Zahlen, bitte! Die Zahl Phi – so harmonisch kann Irrationalität sein

Der Goldene Schnitt gilt als wichtiges Element einer harmonischen Bildkomposition. Dabei ist er schon seit der Antike bekannt und sogar in der Natur zu finden.

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Von
  • Tilo Gockel

Die Zahl Phi spaltet die Bildaufteilung. Nein, liebe Nerds, nicht Pi (π) – die wir in Zahlen, bitte! schon entsprechend würdigten – sondern lautmalerisch Fffffi (ϕ). Sie bezeichnet in der Mathematik die irrationale Zahl 1,61803399 (und so weiter), die für ein bestimmtes Teilungsverhältnis steht. Mittlerweile ahnt man es vielleicht schon: Es geht um den "Goldenen Schnitt".

Das Verhältnis zweier Strecken wird nämlich zum harmonischen Goldenen Schnitt, wenn sich die lange Strecke zur kurzen Strecke verhält wie die Gesamtstrecke zur langen Strecke. Dieses Verhältnis nennt man auch die "Goldene Zahl" oder schlicht griechisch Phi.

Das kann man umstellen, auflösen und erhält dann als exakte Lösung den Term (1+√5)/2, was näherungsweise 1,618 ergibt.

Zahlen, bitte!

In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblüffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natürlich der Mathematik vor.

Der Goldene Schnitt steht für ein Verhältnis, das eine besonders ansprechende, ästhetische Wirkung verspricht. Die Kenntnis über dieses Verhältnis reicht bis in die griechische Antike zurück – erste Schriften dazu wurden vom griechischen Mathematiker Euklid veröffentlicht. Wenn man Kunstwerke nach den verwendeten Teilungsverhältnissen untersucht, fällt gerade bei den Werken großer Meister auf, dass die Teilung häufig ebenjenem Faktor Phi entspricht (siehe auch die Vitruvianische Figur im Titelbild). Es gibt Belege, dass uns dieses Verhältnis besonders angenehm und ästhetisch erscheint. Aber warum ist dem so?

Teilungsverhältnis 1: Labiler Bildeindruck

(Bild: Autor)

Teilungsverhältnis 2: Besserer, stabilerer Eindruck

(Bild: Autor)

Teilungsverhältnis 1,618: Maximal stabiler, harmonischer Eindruck

(Bild: Autor)

Ein erster Erklärungsversuch besagt, dass wir Menschen uns in Bildern Stabilität wünschen. Ein Horizont, der das Bild in der Mitte, auf 50:50, beziehungsweise auf ein Teilungsverhältnis von 1 teilt, ist maximal labil. Der Betrachter kann hier nicht erkennen, ob der Künstler Wert auf den Himmel oder auf das Meer legt. Das Auge des Betrachters wird nicht geführt, und es entsteht ein unentschlossener und unausgewogener Bildeindruck. Eine bessere Teilung, die zu einem stabileren Ergebnis führt, ist 2/3 zu 1/3, und dieses Verhältnis wird auch Kunstschaffenden häufig vorgeschlagen, teils sogar fälschlich als Goldener Schnitt bezeichnet. Tatsächlich handelt es sich bei dem Teiler 2 aber nur um eine Annäherung. Der Goldene Schnitt liegt vor, wenn das Verhältnis nicht 2, sondern 1,618 ist. Wenn man den Horizont entsprechend diesem Maß legt, wirkt das Bild direkt viel stabiler und ruhiger.

Ein zweiter Versuch der Erklärung bezieht sich auf die Natur. Man kann leicht zeigen, dass auch in der Natur ebenjenes Teilungsverhältnis zum Tragen kommt. Es findet sich in Kiefernzapfen, in der Ananas, in Blütenblättern und im Romanesco. In letzterem, ein Verwandter des Blumenkohls, sogar in der Form einer fortlaufenden Spirale, der Fibonacci-Spirale. Zu dieser Spirale gelangt man, wenn man immer weiter nach der „Göttlichen Proportion“ teilt. Es entsteht dann eine Art Strudel, der sich tatsächlich auch in ebenjenem italienischen Kohlgemüse wiederfindet. So kann man zu dem Schluss gelangen, dass uns Menschen schlicht das gefällt, was wir aus der Natur kennen. Wir sind es sozusagen so gewohnt.

Nein, kein 3D-Mandelbrotfraktal, sondern gesunder Romanesco-Kohl. In der Struktur kommt die Fibonacci-Spirale zum Tragen. Die harmonische Optik hat handfeste Vorteile: Die Türmchen kommen sich beim Wachsen untereinander kaum in die Quere und erlauben dadurch eine optimale Lichtausbeute.

(Bild: CC BY-SA 4.0, Ivar Leidus)

Und das Wissen um den Goldenen Schnitt ist natürlich nicht nur akademischer Natur, sondern nützt auch den Werbeschaffenden in der Praxis. Häufig wählt man auch in dieser Branche bei der Gestaltung von Bildern und Logos Bildschnitte, die dem Goldenen Schnitt oder der goldenen Spirale entsprechen.

Jetzt fragen Sie sich sicherlich bereits, wie Sie den auch in Ihren eigenen Fotografien oder Illustrationen den Goldenen Schnitt einziehen könnten, um Ihre Werke gefälliger zu machen. Das ist einfach: Sie können sich schlicht Schablonen bedienen, wie sie beispielsweise Photoshop zum Zuschnitts- oder Crop-Werkzeug anbietet. Wählen Sie dort zwischen "Goldener Schnitt", "Goldene Spirale" (unserer Fibonacci-Spirale) oder Drittel-Regel. Die letztgenannte Drittel-Regel mit dem Teilungsverhältnis 2 begegnet Ihnen auch häufig im Sucher oder auf dem Display Ihrer Kamera.

Bei der Anwendung der Schablonen zum Goldenen Schnitt werden Ihnen im Zuschnittswerkzeug Linien und Schnittpunkte zwischen diesen Linien angezeigt. Der Fachmann spricht von energetisch relevanten Kraftlinien und Kraftpunkten. Wenden Sie die Schablone dann derart an, dass die bildwichtigen Teile auf ebenjenen Kraftlinien oder -punkten zu liegen kommen, wobei gemeinhin Schwerpunkte von Flächen, Augen, Symmetrielinien und Kanten zwischen Objekten als bildwichtig gelten. In einfachen Fall eines Porträts könnten Sie das dominante Auge oder auch den Schwerpunkt der Gesichtsfläche auf einen Kraftpunkt legen.

Es hilft, Regeln wie den Goldenen Schnitt zu kennen, um sie dann bewusst brechen zu können. Hier sehen Sie eine ganz andere Bildaufteilung, die dem „Negative Space“-Prinzip folgt.

(Bild: Autor)

Probieren Sie es einmal aus. Es kann sein, dass Sie tatsächlich einen Moment des visuellen „Einrastens“ verspüren, wenn Sie Ihr Motiv nach dieser simplen Regel ausrichten. Aber wie immer, so gilt auch hier natürlich, dass Regeln dazu da sind, gebrochen zu werden!

(mawi)