Der Preis ist dreist, und manchmal berechtigt – die Fotonews der Woche 13/2023

Sony langt bei Vlogging-Kameras kräftig zu, ein Student gewinnt einen wichtigen Preis und KI macht den Papst zum Hipster. Eine Woche voller Gegensätze.

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Blick durch ein Fenster mit vielen Kabeln davor. Die Sonne wirft den Schatten des Fenstergitters in den Raum.

Kein KI-Bild, sondern der WPA-Sieger "Shifting" in der Kategorie South America - Open Format.

(Bild: © Johanna Alarcón, Magnum Foundation/Panos Pictures)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Nico Ernst
Inhaltsverzeichnis

Seit dem ersten Walkman von 1979 gilt Sony als Meister der Miniaturisierung, und jetzt hat das Unternehmen es schon wieder geschafft: Die ZV-E1 ist wohl die kompakteste Systemkamera mit Vollformatsensor. Wer als Fotograf sofort an ein Immer-dabei-Gerät denkt, wird aber weitgehend enttäuscht: Das Ding ist für die unkomplizierte Videoproduktion gedacht, beispielsweise eine B-Roll, die aus der Hand gefilmt wird. Folglich gibt es wenige mechanische Einstellmöglichkeiten und auch keinen Sucher, das Bild muss über das Klappdisplay gestaltet werden. Und 12 Megapixel sind heute für Fotografieren auch nicht mehr der letzte Schrei.

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Schnell ist da der etwas abgegriffene Begriff des "Vlogging", also des Video-Bloggens bei der Hand. Dabei tut die Vorstellung von jungen Menschen, die jede Belanglosigkeit ihres Lebens auf YouTube veröffentlichen, dem Genre aber Unrecht. Diese Inhalte sind weitgehend auf dem absteigenden Ast der Beliebtheit. Vielmehr sollte man vom Webvideo-Produzenten sprechen, der heute teilweise hochprofessionell arbeitet. Das Unternehmen "Linus Media Group" rund um den Kanal "Linus Tech Tips" hat beispielsweise inzwischen rund 100 Angestellte, produziert in eigenen Studios jede Woche Dutzende Videos und kommt allein mit seinem Hauptkanal auf über 15 Millionen Abonnenten. Sowas ist auch finanziell ein Millionenunternehmen.

Und da ist es dann kein Wunder, dass auch Firmen wie Sony sich die Geräte für solche Anwendungen immer besser bezahlen lassen. Die ZV-E1 kostet in Deutschland ohne Objektiv rund 2.700 Euro, mit 28-60mm Zoom gleich 3.000. Fragt man dann professionelle Kameralaute von TV und Film, halten die das zwar immer noch für ein Spielzeug, aber wenn man weiter bohrt, kommt heraus: Viel günstiger als etwa Canons R5C oder C70, beide um 4.500 Euro ohne Optik, ist die Sony schon. Kleiner und leichter ohnehin. Und für alle, die bisher an Preise unter 1000 Euro für Sonys ZV-Serie gewöhnt waren, gilt die alte, harte Formel: Wenn Du nach dem Preis fragen musst, bist Du nicht die Zielgruppe. Sony lässt sich seine Kombination aus Kompaktheit, KI-Funktionen wie beim Autofokus, guter App-Anbindung und die große Auswahl an Objektiven für den E-Mount so lange besonders gut bezahlen, wie Canon, Nikon oder andere das Segment der Webvideo-Kameras so weitgehend ignorieren wie bisher.

Und wer sich für Leica interessiert, hat sowieso noch nie nach dem Preis gefragt. Das gilt auch für die Q3, die nach unbestätigten Angaben noch teurer als die Q2 werden soll. Jene Kompaktkamera kostet derzeit um 5.600 Euro. Im Sommer 2023 soll die Q3 erscheinen, 60 Megapixel bieten, und den Bildprozessor der großen M11 besitzen. Ob Leica damit auch die gerade angesagten KI-Funktionen realisiert, ist noch nicht bekannt – es bleibt spannend, ob die Traditionsmarke den Trend mitmacht.

KI, eigentlich: Maschinelles Lernen ist auch das Feld, in dem bestehende Kameras immer weiter verbessert werden. Canon hat in dieser Woche für die R3 ein Update bereitgestellt, das durch vorab gespeicherte Daten von menschlichen Gesichtern diesen einen Vorrang beim Autofokus einräumen kann. Praxisbeispiel: Wenn die Schwiegermutter sich auf der Hochzeit in letzter Sekunde ins Bild drängt, ist trotzdem nur das Brautpaar scharf. Und auch per Software, aber durch bessere Nutzung der Mechanik, kann die R5 nun per Pixel-Shift Fotos mit 402 Megapixeln Auflösung erstellen.

Was die vermeintliche, aber immer künstliche Intelligenz in den Köpfen des Publikums durch computergenerierte Bilder auslösen kann, hat in dieser Woche die Midjourney-Kreation des Papsts als Michelin-Männchen überdeutlich gezeigt. Eva-Maria Weiß hat das so auf den Punkt gebracht: "Selbst wenn uns klar ist, dass die Bilder nicht echt sind, verdrahtet das Gehirn diese Informationen." Die unkritischen Fans von KI-Bildern spotten derweil in sozialen Netzwerken über die Kritiker, welche die Hand im Kaffeebecher des Papstes oder die auf einer Seite fehlende Kette für sein Pektorale nicht sofort erkennen. Wenn uns aber die letzten Monate mit KI eines gelehrt haben sollten, dann: Es wird immer schwerer, die Fakes wirklich zu erkennen, denn die Technik wird in bisher nicht gesehenem Tempo weiterentwickelt.

Und das Interesse ist so groß, dass Midjourney inzwischen nicht mehr kostenlos nutzbar ist. Dem Dienst gingen die Ressourcen aus, insbesondere GPU-Rechenleistung, zudem haben sich viele Nutzer um die Begrenzungen etwa bei der Zahl der Bilder herumgemogelt. Die Bedenken sind aber auch gesellschaftlicher Natur, so arbeitet Midjourney an einer noch nicht näher beschriebenen "Moderation" und spricht auch ganz allgemein von "Missbrauch" seiner Technik. So ganz geheuer scheint auch den KI-Machern nicht zu sein, was die Menschen dann damit anstellen. Und bei den Sprachmodellen wie ChatGPT wachen so langsam auch die Datenschützer auf: Italien will den Dienst gleich ganz sperren, weil darin ja – welch Überraschung – personenbezogene Daten verarbeitet werden, die zudem schlecht geschützt sind.

Natürlich gibt es auch in dieser Woche Nachrichten um das wirklich echte und nicht-bewegte Bild: Der Fotografie-Student Jonas Kakó aus Hannover hat einen der Regionalpreise des "World Press Photo Award" gewonnen. Und zwar nicht den für die beste Reportage über die Heidschnucke zwischen Bispingen und Schneverdingen, sondern für die Region Nord- und Südamerika – da ist die Konkurrenz besonders hoch. Sein Siegerfoto hat der NDR, wo es auch ein Interview mit ihm zu hören gibt, als "Drei Männer in weißen Anzügen stehen in der Wüste" beschrieben.

Und gerade weil diese auf den ersten Blick so einfache Szene so viele Fragen aufwirft, erzählt sie eine Geschichte: Wegen der seit Jahren anhaltenden Dürre im Westen der USA sind die Bienen immer häufiger von Milben befallen, die Behandlung der Bienen dagegen hat Kakó in Arizona festgehalten. Die Imker in der Wüste stehen dabei sinnbildlich für die Folgen der Klimakrise, die sonst kaum bekannt sind – die Kamera auch auf solche Aspekte zu richten, macht ein gutes Pressefoto aus.

(nie)