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Was war. Was wird.

Nach Abschluss des Sommerrätsels beschäftigt sich Hal Faber mit dem Stand des Journalismus. Dabei blutet ihm das Herz, wegen der Twitter-Idioten und weil John Hughes tot ist, auch wenn er für dessen Werk ein bisschen zu alt ist.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Staub hängt in der Luft über der norddeutschen Tiefebene. Die Mähdrescher rollen, das Sommerloch wird mit Stroh gestopft, kurz vor dem großen Landregen. Der Dienstwagen von Ulla Schmidt wird ordentlich geparkt, Fragen nach ihrem Liebhaber werden nicht gestellt, da gibt es einen Ehrenkodex unter Journalisten.

*** Ehre und Journalisten? Wie bitte? Klingt das nicht genauso dämlich wie Qualitätsjournalismus? Oder so strunzdumm wie ein WM-Boykott der taz, die zugeben muss, die Datenüberprüfung zur Fußball-WM 2006 anstandslos mitgemacht zu haben? Strunzdumm schreibe ich, 2006 insgesamt viermal überprüft, weil die tazler allem Anschein nach der Versicherung glaubten, dies sei ein "singulärer Vorgang". Wer aufwändige Datensammlungen für einen singulären Vorgang hält, der darf auch an die unbefleckte Empfängnis glauben, an Elvis im schwarzen Hubschrauber und an die Wirksamkeit von DNS-Sperren.

*** Nach dem Ende der Sommerrätselei ist vielleicht ein guter Zeitpunkt, sich einmal mit dem Stand des Journalismus zu befassen. Anlässe gibt es ja genug, zwischen Mondlandung, Woodstock und Bundestagswahl. Historisch ist der August ein prächtiger Monat voller journalistischer Höhepunkte. Man denke nur an den großen Mondschwindel, mit dem der Zeitungsjournalismus anno 1835 das Erbe von Tom Kummer antrat. Oder war das andersherum? Egal, Fakten sind Fiktionen nach der Kollision mit einem Fake.

*** Okay, okay, starten wir diesen kleinen Sendeserver nochmal neu, schließlich gibt es auch große, erhabene Daten der Journalismusgeschichte. Heute vor 63 Jahren schrieb der Journalist Harold Ross seine legendäre Artikelkritik zu einem Stück seines Reporters John Hersey. Ross wollte schlicht, dass sein Blatt, der New Yorker die beste Reportage über Hiroshima drucken konnte und schrieb an Hersey das, was Generationen von Nachfolgern in den Journalismusschulen büffeln sollten. Hersey war der erste westliche Journalist, der zwei Tage nach dem Atombombenabwurf von Hiroshima in der Stadt eintraf und eine lange Reportage geliefert hatte. Leider war sie durchschnittlich geschrieben.

"Schreibe genau. Schreibe nicht so vage, dass Tausende gestorben sind. Der Leser will wissen, wie sie gestorben sind. Sind sie erschlagen worden, wurden sie verschüttet, sind sie verbrannt, starben sie an einem Schock oder haben sie sich zu Tode geschissen? Schreibe über die Schmerzen, schreibe über die Ärzte. Exakte Zeitangaben fehlen. Der Leser verliert sonst die Orientierung und weiß nicht, ob es 10 Uhr früh oder vier Uhr nachmittags ist."

Insgesamt hatte Ross einige hundert Fragen in dem Manuskript notiert, die Hersey innerhalb weniger Tage einarbeitete. Das Resultat war Hiroshima, die berühmteste Ausgabe des New Yorkers, die innerhalb weniger Stunden ausverkauft war. Wer das sommerlich aufgemachte Blatt aufschlug, konnte einen einzigen, langen Artikel lesen, einen ruhigen Bericht eines Augenzeugen, der als Sohn von Missionaren in China aufgewachsen war und "asiatische Details" beschreiben konnte. Hersey konzentrierte sich auf sechs Überlebende und berichtete, ohne ein einziges Mal die Gründe zu nennen, warum diese Bombe abgeworfen wurde. Das brachte ihm und dem New Yorker heftige Kritik ein, doch heute gilt sein Werk als berühmteste Reportage des 21.Jahrhunderts. Frau Nakamura und ihre drei Kinder, Reverend Tanimoto, Pastor Kleinsorge, die Ärzte Masakazu Fujii und Terufumi Sasaki sowie der Arbeiter Toshiko Sasaki schrieben mit Hersey.

*** Heute sind Journalisten nicht mehr Randfiguren der papierverarbeitenden Industrie, sondern Content-Lieferanten für die Klage-Industrie. Gemeint ist hier das Geplapper von der Branche, die ihre Inhalte einfach weggibt – vielleicht wie besagter Harold Ross, der die Hiroshima-Reportage den Radiosendern zum Vorlesen überlies. Geht es den Medien schlecht, jammern die Journalisten. Aber geht es den Medien wirklich schlecht oder kommt da ein Aufschwung um die Ecke, der mit neuen Leistungschutzrechten abgesichert werden soll? Wie war das noch mit der "Computerupgabe" die das Medienhaus Springer von der Generation Upload einfordern will? Ach was: Ein Hund bellt und die Karawane zieht weiter.

*** Riecht es nach leckeren Fleischtöpfen, sind Journalistenvertreter nicht sehr weit, die auch etwas haben wollen. Dann heißt es hochtrabend zum Leistungsschutzrecht: "Auch müssten die Verleger bei der Einführung dieses Rechtes auf Tantiemen aus den Verwertungsgesellschaften verzichten, damit die Ausschüttungen an Autoren nicht weiter reduziert werden." Nur zur Information: Schlappe 3 Euro werden pro Artikel ausgeschüttet, wenn Verlage (wie der sympathische Verlag aus der norddeutschen Tiefebene) den Zählpixel-Wahnsinn der Verwertungsgesellschaften nicht mitmachen. Noch besser macht es sich, wenn so ein Journalistenvertreter empört auf den Nachrichtenaggregator Google News hinweist, der voller Werbung steckt, die den Verlagen fehle. Wie war das noch bei Ross? "Schreibe genau." (Sonst gibt es Abmahnungen im Doppelpack.) Wie übernimmt Google ein Teil des Anzeigengeschäftes und woran sterben die Zeitungen wirklich? Vielleicht sterben Zeitungen daran, dass es ausgemachte Idioten gibt, die das Wort Journalismus nicht mehr kennen und andere Idioten via Feed oder Twitter daran teilhaben lassen, bis sie den eigenen Nachhall für eine Nachricht halten. Zwei Halle sind dann schon eine halbe Reportage.

*** Mehr Resonanz als alle Journo-Tweets zusammen hat das Werk von John Hughes, der am Donnerstag in New York an einem Herzanfall starb. Der Regisseur, Drehbuchautor und Produzent hat wie kein Zweiter die suburban teen angst der Achtziger in nur scheinbar seichte Komödien destilliert und damit eine ganze Generation geprägt. Der Breakfast Club und Ferris Bueller – Ross hätte seine Freude gehabt an diesen unterhaltsamen Reportagen aus den Abgründen der Teenie-Seele, garniert von den Psychedelic Furs.

*** Weiter so, Deutschland! Das Bundesverwaltungsamt hat in dieser Woche das neue Abhörzentrum in Betrieb genommen, auch wenn es dafür nach Ansicht der Datenschützer keine rechtliche Grundlage gibt. Doch was sind schon rechtliche Grundlagen. Die sind auch für ein Bundesbordellregister nicht gegeben, dass die Polizeigewerkschaft unter der schmucken Überschrift Erlaubnispflicht für Prostitutionsstätten fordert, inspiriert von sogenannten Flatrate-Bordellen. Wenn Pussy nicht für Katzencontent im Internet steht, ist die Wahlkampfzeit angebrochen, die in Deutschland für Entgleisungen aller Art gut ist. Man nehme nur den Politiker, der gerne Verstöße gegen das Grundgesetz in Kauf nehmen will. Und was Gesung und Ordnetz angeht, ist Deutschland sowieso Spitze: Da gibt es einen Politiker, der keinen Einblick in die Ermittlungsunterlagen hat, während der neue deutsche Qualitätsjournalismus aus internen Berichten zitieren darf.

Was wird.

Team Steinmeier ist komplett mit Schwesig, Schmidt und Schalke und dem blauweißen Lied mit dem Mohammed, der nichts von Fußballspielen versteht. Fehlt nur der Song vom Juden Christus, der nix von Bundesverdienstkreuzen versteht, das sollte man zur Solidarität der Vierteljuden hinzufügen. Ja, Wahlkampf ist die Zeit, in der schon eine rollende Kanzler U-Bahn als politische Aussage gewertet wird, ein bisserl Hausputz als Statement der Generation Upload.

Ganz anders als die verlauste und verkommene Generation Woodstock, die am nächsten Wochenende feiert, ist die Generation Upload eine saubere Massenbewegung. Zwei Drittel aller zwei Drittel sind hier versammelt und haben Texte, Fotos, Musik oder Filme "im Internet hochgeladen". Bei den jüngeren zwei Dritteln sollen es sogar 80 Prozent sein! Allerdings haben diese zwei Drittel gegenüber den älteren zwei Dritteln offenbar Erinnerungslücken. Nur 11 Prozent in dieser Altersgruppe können sich an einen eigenen Leserbrief erinnern. An dieser Stelle weint meine Journalistenseele. Der verschleierte Blick schweift zu den sechs, sieben Aktenordnern voller Briefe, die sich im Laufe der Zeit gefüllt haben. Doch halt, wie war das noch mit dem Leben im Niewo? Alles wird Gut oder alles wirres Gestammel, das ist wieder einmal schwer die Frage. Die definitive Antwort darauf kennt kein Barde, nur der Konkursverwalter. (Hal Faber) / (vbr)