Deiche am Ende? Neue Konzepte für den Hochwasserschutz müssen her

Die Wahrscheinlichkeit für Starkregen wächst, der Meeresspiegel steigt. Was bedeutet das für den Hochwasserschutz?

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In einer Marktstraße der indonesischen Hauptstadt Jakarta spielen Kinder im Wasser. Überflutungen, wie hier im November 2021, gehören für sie zum Alltag. Die Regierung plant bereits eine Umsiedlung der Hauptstadt., REUTERS/Willy Kurniawan

In einer Marktstraße der indonesischen Hauptstadt Jakarta spielen Kinder im Wasser. Überflutungen, wie hier im November 2021, gehören für sie zum Alltag. Die Regierung plant bereits eine Umsiedlung der Hauptstadt.

(Bild: REUTERS/Willy Kurniawan)

Stand:
Lesezeit: 16 Min.
Von
  • Pauline Schinkels
  • Jan Wittenbrink
Inhaltsverzeichnis

Vor Dauerregen bis zum 4. Januar warnt der Deutsche Wetterdienst. Besonders die Hochwassergebiete im Nordwesten Deutschlands sind bedroht. Erwartet werden in Niedersachsen und Bremen wieder steigende Pegelstände. In Oldenburg, wo die Bewohner eines Ortsteils evakuiert werden sollen, soll ein mobiler Deich die Stadt schützen. Doch welche Hochwasserschutz-Konzepte sind angesichts zunehmender Extrem-Wetterlagen bedingt durch den Klimawandel noch erforderlich?

Wiederveröffentlichung

Angesichts der aktuellen Hochwasser-Situation in Norddeutschland veröffentlichen wir den Text "Deiche am Ende? Neue Konzepte für den Hochwasserschutz müssen her" frei lesbar. Der Artikel erschien ursprünglich unter dem Titel "Steigende Gefahr" in der Ausgabe 3/2023 von MIT Technology Review.

Er sei im Ahrtal, wieder einmal, sagt Holger Schüttrumpf am Telefon. Während des Gesprächs schaue er auf den zerstörten Flusslauf der Ahr. 2021 schossen gigantische Wassermassen durch das enge Tal in der Eifel. Sie fluteten Häuser bis ins oberste Stockwerk, rissen Autos und Wohnwagen mit sich. 134 Menschen starben hier. "Mit einer derartigen Katastrophe in einem deutschen Mittelgebirge hat niemand gerechnet", sagt Schüttrumpf.

Schwerpunkt: Wasser

Der Professor für Wasserwirtschaft der RWTH Aachen arbeitet im Verbundprojekt KAHR an neuen Konzepten für den Hochwasserschutz im Ahrtal und begleitet den Wiederaufbau. Damit es nicht noch einmal so schlimm wird, wenn das Wasser kommt.

Mit dem Klimawandel nimmt die Häufigkeit von Überflutungen zu. Im Binnenland ist gerade im Sommer öfter mit Extremregen zu rechnen – unter anderem, weil warme Luft mehr Wasserdampf aufnehmen kann. An der Küste wiederum steigt der Meeresspiegel, weil die Polkappen schmelzen und sich wärmeres Wasser stärker ausdehnt.

Bisher ging es beim Hochwasserschutz meist darum, das Wasser auszusperren – durch Deiche, Schutzmauern oder Talsperren. Doch wie lange kann das angesichts der Erderwärmung gut gehen?

An der Nordseeküste kämpfen die Menschen seit Jahrhunderten gegen die Kraft des Meeres, im Laufe der Zeit wurden die Deiche immer höher. Noch sei der Schutz ausreichend, sagt Torsten Schlurmann, Professor für Wasserbau und Küsteningenieurwesen an der Uni Hannover. Doch irgendwann komme man an finanzielle und materielle Grenzen. So sei etwa Klei, der wichtigste Baustoff für Seedeiche, nicht unbegrenzt vorhanden. "Es ist auch eine gesellschaftliche Frage: Wie viel ist es uns wert, gefährdete Gebiete langfristig zu schützen?"

Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Hamburg haben bereits eine weitere Erhöhung aller Deiche beschlossen. Zunächst wollten sie nur um 50 Zentimeter aufstocken, 2022 setzten sie den Standard auf einen Meter. Die Deiche werden nicht nur erhöht, sondern auch verbreitert. Denn mit steigendem Meeresspiegel wächst auch die Belastung für den unteren Teil des Deiches. In Schleswig-Holstein entstand der erste "Klimadeich" 2013, nach und nach erhalten dort immer mehr Deichkilometer ein Upgrade.