Der 40-Jahre-Plan

Drei Monate vor dem großen Klimapoker hat der WBGU einen radikalen Entwurf für ein Kopenhagen-Abkommen geliefert: es geht nur mit einem langfristigen "Klima-Sozialismus", den auch Angela Merkel gut findet.

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Von
  • Niels Boeing

Die Zeiten, in denen im Klimaschutz kleine Brötchen gebacken werden konnten, ist lange vorbei. Spätestens seit dem 4. Klimabericht des IPCC von 2007 kann das jeder wissen. Nur wer nicht ganz bei Sinnen ist, will noch den 5. oder 6. Klimabericht abwarten. Beim Klimagipfel in Kopenhagen im Dezember muss eine radikale Kehrtwende eingeleitet werden. Eine Neuauflage des gescheiterten Kioto-Abkommens von 1997 ist überflüssig. In diesem Fall könnten die Delegierten ins Schlussdokument einfach nur "Nach uns die Sintflut" schreiben. Eine Seite Papier, mehr nicht.

Drei Monate vor dem großen Klimapoker hat nun gestern der Wissenschaftliche Beirat für Globale Umweltveränderungen WBGU einen radikalen Entwurf für ein Kopenhagen-Abkommen geliefert: einen 40-Jahre-Plan zur Reduzierung der CO2-Emissionen bis 2050. Der Plan ist mir in seiner Radikalität zum Teil unheimlich, muss ich zugeben, aber zugleich ist er von bestechender Klarheit.

Er geht von drei Prämissen aus:
1. der "Leitplanke" vom 2-Grad-Ziel, nach der eine Erhöhung der globalen Durchschnittstemperatur um zwei Grad in diesem Jahrhundert gerade noch vertretbar ist;
2. der Gleichwertigkeit aller Erdenbürger – jeder Mensch bekommt für das Jahr 2050 dasselbe rechnerische CO2-Emissionsrecht von 1 Tonne pro Jahr, ganz gleich ob er in Berlin, New York, Kalkutta oder Addis Abeba lebt;
3. der Einsicht, dass ein individuelles Aushandeln von Emissionszielen für einzelne Staaten, wie in Kioto praktiziert, nicht zum Ziel führen wird.

Soll die 2-Grad-Leitplanke mit einer Wahrscheinlichkeit von 67 Prozent geschafft werden, darf die Welt von 2010 bis 2050 noch 750 Milliarden Tonnen CO2 emittieren (dies ist die softere von zwei Varianten). Die werden nun nach dem voraussichtlichen Anteil eines jeden Landes an der Weltbevölkerung im Jahr 2010 aufgeteilt.

Für folgende Staaten würde das bedeuten, dass sie mit dem CO2-Ausstoß von 2008 noch so viele Jahre weiter emittieren dürften:

Deutschland - 10 Jahre (die Bundesbürger ließen im vergangenen Jahr 0,91 Milliarden Tonnen Kohlendioxid in die Atmosphäre verpuffen);
USA - 6 Jahre; Japan - 11 Jahre; China - 24 Jahre; Indien - 88 Jahre; Burkina Faso - 2892 Jahre. Danach wäre Schluss – oder das Ziel bereits verfehlt.

Daraus wird schnell klar, dass vor allem in den Industrieländern sofort eine Klimawende eingeleitet werden muss, um das begrenzte CO2-Kontingent auf die kommenden 40 Jahre zu verteilen.

Des weiteren schlägt der WBGU vor:
– "Die 2-Grad-Leitplanke wird völkerrechtlich verbindlich festgeschrieben."
– "Die Trendumkehr der weltweiten CO2-Emissionen im Zeitraum 2015 - 2020."
– "Alle Länder verpflichten sich, international und objektiv überprüfbare Dekarbonisierungsfahrpläne vorzulegen."
– "Zusätzlich werden für die Länder mit gegenwärtig hohen Pro-Kopf-Emissionen Reduktionsverpflichtungen bis 2020 vereinbart, um eine Verschleppung der Dekarbonisierungsanstrengungen zu verhindern."
– Eine Weltklimabank soll diese Fahrpläne auf Machbarkeit überprüfen und beaufsichtigen.

Ich kann mir bereits jetzt lebhaft den Aufschrei vorstellen, den dieses Konzept bei manchen auslösen wird. Nationalistische Verschwörungstheoretiker werden darin vor allem den Fahrplan zu einem Weltstaat erkennen. Andere werden "Klima-Sozialismus" schreien. Fröhliche Apokalyptiker werden sich "Karbon-Kriege" ausmalen, wenn ein Land sein Nachbarland platt macht, um an die nötige Technik (und Ressourcen) zu kommen und dabei gleich noch dessen CO2-Kontingent einzusacken.

Das mit dem "Klima-Sozialismus" ist noch nicht einmal weit hergeholt. Aber wie sonst? Haben wir Bundesbürger mehr Verschmutzungsrechte als zum Beispiel ein Bengale, der von den abzusehenden Folgen viel härter betroffen sein wird? Genau darüber muss jetzt in Kopenhagen geredet werden. Pikanterweise nennen die WBGU-Autoren als Paten der "Klima-Gleichberechtigung" aller Menschen den indischen Premierminister Manmohan Singh und – Bundeskanzlerin Angela Merkel. Ich freue mich schon darauf, wenn Merkel in der heißen Phase des Wahlkampfs mit dem WBGU-Konzept unter dem Arm durch die Lande tourt und sich den Wählern als "Klima-Sozialismus"-Kanzlerin präsentiert. Schön wäre es. Wahrscheinlich möchte sie nicht einmal daran erinnert werden, dass sie sich für so etwas stark gemacht hat. Aber da hatte sie auf jeden Fall recht.

So konsequent das WBGU-Konzept ist, wäre es aber auch ein Manifest der von mir an dieser Stelle schon einmal mit Argwohn betrachteten "CO2-Religion". Vor der schaudert mich, weil ich mir nicht vorstellen kann, dass die CO2-Fahrpläne mit einer heiteren Entschlossenheit einhergehen würden. Für mich das große Dilemma beim Klimaschutz.

Denoch braucht sich letztlich niemand Sorgen angesichts der Radikalität des Konzepts zu machen. Es wird nicht kommen. Kopenhagen wird höchstens ein anderes Dilemma demonstrieren, das Gefangenendilemma feilschender Staaten, in dem wieder keine brauchbare Lösung herauskommt.

Aber wie sagte schon Che Guevara: Seien wir realistisch, versuchen wir das Unmögliche.

Das Sondergutachten des WBGU: "Kassensturz für den Weltklimavertrag – Der Budgetansatz" (wst)