Einer gegen alle

Eine US-Firma entwickelt einen DNS-basierten Grippe-Impfstoff, der in Kombination mit dem Verfahren der Elektroporation gegen sämtliche menschliche Grippevarianten schützen soll. Die ersten klinischen Studien beginnen Anfang 2010.

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Von
  • Lauren Gravitz

In wenigen Wochen werden die ersten Impfdosen gegen die so genannte Schweinegrippe ausgeliefert – sieben Monate, nachdem die neue Variante des H1N1-Virus identifiziert wurde. Der Impfstoff verwendet inaktivierte oder abgeschwächte lebende Viren, um eine Immunität des Körpers zu erreichen. Dieser Ansatz funktioniert allerdings nur, wenn keins der Viren stark genug ist, um sich zu vermehren. Inaktivierte Viren wiederum könnten vom Immunsystem nicht erkannt werden und auf diese Weise ebenfalls wirkungslos bleiben.

Die Medizinfirma Inovio arbeitet stattdessen an einem ganz großen Wurf: einem allgemeinen Impfstoff gegen sämtliche bekannten Grippe-Varianten – auch Vogel- und Schweinegrippe. CEO Joseph Kim wird auf der Konferenz EmTech@MIT 2009 am morgigen Mittwoch den Stand der Entwicklung vorstellen, die im kommenden Jahr in erste klinische Studien münden soll.

Bislang schlagen Grippeviren dem menschlichen Immunsystem immer wieder ein Schnippchen, indem sie schnell mutieren. Wollen Mediziner die ansteckendsten Varianten in den Griff bekommen, müssen sie deshalb die Impfstoffe von Jahr zu Jahr verändern. Die Meisten werden heutzutage in Hühnereiern hergestellt. Das dauert sechs Monate und mehr, und die Stoffe schützen nur gegen einige Grippevarianten. Dabei werden jeweils diejenigen angegangen, von denen Experten glauben, dass von ihnen die nächste Grippewelle ausgehen wird.

Inovio will dieses mühselige Verfahren nun durch eine DNS-basierte Impftechnologie ersetzen. Hierfür werden kurze DNS-Stränge, die in jedem menschlichen Grippevirus vorkommen, so manipuliert, dass sie von Zellen aufgenommen werden. Die produzieren dann Antikörper gegen die verschiedenen Eindringlinge, um eine geeignete Immunreaktion in Gang zu setzen.

„Es war Zeit für einen neuen Ansatz. Jedesmal zu raten, welcher Virustyp im nächsten Herbst kommt, ist völlig antiquiert“, sagt Joseph Kim. „Für andere Impfprotokolle wäre das inakzeptabel. Sie ändern ja auch nicht die Impfstoffe gegen Masern, Mumps oder Röteln jedes Jahr.“

DNS-basierte Impfstoffe können schnell angepasst werden, sind billig in der Herstellung und länger haltbar als traditionelle Mittel. Leider hat der Ansatz bisher einen Schönheitsfehler: Nur wenige der DNS-Stränge, die dem Patienten injiziert werden, gelangen wirklich in Zellen. Inovio will dieses Problem mit Hilfe der so genannten Elektroporation lösen. Dabei wird unmittelbar nach der Injektion ein kleiner elektrischer Schlag verabreicht, der die Zellmembranen erschüttert und dadurch das Eindringen der DNS-Stränge erleichtert.

Die Impfstoffe sollen auf einer Plattform namens „SynCon“ (Synthetisches Konstrukt) hergestellt werden. Mit genetischen Daten und komplexen Algorithmen entwickelt Inovio so genannte Konsensgene – synthetische Gene, die Bestandteilen von bekannten Virus-Genen ähneln und damit eine möglichst breite Immunreaktion starten können. Welche Gene das sind, ermittelt das System von Inovio anhand von Aminosäuren, die sich in besonders großen Mengen um verschiedene Gene herum befinden. Aus diesen Genabschnitten wird dann ein „Antigen“ synthetisiert, also ein Stoff, der die Antikörper des Immunsystems auf den Plan ruft.

„Für mich ist das ein großartiger Schritt nach vorne“, sagt Tom Edgington, Immunologe am Scripps Research Institute in San Diego. „Mit DNS-basierten Impfungen erübrigt sich das Problem, lebende Viren im Impfstoff zu haben.“ DNS könne heute in großen Mengen hergestellt und gelagert werden. „Und außerdem müssen Sie nicht jedes Jahr eine halbe Million Hühnereier infizieren.“

Ein Bestandteil des H1N1-Virus ist das Hämagglutinin (daher das „H“). Es ist dieses äußere Protein des Erregers, mit dem das Immunsystem im Körper nicht ohne weiteres fertig wird. Von den 15 bekannten H-Versionen lösen fünf beim Menschen Grippe aus. Weil Inovio mit seinem Verfahren gezielt das Hämagglutinin angreifen will, könnten – im Prinzip – nicht nur die alljährliche Grippe, sondern auch Vogelgrippe (H5N1) und Schweinegrippe (H1N1) bekämpft werden. „Das H1N1-Virus ist nicht geheimnisvoller als das normale Grippevirus“, sagt Joseph Kim. „Es ist nur etwas anders als das, was der Körper bereits kennt – der Unterschied ist aber groß genug, um von der Immunabwehr nicht erkannt zu werden.“

In Tierversuchen hat das neue Verfahren bereits funktioniert. Inovio hat H1-Bestandteile in Mäusen getestet, die mit der besonders ansteckenden H1N1-Variante der Spanischen Grippe von 1918 infiziert wurden. In den geimpften Mäusen blieben jegliche Symptome aus, während alle nichtgeimpften starben.

Ein Elektroporations-Impfverfahren, wie es Inovio entwickelt, ist allerdings nicht unaufwändig, da die Elektroporation eigene teure Technik benötigt. „Die ist sicher schwieriger, als jemandem einfach eine Impfdosis in die Nase zu sprühen“, sagt Greg Poland, Leiter der Impfforschungsgruppe von Mayo Clinic, einer medizinischen Non-Profit-Organisation.

Den Impfansatz selbst halten die meisten Fachleute für vielversprechend. „Die Idee ist sehr gut und der Bedarf groß“, sagt Peter Palese, Virologe an der Mount Sinai School of Medicine in New York. Doch auch wenn die Tierversuche bessere Ergebnisse gebracht hätten als in früheren Tests mit DNS-basierten Impfstoffen, müsse man noch die klinischen Humanstudien abwarten.

Inovio hat sowohl H1- als H5-Bestandteile an Tieren getestet. An Menschen soll Anfang 2010 erst eine H5-Impfung ausprobiert werden, dann eine H1-Impfung. „Es wird später wahrscheinlich zwei Impfungen kurz hintereinander, im Abstand von einem Monat, geben und eine Auffrischung alle fünf Jahre“, erklärt Kim.

Inovio will sich langfristig nicht auf Grippeviren beschränken. Auf der Liste der Krankheiten, gegen die dringend Impfverfahren gefunden werden müssen, stehen auch Malaria und Dengue-Fieber. Ihr wirtschaftliches Potenzial gilt allerdings als gering. Während Grippe-Impfungen eine 20-Milliarden-Dollar-Markt sind, würden Malaria- oder Dengue-Fieber-Impfungen das Geld wohl nicht reinholen, das für ihre Entwicklung nötig war, argwöhnt Tom Edgington. „Es ist ein langer Weg dahin, der Öffentlichkeit zu helfen und die Welt zu verändern.“ (nbo)