Bayern prescht bei der Telefonüberwachung vor

Der Gesetzentwurf der bayerischen Staatsregierung zur Änderung des Polizeirechts gehe über die Strafprozessordnung hinaus, meint der Deutsche Anwaltsverein.

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Von
  • Jörg Wester

Ein Gesetzentwurf der bayerischen Staatsregierung zur Änderung des bayerischen Polizeiaufgabengesetzes gehe über die Strafprozessordnung hinaus: Auch Rechtsanwälte, Abgeordnete, Geistliche und Journalisten könnten demnach ohne Einschränkung abgehört und ihre Telefonkontakte registriert und aufgezeichnet werden, meint Rechtsanwalt Georg Prasser, Vizepräsident des Deutschen Anwaltsvereins (DAV).

Der Gesetzentwurf (Landtagsdrucksache 14/12261), der heise online vorliegt, soll nach den Vorstellungen der Urheber Modellcharakter für andere Bundesländer und gegebenenfalls für den Bundesgrenzschutz haben. Nach Ansicht des DAV ist er hingegen ein neuer Versuch, das ohnehin schon gewaltig eingeschränkte Grundrecht nach Artikel 10 des Grundgesetzes auf Unverletzlichkeit des Fernmeldegeheimnisses weiter auszuhöhlen.

Auch Hans-Christian Ströbele, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen im Bundestag, und Jerzy Montag, deren rechtspolitischer Sprecher, sehen den Entwurf als problematisch an. Betroffen seien nicht nur Straftäter oder Verdächtige, sondern viel mehr noch unbeteiligte Bürgerinnen und Bürger.

Schon jetzt ist die Bundesrepublik Deutschland Weltmeister im Abhören von Telefongesprächen. Die Statistik der Regulierungsbehörde für Telekommunikation (RegTP) zeigt 21.874 Abhöraktionen im Jahr 2002, das sind zehn Prozent mehr als im Vorjahr. Angesichts dessen erwartet der DAV mit Spannung das vom Bundesministerium der Justiz in Auftrag gegebene Gutachten des Max-Planck-Instituts zur Praxis von Telefonüberwachungsmaßnahmen (Max- Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg: "Rechtswirklichkeit und Effizienz der Überwachung der Telekommunikation nach den §§ 100a, 100b StPO und der akustischen Wohnraumüberwachung nach § 100c I Nr. 3 StPO"). "Statt dieses Gutachten abzuwarten, wollen Sicherheitspolitiker offenbar mit dem bayerischen Gesetzentwurf Fakten schaffen und wieder einmal Bürger- und Freiheitsrechte beschränken", kommentiert Prasser.

Der Gesetzentwurf sieht unter anderem vor, dass nicht mehr nur zur Strafverfolgung bei konkretem Tatverdacht, sondern bereits präventiv zur Gefahrenerkennung und -abwehr die Polizei Telekommunikation per Telefon, Fax, E-Mail, SMS usw. überwachen, unterbrechen und ganz sperren darf. Außer den Inhalten der Kommunikation sollen auch Verbindungsdaten wie Zeiten, Standorte der Kommunikation, Ruf- und Kartennummern festgestellt, Beteiligte identifiziert sowie Mobiltelefone durch stille SMS heimlich aktiviert werden dürfen. Die TK-Dienstebetreiber werden verpflichtet, auf eigene Kosten diese Überwachung zu ermöglichen und Verbindungsdaten zu übermitteln. Dies soll sogar die Daten umfassen, die bei bloßem Standby-Betrieb von Handys anfallen. (jwe)