Prozessorgeflüster

Westmere, Sandy Bridge, Larrabee? – Nein, das Tagesgespräch auf dem Intel Developer Forum (IDF) war der plötzliche Wechsel des bisherigen Digital-Enterprise-Group-Chefs und IDF-Gründers Patrick P. Gelsinger von Intel zu EMC. Zahlreiche Spekulationen über die Gründe schossen ins Kraut.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht
Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Andreas Stiller

Eigentlich sollte Gelsinger wie üblich seine IDF-Keynote halten und auch ein 1:1-Gespräch mit ihm war schon eingeplant – da schlug die Nachricht wie eine Bombe ein: Gelsinger wechselt nach über 30 Jahren Dienst bei Intel zu EMC an die Ostküste, um dort den Posten des Präsidenten und Chief Operating Officer (COO) zu bekleiden und möglicherweise bald auch die Nachfolge des Firmenchefs Joe Tucci anzutreten.

Dass sich Intel-Chef Paul Otellini und Gelsinger nicht besonders grün sind, war allgemein bekannt – viele sprachen gar von offenem Hass. Hier der technische Genius Gelsinger, das Wunderkind, das schon mit 17 Jahren zu Intel gekommen war und dann als Intel-Angestellter an der Universität in Santa Clara und der exklusiven Privat-Uni Stanford Elektrotechnik studierte, dort der Volkswirt Otellini, der noch ein paar Jahre mehr Intel-Erfahrung auf dem Buckel hat. Hier der evangelikale Prediger der streng bibeltreuen Singing Hills Christian Church – dort der ehemalige Messdiener, der an der Jesuiten-Universität in San Francisco studierte.

Vielleicht wollte Otellini wieder mal die Rosinen aus der Keynote von Gelsinger klauben, um selbst mit technischen Neuerungen glänzen zu können, wobei der Ökonom dann gelegentlich das ein oder andere durcheinanderbringt. So kündigte er im Frühjahr 2008 den Nehalem-EX (Beckton) bereits für Ende desselben Jahres an – „I had to correct him“ sagte mir später Gelsinger süffisant in einem Gespräch in Oregon. Der achtkernige Xeon 7500 steht nämlich erst in diesem Herbst auf der Tagesordnung. Oder Gelsinger passte die Neuordnung des Managements nicht, bei der ihm möglicherweise andere Leute vor die Nase gesetzt werden sollten.

Manche Journalisten glauben indes, dass ihm die von ihm zu verantwortenden Misserfolge bei Itanium-Tukwila und Larrabee das Manager-Genick gebrochen haben. Mit wem man auch außerhalb von Intel spricht, im Silicon Valley ist der dauerverschobene Tukwila zur Lachnummer verkommen. Und sollte Hewlett Packard tatsächlich die Sun-Hardware übernehmen, wäre der Itanium-Ofen wohl endgültig aus. Dummerweise droht auch dem Grafikchip Larrabee das „Itanic“-Schicksal. Der zum IDF vorgesehene B0-Step soll nicht rechtzeitig fertig geworden sein beziehungsweise noch viele Bugs enthalten – und wenn Larrabee dann irgendwann im nächsten Jahr deutlich verspätet auf den Markt kommt, kann er wohl wie einst der erste Itanium-Merced der Konkurrenz nur mit großem Abstand hinterherlaufen.

Möglicherweise hat Gelsinger auch Vorab-Infos zu den nächsten GPU-Generationen von AMD und Nvidia gelesen und vor lauter Frust den Hut genommen. Höchstwahrscheinlich war es aber doch unsere traditionelle Wette um eine Flasche guten Weines, diesmal zum Thema Tukwila-Performance, die Gelsinger kaum noch hätte gewinnen können. Und er hasst es zu verlieren – da wechselt er lieber schnell den Job …

Ob Intel die Umstellung des Managements schon länger plante oder Gelsingers Abschied zum Anlass nahm, bleibt offen – nun übernehmen jedenfalls zwei Nicht-Amerikaner gemeinsam die neu geschaffene Intel Architecture Group (IAG): der Brite Sean Maloney und der Israeli Dadi Perlmutter. Sechs Abteilungen gehören zur IAG, wobei die wichtigste, die PC Client Group (PCG), die sowohl mobile als auch Desktop-PCs umfasst, von einem weiteren Israeli geleitet wird: Shmuel „Mooly“ Eden. Neben der IAG steht die Technology and Manufacturing Group (TMG), die der 60-jährige Chief Administration Officer und Finanzfachmann Andy Bryant führt.

Der Verkaufs- und Marketingexperte Maloney fiel auf den IDFs sowohl akustisch (nämlich mit seinem typischen britischen „Akzent“) als auch optisch auf – er zieht vornehmes britisches Tuch dem Intel-Einheitslook aus blauem Hemd, khakifarbener Bundfaltenhose und Fransen-Slippern vor –, aber bislang weniger durch technische Expertise. Und auch der verbleibende fünfte im Intel-Führungskader, der Chef von Intel Capital, ist wie Andy Bryant ein Finanzexperte.

Mit Perlmutter bleibt wenigstens noch ein erfahrener Prozessorentwickler im Führungsteam, dennoch übernahm Sean Maloney auf dem IDF Gelsingers Rolle, neben Otellini die interessantesten Hardwareneuigkeiten zu präsentieren. Etwa den Problem-Chip Larrabee als „Early Silicon“ (ob Ax- oder doch schon B0-Stepping, weiß man nicht), der Quake Wars: Enemy Territory mit Echtzeit-Raytracing vorspielte. Er tat dies auf einem System mit Sechskernprozessor codenamens Gulftown, in dem bereits die Westmere-Architektur steckt, also die auf 32 Nanometer verkleinerte Ausführung des aktuellen 45-nm-Nehalem alias Core i7. Die ersten Westmeres durchlaufen bereits die Produktion, allerdings als Doppelkerne, die zusammen mit einem 45-nm-Grafikkern (samt Speicher- und PCIe-Controllern) in einem Gehäuse wohnen werden.

Beim Westmere-Nachfolger Sandy Bridge packt Intel den Grafikprozessor gleich mit aufs Die, frühe Prototypen funktionieren schon: Maloney führte Video- und 3D-Software vor, beides von der Vektorerweiterung AVX beschleunigt. In Sandy Bridge soll nach inoffiziellen Informationen auch ein Bestandteil des Pentium 4 wieder zu neuen Ehren kommen: der Execution Trace Cache – wenn auch in etwas anderer Form. Der bereits im Nehalem vorhandene kleine Loop-Cache für 28 Mikrooperationen wurde auf über 1500 µOps aufgebohrt, zusätzlich zum 32-KByte-L1-Instruktionscache für x86-Befehle.

Die 256-bittige Vektorerweiterung AVX wird wohl nur für eine kurze Übergangsphase von Bedeutung sein, denn nach der Verkleinerung auf 22 nm (Ivy Bridge) ist die neue Architektur namens Haswell geplant, die dann vermutlich den Larrabee New Instruction Set (LNI) mit 512 Bit breiten Registern integriert.

Der 22-nm-Prozess P1270 jedenfalls liegt laut Intel voll im Plan, Otellini konnte in seiner Keynote den üblichen Test-Wafer mit SRAM-Dice hochhalten. Jeder Chip umfasst 2,9 Milliarden Transistoren, eine SRAM-Zelle belegt 0,092 µm2 Fläche – also acht Prozent weniger als von IBM vor einem Jahr angekündigt.

Die 22-nm-Technik kommt 2011, jetzt im Herbst und Winter sind erst einmal weitere 45-nm-Produkte dran: Nehalem-EX mit acht Kernen, Stromspar-Xeons der 3000er-Linie mit 30 Watt TDP, für die Intel ein „Micro Server“-Referenz-Design kreierte, Jasper Forest, ein Spezial-Xeon für Storage-Systeme, sowie der Mediaprozessor CE4100 (Sodaville) rund um einen Atom-Kern, der den CE3100 (Canmore) mit Pentium-M-Innereien beerbt. Ein ähnliches Atom-Update steht auch dem für Netzwerkgeräte gedachten System-on-a-Chip namens Tolapai an. Tja: mein Tolapai-Muster hab ich mal als Wettzugabe von Pat Gelsinger erhalten …. (as)