Tanken mit Tempel-Optik: Erste deutsche Tankstelle vor hundert Jahren eröffnet

Im Januar 1923 ging die erste deutsche, gut anfahrbare Tankstelle auf öffentlichem Grund in Betrieb. Wo? In Hannover.

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Tankstellen waren lange Zeit eine architektonische Spielwiese. Verspielte Rundbauten wie dieser in Hannover konnten sich aber nicht durchsetzen.

(Bild: Continental Gummiwerke Hannover AG)

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In den Anfangsjahren des Automobils wurde Benzin hierzulande meist in Hinterhöfen verkauft, von Apothekern oder Gastwirten, in Kanistern, Flaschen, Milchkannen. Die deutsche Mineralölgesellschaft OLEX, aus der später BP hervorging, suchte nach einer besseren Lösung. Das Ergebnis: ein reich verzierter Kiosk, der Tank und Pumpe barg. Mit Kuppeldach, Säulen und Erkern wirkte der expressionistische Rundbau wie ein Tempel. Die Bezeichnung, die OLEX für ihr neues Konstrukt fand, war allerdings ziemlich profan: "Tankstelle".

Als Standort entschied man sich für Hannover, das damals eine höhere Autodichte hatte als Berlin oder Hamburg. Trotz protestierender Anwohner, die Gestank, Lärm und Explosionsgefahr fürchteten, eröffnete der Tanktempel im Januar 1923 am Raschplatz, direkt hinter dem Hauptbahnhof. Kurze Zeit später entstand ein ähnlicher Bau in Köln.

Diese Anlagen erwiesen sich allerdings als Sackgasse, schreibt Architekturhistoriker Joachim Kleinmanns. Eine platzsparende Alternative – Handpumpen am Fahrbahnrand – stellte die Esso-Vorgängerin DAPG im selben Jahr in Hamburg vor. Das Vorbild kam aus den USA. Dort hatten sich diese Tankmöglichkeiten bereits zur Jahrhundertwende etabliert, verbunden mit ober- oder unterirdischen Benzinbunkern. 1927 griff die DAPG – ebenfalls in Hamburg – eine weitere Vorlage aus den USA auf: eine überdachte Großtankstelle mit eigener Zufahrt, mehreren "Tankinseln", einem Kassenhaus sowie beleuchteten Reklametafeln.

Damit war das grundlegende Layout bis heute vorgegeben. Doch die Architektur schlug noch einige Volten: Ob Backstein-Expressionismus, Neue Sachlichkeit oder Internationaler Stil – schnell entdeckte die architektonische Avantgarde Tankstellen als neue Spielwiese. Als die ersten Autobahnen in den 1930er-Jahren den Bedarf an Tankstellen schnell wachsen ließen, wich der Formenreichtum einer strengen Standardisierung. Die "Gesellschaft Reichsautobahn" ließ landauf, landab vor allem drei Typen von Tankstellen bauen: "Frankfurt", "Fürstenwalde" und "Hannover", alle geprägt von geschwungenen, aber schnörkellosen Formen. Den Nationalsozialisten war das zu modern. Sie setzten später Tankstellen im "Heimatschutzstil" durch, die mit ihren Satteldächern und rustikalem Mauerwerk eher an Berghütten erinnerten.

Nach dem Krieg dominierten wieder Stahl, Glas und Beton – und kühne, freitragende Dachkonstruktionen für einen ungehinderten Zugang zu den Zapfsäulen. Mit der architektonischen Qualität mancher Anlagen der Nachkriegszeit könne der "überwiegend stereotype Tankstellenbau der Gegenwart" nicht mithalten, urteilt Kleinmanns. Mangels Denkmalschutz haben nur wenige historisch interessante Anlagen überlebt. Sie finden sich beispielsweise noch an der A12 bei Fürstenwalde (1936), an der A2 bei Hamm (1939), im Garagenhof des Landeshauses Münster, an der Braunschweiger Straße in Wolfsburg, im Freilichtmuseum Detmold (jeweils 1951) und in Hannover-Badenstedt (1957).

Seit 1970 hat sich die Zahl der Tankstellen in Deutschland fast gedrittelt. Dieser Trend dürfte sich noch verstärken, denn wer sein E-Auto zu Hause lädt, braucht schließlich keine Tankstellen mehr. Andererseits benötigen Autoreisende auch künftig Orte zum Laden und Rasten. In Hilden hat der Bäcker Roland Schüren zwei Tankstellen neuen Typs gebaut: großzügige Ladeparks mit Photovoltaik-Dächern, überdachten Stellplätzen und benachbarter Gastronomie. Viel helles Holz markiert auch architektonisch eine neue Zeit.

(jle)