Goldener Durchblick

Bislang stehen Metamaterialien eher für visionäre Anwendungen wie Tarnkappen. Stuttgarter Physiker haben nun ein Metamaterial aus Goldstrukturen entwickelt, das sich ganz praktisch als hochempfindlicher Biosensor nutzen lässt.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht
Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Niels Boeing

Vor drei Jahren machten die so genannten Metamaterialien erstmals Schlagzeilen: Britische und amerikanische Forscher hatten aus ihnen den rudimentären Prototyp einer Tarnkappe hergestellt, der ein Objekt zumindest für Mikrowellen unsichtbar macht. Seitdem boomt das neue Forschungsgebiet. Doch während brauchbare Tarnkappen oder Superlinsen noch Jahre entfernt sind, entdecken Wissenschaftler neue Anwendungen, die schneller Wirklichkeit werden könnten. Eine clevere Konstruktion haben Physiker der Universität Stuttgart entwickelt: ein Metamaterial aus Goldteilchen, das als hochempfindlicher Molekülsensor in der Medizin dient.

Metamaterialien zeichnen sich durch eine besondere Struktur aus winzigen metallischen Drähten und Ringen aus, die die Ausbreitung von Licht auf verblüffende Weise verändert. Weil diese ähnlich wie Atome mit dem elektrischen und dem magnetischen Feld von Strahlung wechselwirken, werden sie häufig auch als „künstliche Atome“ bezeichnet. Sie sind zwar Hunderte Male größer als Atome, aber für einfallendes Licht immer noch so klein, dass ein Metamaterial für die Strahlung wie ein homogener Stoff wirkt.

Die Kunst besteht nun darin, die Drähte oder Ringe so zu designen, dass sie einen ganz bestimmten Effekt erzeugen: zum Beispiel Metall für Licht durchlässig zu machen. Genau das ist nun den Physikern Harald Giessen und Na Liu gelungen. „Wenn man Goldteilchen geschickt anordnet, kann man sie durchsichtig machen“, sagt Giessen. Das Wissenschaftsjournal Nature Materials hob die Arbeit der Stuttgarter auf den Titel seiner Septemberausgabe.

Der Grundbaustein ihres Metamaterials besteht aus drei kurzen Goldbalken, die von oben betrachtet eine Art „H“ formen (siehe Bild). Der 355 Nanometer lange Querbalken schwebt dabei 30 Nanometer über den Längsbalken, die etwas kürzer sind. Befindet sich der Querbalken in der Mitte, lässt das Metamaterial kein Licht durch. Verschiebt man den Querbalken aber ein wenig aus der Mitte der H-Anordnung, kommt es zur so genannten elektromagnetisch induzierten Transparenz (EIT): Das Material wird für eine bestimmte Lichtwellenlänge durchsichtig.

Fällt Licht auf den Querbalken, regt es die Elektronen in den Goldatomen bei geeigneten Wellenlängen zu einer kollektiven Schwingung an. Die Energie, die so auf das Gold übertragen wurde, wird teilweise in Wärme umgewandelt und teilweise wieder abgestrahlt. Der Querbalken wirkt wie eine kleine Dipolantenne, die zum Betrachter zurückstrahlt. Sitzt er genau in der Mitte, schluckt er die gesamt Lichtenergie – die beiden Längsbalken bekommen nichts ab.

Ist er jedoch verschoben, fällt ein Teil des Lichtes auch auf die Längsbalken. Die strahlen ihrerseits wie eine Quadrupolantenne zurück. Der Clou ist nun: Bei einer bestimmten Wellenlänge sind die Lichtwellen der Längsbalken und die der Querbalken phasenversetzt – und löschen sich in Richtung des Betrachters aus. „Das funktioniert wie bei mehreren Pendeln, die man mittels Federn zusammenkoppelt. Wenn die Pendel genau gegeneinander schwingen, ist es möglich, dass sich ihre Schwingungen gegenseitig auslöschen“, beschreibt Harald Giessen den Effekt. Am größten ist er, wenn der Querbalken 90 Nanometer von der Mitte der H-Anordnung platziert wird.

Während das Metamaterial dann kein Licht reflektiert, geht das nach hinten – vom Betrachter weg – abgestrahlte Licht ohne Probleme durch. Die Gold-Nanostrukturen werden also transparent. An diesem EIT-Effekt haben sich zwar auch andere Forschungsgruppen mit eigenen Metamaterialien versucht, aber mit nur mäßigem Erfolg. Das Besondere an der Struktur von Giessen und Liu sei die dreidimensionale Anordnung der Goldbalken, lobt Stefan Maier, Physiker am Imperial College in London, die die Transparenz entscheidend verstärke, und zwar in einem scharf umrissenen Wellenlängenbereich. „Sie haben gezeigt, dass das Konzept praktisch nutzbar ist“, so Maier, zum Beispiel als Biosensor.

Das funktioniert, weil Moleküle, die sich an den Goldbalken anlagern, den Brechungsindex für das passierende Licht ändern. Der gibt an, in welchem Winkel Licht von einem Stoff umgelenkt wird – zu beobachten am scheinbar geknickten Stiel eines Strohhalms in einem Glas Wasser. Diese Umlenkung dient dann als Nachweis, dass in einer Probe ein gesuchtes Molekül, etwa ein für eine Krankheit typisches Protein, vorhanden ist.

„Die Effekte sind groß und reproduzierbar“, sagt Giessen. Im Prinzip würde schon eine einzelne Gold-Nanostruktur genügen, um eine Wirkung festzustellen. Das bedeutet, dass bereits mit einem winzigen Probenvolumen von einigen Dutzend Attolitern – Trillionstel Litern – einige wenige Moleküle eines Stoffes nachgewiesen werden kann.

Herstellen lassen sich die Goldstrukturen mit etablierten Verfahren. Die Balken werden aus einer Goldschicht auf einem Quarz-Untergrund mit Hilfe der Elektronenstrahllithographie erzeugt. Als Zwischenschicht, die die Längs- und Querbalken auf Abstand hält, dient ein Photopolymer.

Giessens Gruppe hat ihr neues Metamaterial inzwischen als Sensor für den Glukosegehalt einer wässrigen Lösung getestet. Der lässt sich bestimmen, wenn die benetzten Goldstrukturen mit einem Infrarotlaser beschienen werden. Diese Ergebnisse sind am gestrigen Dienstag im Fachjournal Nanoletters veröffentlicht worden. Damit wäre es denkbar, die Goldstrukturen zum Beispiel in Kontaktlinsen einzubauen, um bei Diabetikern den Glukosegehalt des Blutes – der ähnlich groß wie der der Augenflüssigkeit ist –, bestimmen zu können.

Mehr zum Thema NEUE MATERIALIEN finden Sie im Fokus der neuen Ausgabe 10/2009 von Technology Review, die ab heute am Kiosk oder hier portokostenfrei online zu beziehen ist. Die Fokus-Artikel im einzelnen:

ENTWICKLUNG: Designersubstanzen krempeln die Produktionswelt um
EXOTIK: Stoffe zum Staunen – vom Flüssigholz bis zum durchsichtigen Alu
TURBINENBAU: Speziallegierungen steigern die Effizienz von Flugzeugen
BIOWERKSTOFFE: Naturfasern erobern den Massenmarkt
METAMATERIALIEN: Nanomuster machen die unmöglichsten Lichteffekte möglich
(nbo)