen: Auf dem Proxmox Virtual Environment laufen virtuelle Maschinen und Container, das Proxmox Mail Gateway filtert Spam und Viren aus E-Mails, während sich der Proxmox Backup Server um Datensicherungen kümmert. Das Proxmox Virtual Environment (Proxmox VE) erlaubt auch Software-defined Storage sowie hochverfügbare Cluster. In allen Fällen bedient der Administrator die Systeme über eine Weboberfläche, Enterprise-Support gibt es auf Wunsch direkt bei der Proxmox GmbH.

Als Unterbau der drei Distributionen dient jeweils ein 64-Bit Debian-System. Aufgrund der anspruchsvollen Aufgaben liegen die Systemanforderungen jedoch recht hoch. Für Proxmox VE benötigt man mindestens 2 GByte Hauptspeicher und einen Prozessor mit Virtualisierungsfunktionen (Intel VT oder AMD-V). Proxmox Backup empfiehlt sogar 4 GByte Hauptspeicher. In allen Fällen kommt noch ein möglichst großer Speicherpool hinzu. Proxmox VE unterstützt unter anderem SAN- und NAS-Systeme sowie verteilten Speicher via Ceph.

Ein altgedientes Desktop-System verwandelt Porteus Kiosk in ein Kiosksystem. Diese stark limitierten Rechner dienen an öffentlichen Plätzen, wie etwa in einem Showroom, als Informationsterminal oder fungieren als Werbetafel. Ein installiertes Porteus Kiosk startet später automatisch Chrome oder Firefox im Vollbildmodus. Im Installationsassistenten schränkt man zuvor die Möglichkeiten des Browsers gezielt ein. Unter anderem kann man ihn auf ganz bestimmte Webseiten festnageln und Downloads verbieten. Das System setzt mindestens 1 GByte Hauptspeicher voraus und läuft nur auf 64-Bit-fähigen x86-Prozessoren. Porteus Kiosk lässt sich kostenlos nutzen, Zugriff auf Updates erhält man allerdings erst nach dem Abschluss eines Wartungsvertrags. Eine Variante von Porteus Kiosk verwandelt ein System in einen Thin Client, der sich via Citrix, RDP, NX, VNC oder SSH mit einem entsprechenden Server verbindet.

In Porteus Kiosk reglementiert man bequem per Maus im Kiosk Wizard, welche Aktionen später die Nutzer des Systems ausführen dürfen.

(Bild: Screenshot Porteus Kiosk)

Spenden mit Linux​

Soll ein älteres Gerät gar nicht mehr zum Einsatz kommen, bietet sich der Weiterverkauf an einen Refurbisher an. Alternativ kann man alte Rechner auch an gemeinnützige Projekte spenden. Eines der größten und besonders aktiven ist beispielsweise Labdoo. Dabei überholen Freiwillige die alten Geräte, spielen ein Linux-System auf und verschenken die Rechner dann an Schulen in ärmeren Ländern. Das Labdoo-Projekt nimmt allerdings ausschließlich Notebooks, Tablets und eBook-Reader entgegen.

Die meisten Linux-Distributionen laufen äußerst ressourcensparend und zudem auf Rechnern, die Windows 11 verschmäht. Dadurch lässt sich die Lebensdauer von Servern und Laptops deutlich verlängern. Ganz nebenbei spart man Investitionskosten und schont die Umwelt. Selbst älteren Schätzchen lassen sich mit kleinen, maßgeschneiderten Distributionen wie IPFire noch Aufgaben übertragen.

Allerdings arbeitet Linux nicht mit allen Hardwarekomponenten zusammen. Zudem nennen viele Distributoren nur schwammige Systemvoraussetzungen. Linux ist zwar deutlich genügsamer als Windows, die Desktop-Umgebungen und vor allem die Anwendungen benötigen aber ebenfalls Prozessorleistung. Hier hilft in vielen Fällen nur ausprobieren. Da die Distributionen in kostenlosen Fassungen vorliegen und mehrheitlich auch noch als Live-System direkt im Hauptspeicher laufen, liegen die Hürden für eine Probefahrt glücklicherweise äußerst niedrig.

(jvo)