Europäisches Chipgesetz: Was eine Halbleiterkrise ausmacht – laut EU-Parlament

Ein Entwurf zum europäischen Chipgesetz enthält neue Präzisierungen, darunter eine Ausführung, wann die EU in die Chip-Produktion eingreifen darf.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 8 Kommentare lesen
Silizium-Wafer in der Produktion

(Bild: Superstar / Shutterstock)

Lesezeit: 4 Min.

Ein weiterer Schritt zur Verabschiedung des europäischen Chipgesetzes – international EU Chips Act genannt – ist getan: Alle politischen Fraktionen des Ausschusses für Industrie, Forschung und Energie (ITRE) haben sich auf einen gemeinsamen Entwurf geeinigt und damit die Position des EU-Parlaments beschlossen.

Ab dem Februar 2023 beginnt der Trilog zwischen dem Parlament, dem europäischen Rat und der EU-Kommission, die einen gemeinsamen Nenner finden müssen. Firmen scharren längst mit den Hufen, weil erst mit der Finalisierung versprochene Fördermittel fließen. Ganz vorn dabei ist Intel mit der Magdeburger Megafab für mindestens 17 Milliarden Euro und einem italienischen Packaging-Werk für 5 Milliarden Euro. Aber auch Infineon will für 5 Milliarden Euro in Dresden bauen und Wolfspeed zusammen mit ZF für 3 Milliarden Euro im Saarland.

EU-Parlamentarier Bart Groothuis betonte in einer Presserunde, dass die Europäische Union beim Chipgesetz für ihre Verhältnisse "mit Lichtgeschwindigkeit" vorankomme. Hier gilt es, eine Balance aus fairen Förderungen und einer möglichst schnellen Umsetzung zu finden.

Der Chip-Act-Entwurf des EU-Parlaments basiert größtenteils auf dem Vorschlag der EU-Kommission, enthält aber einige wichtige Änderungen. So sollen künftig alle Unternehmen in der Wertschöpfungskette für Halbleiterbauelemente förderberechtigt sein. Das inkludiert auch kleine Firmen, sofern sie innovative Techniken entwickeln. Ursprünglich sollten nur die großen Industriefische wie Intel Subventionen erhalten.

Eine zweite Änderung verbietet den Transfer von geistigem Eigentum (Intellectual Property, IP), das mithilfe des EU Chips Acts entsteht, nach China. Neue Prozesstechniken etwa dürften demnach nicht mit chinesischen Chipfertigern wie SMIC geteilt werden.

Die Planung des EU Chips Acts begann während der akuten Halbleiterkrise der vergangenen Jahre mit dem elementaren Ziel, künftige Halbleiterkrisen zu verhindern oder zu mildern. Das EU-Parlament hat im eigenen Entwurf nun erstmals eine Definition eingebaut, was eine solche Halbleiterkrise überhaupt ist. heise online liegt der Entwurf vor. Hier unsere Übersetzung (das englische Original finden Sie weiter unten):

16a) "Halbleiterkrise" meint das Vorliegen einer schwerwiegenden und unmittelbaren Bedrohung für die Bürgerinnen und Bürger sowie für die Funktionstüchtigkeit, die Sicherheit und die Verteidigung der kritischen Infrastrukturen, der Wirtschaft und der Institutionen der Union aufgrund konkreter und zuverlässiger Hinweise auf eine schwerwiegende und außergewöhnliche Störung in der Halbleiterlieferkette.

Die Halbleiterkrise verhindert die Lieferung, Reparatur oder Wartung wesentlicher Produkte innerhalb der Halbleiterlieferkette, was potenziell zu einer erheblichen Verknappung von Halbleitern, Zwischenprodukten oder Rohstoffen beziehungsweise verarbeiteten Materialien führen kann, sodass sie schwerwiegende, außergewöhnliche und anhaltende Auswirkungen auf das Funktionieren der [...] kritischen Sektoren hätte.

17) "Krisenrelevantes Produkt" meint Halbleiter, Zwischenprodukte sowie Rohstoffe und verarbeitete Materialien, die zur Herstellung von Halbleitern oder Zwischenprodukten benötigt werden, welche von der Halbleiterkrise betroffen sind und für die Behebung der Halbleiterkrise von entscheidender Bedeutung sind.

Kritische Sektoren sind:

  • Energie
  • Verkehr
  • Bankwesen
  • Finanzmarkt-Infrastruktur
  • Gesundheit
  • Trinkwasserversorgung
  • Abwasser
  • Digitale Infrastruktur
  • Öffentliche Verwaltung
  • Raumfahrt
  • Produktion, Verarbeitung und Vertrieb von Lebensmitteln
  • Verteidigung

Englisches Original:

(16a) ‘semiconductor crisis’ means the existence, based on concrete and reliable evidence of a serious and immediate threat to citizens, and to the functioning and security and defence of the Union’s critical infrastructure, economy, and institutions, of a serious and extraordinary disruption in the semiconductor supply chain, thus preventing the supply, repair or maintenance of essential products within the semiconductor supply chain, which has the potential to cause significant shortages of semiconductors, intermediate products or raw or processed materials to the extent that it would have a serious, extraordinary, and detrimental effect on the functioning of the critical sectors [...].

(17) ‘crisis-relevant product’ means semiconductors, intermediate products, and raw and processed materials required to produce semiconductors or intermediate products, that are affected by the semiconductor crisis and are of crucial importance to remedy the semiconductor crisis.

Das mit dem EU Chips Act zu gründende Halbleitergremium soll eine Methodik für Frühwarnindikatoren ausarbeiten und eine Halbleiterkrise im Ernstfall ausrufen. Dann stünden eine Handvoll Instrumente zur Bekämpfung bereit, darunter die Möglichkeit, Zwangsaufträge zur Produktion bestimmter Halbleiterbauelemente an Chipfertiger innerhalb der EU zu verteilen.

(mma)