Diagnose in zehn Minuten

Eine Gruppe von Systembiologen will nach mehrjähriger Forschungsarbeit einen Chip kommerzialisieren, der präziser und schneller Blutproben untersuchen kann. Statt nach einzelnen Proteine zu fahnden, sollen ganze Proteinnetzwerke analysiert werden.

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Von
  • Katherine Bourzac

Neue, schnellere und effizientere Bluttests sind eines der Versprechen einer kommenden Nanomedizin. Eine Gruppe von namhaften US-Forschern hat nun nach mehrjähriger Forschungsarbeit das Start-up Integrated Diagnostics in Seattle aus der Taufe gehoben, das – ausgestattet mit einem Kapital von 30 Millionen Dollar – aus den Erkenntnissen der Systembiologie einen solchen Test entwickeln will. Innerhalb von Minuten soll der dann Tausende von Proteinen im Blut aufspüren können, um ein umfassendes Bild des Gesundheitszustandes zu liefern.

In heutigen Bluttests wird eine Probe auf einige wenige Moleküle untersucht, die auf eine Krankheit hindeuten. Ein Beispiel ist die Suche nach dem prostataspezifischen Antigen (PSA), das ein Anzeichen für Prostatakrebs ist. Als besonders zuverlässig und genau gelten solche Tests allerdings nicht.

Integrated Diagnostics verfolgt einen anderen Ansatz, der aus dem noch recht jungen Fachgebiet der Systembiologie stammt. „Anstatt immer nur auf jeweils ein Gen oder Protein zu schauen, geht die Systembiologie davon, dass Krankheiten entstehen, wenn ein Netzwerk von Genen und Proteinen gestört ist“, erläutert Leroy Hood, einer der Firmengründer und Präsident des Institute for Systems Biology in Seattle.

Sollte sich der Ansatz als richtig erweisen, könnte etwa Krebs bereits in einem viel früheren Stadium erkannt werden. Zudem könnten Forscher auch gleich bestimmen, wie schwer und in welchem Stadium eine Erkrankung ist. Die Analyse soll zugleich Aufschluss darüber geben, welche Therapie für einen Patienten am wirksamsten wäre.

„PSA-Tests werden von vielen als fehlerhaft angesehen, weil sie eine große Zahl von falsch positiven Ergebnissen liefern“, sagt Hood. „Sie müssten eigentlich sehr viele Parameter berücksichtigen.“

Im Labor funktioniere das schon ganz gut, aber in die Krankenhäuser habe es das Konzept noch nicht geschafft, sagt Paul Kearny, wissenschaftlicher Leiter von Integrated Diagnostics. Schuld daran seien Kosten und Komplexität der entsprechenden Multi-Parameter-Tests.

Das Start-up konzentriert sich zunächst auf Proteine, die im Blut vorkommen. Die zu identifizieren, ist mit heutigen Testmethoden nicht nur aufwändig, sondern auch teuer, wenn es um mehr als ein Protein geht. Ein PSA-Test kostet in den USA rund 40 Dollar. Für andere Eiweißverbindungen werden aber bis zu 500 Dollar fällig. „Mit unserer Technologie ist es realistisch, die Kosten auf wenige Cents runterzuschrauben“, ist Kearny zuversichtlich.

Kernstück ist ein billiger mikrofluidischer Chip, der einen Tropfen Blut in zehn Minuten verarbeiten kann. Dabei werden verschiedene Proteine herausgefischt, die als Gesundheitsmarker dienen. Entwickelt wurde der Chip von Leroy Hood und James Heath, Chemiker am California Institute of Technology, der ebenfalls Mitgründer der Firma ist. Die beiden gehörten auch zu der 2003 gegründeten Nanosystems Biology Alliance, die sich unter anderem die Entwicklung eines solchen Test-Chips vorgenommen hatte.

Heath hat einen weiteren wichtigen Baustein entwickelt, den das Start-up von ihm lizenziert hat: spezielle Peptide – kurze Proteinbestandteile –, die an die gesuchten Proteine in der Blutprobe andocken können. Sie sind stabiler und in der Herstellung billiger als Antikörper, die üblicherweise in solchen Tests eingesetzt werden.

Integrated Diagnostics hat vom Institute of Systems Biology außerdem eine umfangreiche Datenbank lizenziert, in der Proteine aufgelistet sind, die charakteristisch für verschiedene Organe sind. Das habe den Vorteil, so Kearny, dass Ärzte nicht nur die Krankheit selbst diagnostizieren, sondern auch sagen könnten, welche Organe betroffen sind. Ein Beispiel: Wenn Brustkrebs in der Lunge Metastasen bildet, schüttet die ebenfalls verräterische Proteine aus. Daraus kann ein Arzt schließen, dass es in der Lunge ebenfalls einen Tumor gibt.

An der Universität von Kalifornien in Los Angeles wird derzeit ein Prototyp der Technologie gestestet, der 35 Proteine identifizieren kann. Damit lässt sich untersuchen, wie Patienten auf die Behandlung von aggressiven Hirn- oder Hauttumoren reagieren. Das Ergebnis kann nach fünf bis zehn Minuten abgelesen werden.

Welche Krankheiten Integrated Diagnostics später angehen will, steht noch nicht fest. Kandidaten sind die das Zentrale Nervensystem betreffende Creutzfeld-Jakob-Krankheit, Alzheimer oder Hirnkrebs. In der Datenbank hat das Labor von Leroy Hood vor allem Proteine gesammelt, die aus dem Gehirn ins Blut gelangen, so dass sich die Untersuchung von Hirnerkrankungen aufdrängt. Bis die Technologie auf den Markt kommt, wird aber noch einige Zeit vergehen: Paul Kearny geht davon, dass der Test-Chip erst in drei Jahren fertig entwickelt ist. (nbo)