Privatsphäre trotz 140 Kameras? Wie ein Altenheim in Japan das schaffen will

In Japan wird im Altenheim ein System eingeführt, das mit Kameras das Pflegepersonal unterstützt. KI in der "Edge" soll die Privatsphäre schützen.

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Pflegezimmer in einem Altenheim in Japan

Pflegezimmer in einem Altenheim in Japan.

(Bild: Panasonic)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Martin Kölling

70 Zimmer und zwei zuständige Personen für die Nachtschicht: Was zunächst nach einem äußerst schlechten Pflegeschlüssel klingt, ist im neuesten Altenheim in Tokio eigentlich eine Innovation in der Altenpflege. In der Einrichtung namens "Hitowa Care Services" hängen zwei Kameras in jedem Zimmer an der Decke, die auf die Bewohnerinnen und Bewohner achten. Die Kameras sind Teil einer Pflegeplattform "Lifelens" des Technikkonzerns Panasonic, das das Personal bei der Betreuung unterstützen soll.

Während die Kameras in den Zimmern die Bewohnerschaft im Blick hat, kann das System der Nachtschicht melden, ob Seniorinnen und Senioren aufgestanden sind. Informationen über aufgestandene Bewohner liefern auch Sensoren unter der Matratze. Sie erfassen auch den Puls. Mit der Installation der Pflegeplattform konnte man somit das Personal von den bisherigen drei auf zwei Pflegekräfte in der Nacht reduzieren. Zudem entfallen nächtliche Rundgänge, um persönlich nach dem Rechten zu sehen.

Die Idee für den "achtsamen Raum" im Seniorenheim ist einem realen Problem in Japan entsprungen, das aber weltweit die Gesundheitssysteme beschäftigt: Japan steht als Pionier der alternden Gesellschaft akuter als andere Industrienationen vor der Herausforderung, mit weniger Personal immer mehr Senioren zu betreuen.

Nur reiben sich die technologischen Möglichkeiten allumfassender Beobachtung, Datensammlung und Analyse oft mit anderen Aspekten wie zum Beispiel dem Schutz der Privatsphäre. Gerade die Datenschutzverordnung in Europa setzt bisher enge Grenzen, welche Daten wie erhoben werden können. Gerade vernetzte Kameras, deren Aufnahmen ausgewertet müssen, wecken dabei den Argwohn von Datenschützern, da sie die Identifikation von Patientinnen und Patienten erlauben.

Eine datenschutzkonforme Lösung ist, mit Lasertechnologie Punktwolken anstatt Bilder von den Bewohnerinnen und Bewohnern zu erzeugen. So ein System könnte dann über eine App den pflegenden Personen melden, ob jemand gestürzt oder ungewöhnlich unruhig ist.

Panasonic löst den Zielkonflikt auf eine andere Weise: Die Videodaten verlassen das Zimmer erst gar nicht. Sie werden vor Ort mit künstlicher Intelligenz ausgewertet und der Zustand dann entweder schnurlos oder über eine Datenleitung an die Pflegestation gemeldet.

Edge-Computing, also die Auswertung von Daten bei den Sensoren und nicht im Internet, wird das Konzept genannt. 1.400 Euro kostet die Installation der Technik pro Zimmer, 11 bis 13 Euro pro Raum und Monat die Nutzungsgebühren für das System. Inwieweit die installierten Kameras dann auch als Augen des Personals dienen, ist eine Sache der Datenschutzentwicklungen in den diversen Ländern.

Post aus Japan

Japan probiert mit Elektronik seit jeher alles Mögliche aus - und oft auch das Unmögliche. Jeden Donnerstag berichtet unser Autor Martin Kölling an dieser Stelle über die neuesten Trends aus Japan und den Nachbarstaaten.

Für Tomomi Maruyama, den Chef von Hitowas Innovationsteam, ist die derzeitige Funktion nur die erste Evolutionsstufe des Systems. Es ginge aktuell darum "die Augen des Menschen zu digitalisieren", sagt er. "Ich glaube, dass wir nun in eine Phase eintreten, in der wir die Funktion des Gehirns digitalisieren, auch durch den Einsatz künstlicher Intelligenz." Maruyama hat damit bereits das nächste Ziel: die Früherkennung von Krankheiten.

In Japan wird gerade das Rechtswerk immer weiter reformiert, um auch ärztliche Ferndiagnosen zuzulassen. Panasonic und Hitowa, die Lifelens gemeinsam entwickelt haben, wollen den Medizinern durch die Auswertung von frisch erhobenen und bestehenden Daten nun Hinweise geben, bei Bewohnerinnen und Bewohnern die Gesundheit zu überprüfen.

In Versuchen konnten Lungenentzündungen vier Tage früher erkannt werden als bisher. Geht es nach dem Weltkonzern, wird dies bald auch global funktionieren. Das Geschäftsmodell soll weltweit exportiert werden, sagt ein Panasonic-Manager.

(jle)