Die "Peace-of-mind"-Gesellschaft

Der schnelle Wandel verändert die Anforderungen ans Produktdesign. Neben Hightech und Funktion müssten die Geräte den Kunden auch Seelenfrieden bieten, sagt ein japanischer Firmenboss.

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Von
  • Martin Kölling

Als der ehemalige japanische Ministerpräsident Taro Aso dieses Jahr seinem Volk im Wahlkampf versprach, eine "Peace-of-Mind"-Gesellschaft aufzubauen, bespöttelte ich die Idee vom Seelenfrieden als gesellschaftliches Leitmotiv noch. Doch vorige Woche lief mir die Peace-of-Mind-Gesellschaft unerwartet auf Japans Elektronikmesse Ceatec wieder über den Weg - diesmal in Form eines Grundsatzes von Fumio Ohtsubo, dem Chef von Panasonic, dem größten Konsumelektronikkonzern dieses Planeten. Und nun nehme ich sie ernster.

Die Menschheit stehe vor einer grünen und demografischen Revolution, einem vollständigen Wandel der Gesellschaft, der vielleicht größer als alle Veränderungen zuvor sein würde, sagte Ohtsubo. Für ihn hat dies eine Auswirkung auf die Kundenwünsche an Produkte, die weit über das rein materielle hinausreicht. "Wegen des schnellen Wandels suchen die Kunden immer mehr nach einem Peace of Mind (Seelenfrieden)", meinte der Firmenlenker, "dies sollte nicht vernachlässigt werden". Ebenso wenig sollte man Ohtsubos Rede als Wortgeklingel abtun. Denn erstens schließt der Panasonic-Boss seine programmatische Aussage aus den messbaren Verschiebungen in der Kundennachfrage und zweitens gründet er Panasonics Unternehmensstrategie auf diese Aussagen.

Wie gesagt, zwei große Trends sieht Ohtsubo am Werk: Neben dem Klimawandel heizt auch der wachsende Zahl von alten Leuten den Herzenwunsch nach Sicherheit an. Denn die neue Generation der Senioren will nicht nur bis ins hohe Alter aktiv sein und das Internet nutzen, sondern fürchtet sich gleichzeitig vor Alterserkrankungen und Einsamkeit sowie der Gefährdung ihrer persönlichen Sicherheit. Gleichzeitig beobachtet Ohtsubo einen Wertewandel, den Unternehmen bedienen müssen, wenn sie erfolgreich sein wollen. Die "Soviel-wie-möglich"- und Wegwerf-Philosophie wird durch ein "Gerade-genug"-Denken und Recycling verdrängt. Die Menschen wollen lieber Geräte mit wenigen oder einem Optimum an Funktionen als wie bisher möglichst vielen Funktionen. Und zuletzt – und das dürfe besonders hart für Autobauer werden – die Freude am Besitzen weicht dem Wunsch, ein Produkt nur dann zu benutzen, wenn man es braucht.

Das Interessante für mich ist, dass der Konzern seine Unternehmensstrategie von den Ideen leiten lässt. Bei Elektronikartikeln zählt Panasonic mit einer langen Reihe anderer japanischen Hersteller wie Toyota zum Beispiel zu einem der Vorreiter der "Universal Design"-Philosophie. Die will Produkte so gestalten, dass sie für eine möglichst große Gruppe von Menschen aller Alters- und Fähigkeitenstufen bedienbar bleiben. Die Kunst ist also, immer größere Komplexität einfach bedienbar zu machen. Im Produktdesign wird diese Anforderung inzwischen manchmal mit Simplexity bezeichnet. Und dank der hohen Rechenleistung der Geräte gelingt dies immer besser. Gleichzeitig bietet man revolutionäre Technik in alter Form dar, um die Kunden nicht zu sehr zu verunsichern. So sehen die ersten Elektroautos mit Absicht wie ganz normale Pkws aus, obwohl die neue Technik den Designer weit radikalere Formen ermöglicht, erklärte mir ein Honda-Manager.

Zusätzlich verschieben viele der erfolgreichsten japanischen Hersteller das Produktportfolio zu umweltfreundlichen Energieträgern und Robotertechnik. Die Autobauer Toyota, Honda und Nissan forschen mit Hochdruck an den Automaten. Nissan hat auf der Ceatec kleiner Roboter vorgestellt, die kreuz und quer fahren können, ohne zusammenzustoßen. Das Ziel ist klar: Roboterautos. Die würden auch fahruntüchtigen Greisen motorisierte Mobilität gewähren. Honda hat ein Robotereinrad vorgestellt, das die persönliche Mobilität zu erhöhen verspricht. Toyota entwickelt zudem wie Panasonic an Robotern in der Krankenpflege, die den Menschen länger ein eigenständiges Leben ermöglichen sollen.

So weit, so gut. Doch Ohtsubo schnitt ein weiteres Thema an, das sich nach einem Ausbau des Überwachungsstaats anhört: Sicherheitstechniken. Auf der Ceatec zeigte er kurz ein Überwachungssystem mit Personen- und Bewegungserkennung, das auch von Autobauern und -zulieferern entwickelt wird. Das System kann Menschen in einer Straßenszene in Echtzeit markieren und verfolgen. In Zukunft wird es zudem, so malte Ohtsubo aus, auffälliges Verhalten erkennen und davor warnen können. Diese Fähigkeit der Verhaltenserkennung und -prognose ist natürlich wichtig für Roboterautos, die wie menschliche Fahrer das künftige Handeln anderer Verkehrsteilnehmer an deren Verhalten ablesen können müssen. Doch auch zur Verbrechensbekämpfung oder gar -vorbeugung wird sich das System nutzen lassen. Angesichts der wachsenden Zukunftsängste vieler Menschen und deren Sehnsucht nach Seelenfrieden dürften noch bestehende Vorbehalte vor solcher Totalüberwachung schwinden. Wenn Ohtsubo recht hat, könnte die grüne Revolution obrigkeitsstaatliche Tendenzen verstärken. (bsc)