Visibility Filtering: Twitter soll Inhalte und Nutzer gezielt unterdrückt haben

Informationen aus den "Twitter Files" erhärten einen langgehegten Verdacht: "Shadow Banning" gibt es wirklich. Twitters Management hat das immer dementiert.

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Elon Musks Twitter-Profil auf Smartphone

(Bild: FellowNeko/Shutterstock.com / Montage: heise online)

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Twitter verfügt offenbar über verschiedene Instrumente, um die Reichweite von einzelnen Tweets oder Accounts zu begrenzen. Das zeigen neue Enthüllungen aus den "Twitter Files", die die US-Journalistin Bari Weiss veröffentlicht hat. Die Informationen erhärten den von Nutzerinnen und Nutzern langgehegten Verdacht, dass Twitter bestimmte Inhalte mit sogenanntem "Shadow Banning" unterdrückt.

Weiss hat auf Twitter unter anderem einige Fotografien veröffentlicht, die offenbar eine interne Ansicht von Twitter-Accounts zeigen. Darauf ist zu sehen, wie Nutzerkonten unterschiedlich markiert sind. Neben Kategorien wie "verifiziert" oder "aktiv" gibt es auch Kennzeichen, die in einem offenbar moderativen Kontext stehen: "Recent Abuse Strike" (kürzlich wegen Verstoß gemaßregelt), "Trends Blacklist" (nicht in die Trends aufnehmen), "Do Not Amplify" (nicht verstärken), "Notifications Spike" (vermehrte Benachrichtigungen).

Das lässt den Schluss zu, dass dem Moderationsteam von Twitter Werkzeuge zur Verfügung stehen, die Reichweite von einzelnen Tweets oder ganzen Accounts zu beschränken und sie auf schwarze Listen zu setzen. Intern werde das als "Visibility Filtering" oder "VF" bezeichnet, berichtet Weiss.

Visibility Filtering sei eingesetzt worden, um die Suchergebnisse einzelner Nutzer zu manipulieren, heißt es weiter. Auch habe Twitter die Auffindbarkeit von Tweets oder deren Verbindung zu Hashtags beschränkt und verhindert, dass die Tweets bestimmter Nutzer in den Trends auftauchen. Ein Mitarbeiter habe Visibility Filtering als "machtvolles Werkzeug" bezeichnet, um die Sichtbarkeit auf mehreren Ebenen zu unterdrücken, twitterte Weiss.

Bei besonders prominenten Accounts mit hoher Reichweite werde die Moderation zur Chefsache: Eine Gruppe namens "Site Integrity Policy, Policy Escalation Support", zu der unter anderem die Chef-Justiziarin und der CEO gehörten, musste einbezogen werden.

Twitter hatte den von Nutzerinnen und Nutzern wiederholt geäußerten Verdacht, ihre Sichtbarkeit für andere sei künstlich unterdrückt worden, stets zurückgewiesen. "Machen wir nicht", heißt es in einem Blogposting der damaligen Chefin der Rechtsabteilung, Vijay Gadde, und des Produktchefs Kayvon Beykpour.

Vor allem wies das Twitter-Management dabei den Vorwurf zurück, politische Meinungsäußerungen einseitig zu moderieren. Auch Gründer und CEO Jack Dorsey, den das Twitter-Management zuletzt bei einigen Entscheidungen nicht mehr eingebunden haben soll, hatte die politische Neutralität betont. Die wenigen bisher aus den Twitter-Files bekannten Einzelheiten lassen daran zumindest berechtigte Zweifel.

Der von US-Journalist Matt Taibbi am Wochenende veröffentlichte erste Teil der "Twitter-Files" lässt den Schluss zu, dass beide großen politischen Parteien in den USA auf mehreren Ebenen direkten Einfluss auf Moderationsentscheidungen genommen haben. Taibbi spricht von einem deutlichen Übergewicht der moderativen Entscheidungen im Sinne der US-Demokraten. So sollen Vertreter des Democratic National Committees (DNC) unter anderem Tweets des konservativen Schauspielers James Woods gemeldet haben, woraufhin die Twitter-Moderation eingeschritten ist.

Nach einer Intervention hochrangiger Demokraten hatte Twitter kurz vor der US-Präsidentschaftswahl 2020 einen Artikel der Tageszeitung New York Post über eine mögliche Rolle des damaligen Präsidentschaftskandidaten Joe Biden bei Geschäften seines Sohnes Hunter unterdrückt und den Account der Zeitung gesperrt. Begründet wurde die Sperre mit einem Verbot der Veröffentlichung von Daten, die aus Hacks stammen. Die Informationen der New York Post stammten nicht aus einem Hack, sondern von einem Laptop des Biden-Sohns, den ein Informant der Zeitung zugespielt hatte. Dorsey hatte die Maßnahmen später als Fehler bezeichnet.

Der neue Besitzer und CEO Elon Musk hat versprochen, mehr Transparenz herzustellen. Bisher erlauben die Twitter-Files aber nur einen kleinen Einblick: Taibbi und Weiss haben erst wenige Daten sichten und verifizieren können. Sie haben zugesagt, ihr Erkenntnisse zuerst auf Twitter zu veröffentlichen, sagt Weiss. Tiefere Einblicke sind für kommende Artikel angekündigt. Musk macht es schon mal spannend: Auf die Frage, ob auch Kandidaten für politische Ämter während eines laufenden Wahlkampfs von Twitter "visibilitätsgefiltert" worden seien, antwortet der neue Twitter-Chef: "Ja."

(vbr)