Mobilfunk Long Term Evolution: Über 1000 Brücken musst du gehn

UMTS ist bald Geschichte, denn die nächste Mobilfunkgeneration tritt an. Noch ist Long Term Evolution (LTE) in der Entwicklung, doch erste Tests zeigen laut T-Mobile eine Reife, die es in der Frühphase von UMTS nicht gab.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 128 Kommentare lesen
Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Detlef Borchers

UMTS ist bald Geschichte, denn die nächste Mobilfunkgeneration tritt an. Doch halt, etwas Geduld muss man doch noch haben: Denn noch ist Long Term Evolution (LTE) in der Entwicklung, die Standardisierung noch nicht abgeschlossen, doch erste Tests zeigen eine Reife, die es in der vergleichbaren Frühphase von UMTS nicht gab. Das ist jedenfalls die Überzeugung von T-Mobile und Nortel Networks, die einem Tross deutscher und internationaler Journalisten in Bonn das Mobilfunknetz der nächsten Generation in Aktion zeigten.

Wir drei Journalisten hocken im Fond eines VW-Vans, der mit abgedunkelten Scheiben nicht magenta-knallig angestrichen ist, sondern ein dezentes Business-Blau trägt. Vor uns ein großer, ein riesiger LCD-Schirm, neben dem ein junger Erklärbär sitzt. Er erzählt uns geduldig, was da alles empfangen und gesendet wird, während der Bus auf der Konrad Adenauer Brücke hin- und herpendelt, als Datenfähre aus der nahen Zukunft. Mit Hilfe von Nortel Networks hat T-Mobile zwei Basisstationen mit LTE-Technik installiert, eine auf dem Dach der eigenen Zentrale, die andere am gegenüberliegenden Ufer auf dem Dach der Muttergesellschaft Deutsche Telekom. Auf der Mitte der Brücke erfolgt das Handover der Teilnetze, und so pendelt der Bus hin- und her.

Long Term Evolution (6 Bilder)

LTE im Demo-Betrieb

Nach Ansicht von T-Mobile zeigt die nächste Mobilfunkgeneration Long Term Evolution (LTE) eine Reife, die es in der vergleichbaren Frühphase von UMTS nicht gab.

Live wird uns gezeigt, was der LTE-Mobilfunk alles kann. Wir sehen erstens Fernsehen via IP mit einer Politikerdebatte über die hopplahopp verschwundenen Milliarden bei Lehman Brothers. Gleichzeitig ist zweitens eine Live-Videoschaltung in das Konferenzzentrum von T-Mobile aktiv, wo Kollegen sich bereits über das Büffet hermachen (verdammt, wir kriegen nur die Frischkäse-Happen). Drittens ist im Hintergrund ein Download von 20 Gigabyte hässlicher Urlaubsfotos gestartet worden. Außerdem läuft ein Multiplayer-Spiel, eine Rennwagengeschichte und die österreichische Kollegin rammt ihren Rennwagen mit der Spiel-Konsole in die Böschung, ohne Betonpfosten. Der VW-Van empfängt nicht nur jede Menge Daten, sondert sendet auch noch: Eine Kamera zeigt den Kollegen am Buffet die Perspektive des Fahrers, der den ganzen Tag lang die Brücke befährt. Mitten auf der Brücke ruckelt all das auf dem Riesenschirm ein bisschen und kleine "Data Loss"-Fenster poppen auf, doch dann geht es zügig weiter: Auch der kritische Handover zwischen "hibbdebach un drippdebach" hat geklappt, wird uns erklärt. Das ist zwar hessisch, aber im Rhein bei Bonn ist ja jede Menge Main mit drin.

Die Bonner LTE-Versuchsinstallation arbeitet im Freequenzband von 2,1 GHz mit einer Bandbreite von 10 MHz und kommt so auf Download-Raten von 50 bis 70 MBit/s. Beim stehenden Fahrzeug konnten die Techniker schon 170 MBit/s messen. Alle sind sichtlich stolz auf den Feldversuch. "Wir haben 2005 mit der Entwicklung angefangen. Hätte mir damals jemand erzählt, dass wir 2008 live alles zeigen können, hätte ich es nicht geglaubt", erklärte Nortels Europachef Wim te Niet die Situation gegenüber heise online. So ist noch Luft im Zeitplan: LTE soll 2010 bei den Providern starten.

T-Mobile will von Anfang an mit dabei sein. Joachim Horn, der Chief Technology Officer der Bonner Funker, hält den neuen Standard für unverzichtbar, weil eingebaute Gigapixel-Kameras und E-Book-Reader sowie das immer wieder gern zitierte Handy-Fernsehen über IP die Ausstattung der Mobilfunkgeräte bestimmen werden. Als Kronzeuge dieser Entwicklung zitiert Horn bei der LTE-Präsentation mehrfach die Erfahrungen, die T-Mobile mit dem iPhone gemacht hat. Dieses Telefon des PC-Produzenten Apple erzeugt das siebenfache Datenaufkommen verglichen mit den neuesten Modellen von Nokia und Co. und setzt das 50-fache an Internet-Links ab. "Wir müssen jetzt die Netze für die iPhones von morgen bauen, die bei allen Herstellern in der Entwicklung sind", meinte Horn. Schnelligkeit ist das Gebot der Stunde. Tests mit iPhone-Nutzern unter UMTS/HSPA würden heute schon zeigen, dass die Reaktionszeit des Netzes mit 60 Millisekunden Latenz als "langsam" empfunden wird. LTE mit 10 Millisekunden Latenz soll das Warten auf Werte reduzieren, die für die iPhone-Generation akzeptabel sind.

Die LTE-Endgeräte, die von LG Electronics stammen, sind noch klobige Prototypen. Doch Kin-Sung Choi, Entwicklungschef des 4G-Forschungszentrums von LG Electronics, ist überzeugt, bis 2010 Endgeräte auf dem Markt zu haben. Als Killerapplikationen der LTE-Zukunft sieht er Videokonferenzen, den ständigen Zugriff auf Videoüberwachungsyssteme und, für jugendliche Anwender, die fortlaufende Unterhaltung mit Youtube-Filmchen.

Die Fehler der Vergangenheit, als man bei UMTS nur Wunderdinge von den Endgeräten berichtete und in der Frequenzauktion Milliarden verbrannte, werde man nicht wiederholen. "Anders als bei UMTS, das von den Herstellern entwickelt und uns dann vorgesetzt wurde, sitzen wir, die Provider, bei LTE in den Standardisierungsremien", argumentierte Günther Ottendorfer, Geschäftsführer Technik bei T-Mobile gegenüber heise online. "Wir haben unser Lehrgeld bei UMTS gezahlt, das sollte reichen." Bis jetzt ist es bei LTE nur das Spritgeld vom Van, der auf der Brücke hin- und herfährt. (Detlef Borchers) / (jk)