Das Allerwelts-Unix: 10 Jahre NetBSD

Happy Birthday: Mit NetBSD feiert das erste der drei freien BSD-Unix-Derivate seinen zehnten Geburtstag.

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Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Dr. Oliver Diedrich

Ein wahres Allerwelts-Unix feiert Geburtstag: Es gibt wohl kein Unix-Derivat, das für so viele Systemplattformen portiert wurde wie NetBSD. Und das feiert am heutigen 21. März als erstes der drei freien BSD-Unix-Derivate seinen zehnten Geburtstag: Am 21. 3. 1993 wurde der erste Quellcode eingecheckt, vier Wochen später erschien dann mit NetBSD 0.8 das erste Release. Wer sich wundert, wie die Entwickler in so kurzer Zeit ein komplettes Unix inklusive Netzwerk und recht breiter Hardwareunterstützung auf die Beine stellen konnten: NetBSD 0.8 war ein nur geringfügig weiterentwickeltes 386BSD 0.1, das wiederum als direkter Abkömmling von 4.3BSD auf 15 Jahre BSD-Geschichte zurückschauen konnte.

BSD, die "Berkeley Software Distribution" der University of California, Berkeley (UCB), steht seit den späten siebziger Jahren für die akademische Unix-Tradition, für Hackerkultur und das Open-Source-Prinzip -- auch wenn man es damals noch nicht so nannte. Über einige Jahre trieben Studenten und Mitarbeiter in Berkeley die Unix-Entwicklung voran, da Unix-Erfinder AT&T das Interesse an Unix fast verloren hatte. Das änderte sich freilich in den achtziger Jahren, als das Unternehmen das kommerzielle Potenzial seines Betriebssystems erkannte und in kurzer Folge Unix System III und schließlich Unix System V -- Urahn fast aller kommerzieller Unix-Varianten -- herausbrachte und vermarktete. Ein freies, technisch teilweise überlegenes Unix störte da natürlich. Die Folge war ein jahrelang schwelender Rechtsstreit zwischen AT&T und der UCB, der erst 1994 mit einem Urteil endete, das auch etliche Änderungen in NetBSD (darunter den Umstieg auf die GNU-Tools der Free Software Foundation) erzwang. Die letzte Software-Version der UCD war dann das berühmte 4.4BSD-Lite2, das die Fortschritte der freien Varianten aufnahm und dann selbst zur Grundlage für die weiteren Software-Entwicklungen wurde; NetBSD setzte ab Version 1.1 darauf auf.

Ursprüngliche Triebfeder des NetBSD-Projektes war Ungeduld: Die Entwickler von 386BSD ließen sich allzu viel Zeit, bereits existierende Patches in ihre Software zu integrieren. So nutzten die NetBSD-Entwickler die vier Wochen zwischen Projektgründung und erstem öffentlichen Release vor allem dazu, die Patches für 386BSD in ihr System zu integrieren. Doch schon im Announcement der ersten NetBSD-Version ist auch das Selbstverständnis als Projekt der weltweiten Netzgemeinde fest verankert. Später kam ein weiteres Ziel hinzu, das NetBSD heute (im Vergleich mit anderen BSD-Versionen) charakterisiert: die Unterstützung möglichst vieler Hardwareplattformen. Das aktuelle NetBSD 1.6 läuft auf 39 Systemarchitekturen, das nächste Major Release 2.0 dürfte über 50 Plattformen unterstützen.

FreeBSD, der andere, ebenfalls 1993 gegründete direkte 386BSD-Abkömmling (daher auch schon mal ein Happy Birthday an dieser Stelle!), konzentrierte sich von Anfang an fest auf die x86-Architektur, auch wenn das Betriebssystem in der aktuellen Version 5.0 mittlerweile auf einigen weiteren Prozessoren läuft. 1993 dürften die Free- und NetBSD-Macher allerdings etwas ganz anderes voneinander getrennt haben: Die FreeBSD-Entwickler hatten es schlichtweg nicht so eilig und ließen sich mit ihrem ersten Release, FreeBSD 1.0, bis zum November 1993 Zeit.

Und OpenBSD, der dritte im Bunde der BSD-Varianten? OpenBSD spaltete sich 1996 vom NetBSD-Projekt ab (es dauert also noch ein bisschen mit dem Geburtstag). Die Gründe für die Trennung lagen wohl vor allem im Zwischenmenschlichen, die OpenBSD-Geburt war begleitet von heftigen Flame-Wars zwischen NetBSD- und OpenBSD-Fans. Ihre Aufmerksamkeit richteten die OpenBSD-Entwickler von Anfang an auf die Sicherheit: Seit Erscheinen des aktuellen OpenBSD 3.2 rühmen sie sich, dass ihnen seit Beginn der Entwicklung lediglich ein einziges von außen angreifbares Sicherheitsloch in der Default-Installation des Systems durchgerutscht ist.

Spricht man über freie Unix-Versionen, darf mittlerweile ein Wort zu Linux nicht fehlen. Das zurzeit wohl populärste freie Betriebssystem feierte seinen Geburtstag bereits vor zwei Jahren -- wobei man über das genaue Geburtsdatum durchaus streiten kann. Im Kontrast zu dem präzise festgelegten Geburtsdatum von NetBSD -- dem 21. 3. 1993 -- mag darin durchaus ein Stückchen Symbolik stecken, die über banale Terminfragen hinausreicht. Wo sich "Linux" als recht heterogener Baukasten mit diversen Kernel-Varianten und -Versionen, zahlreichen Tools aus unterschiedlichsten Quellen und rund 200 Distributionen mit mehr oder weniger großen Unterschieden präsentiert, legen die mittlerweile knapp 200 NetBSD-Entwickler (wie ihre Free- und OpenBSD-Kollegen) Wert auf ein homogenes System: Es gibt genau eine aktuelle Distribution, und in der steckt alles drin, was zum System dazugehört. Linux ist streng genommen nur ein Kernel, der vielen Betriebssystemen als Grundlage dient. Der Anwender hat die Wahl: Er kann sich aussuchen, welches Vorgehen der Entwickler ihm lieber ist, welches das für ihn geeignete System am Besten zu gewährleisten vermag. (odi/c't) / (jk)