Von der Qual der Heizungswahl

Jedes Jahr im Herbst stehen Japaner vor der Wahl, für welches Heizungssystem sie sich entscheiden. Die Klimaanlage gewinnt dabei immer öfter - dank niedriger Betriebskosten und Luxusfunktionen.

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Von
  • Martin Kölling

Der Herbst hat in Japan Einzug gehalten. Und damit stehen Millionen Japaner wieder vor der Wahl, mit welcher Heizmethode sie überwintern wollen: Gas- und Kerosinbrenner (die Abluft und Abgase in die Raumluft abgeben), elektrisch betriebenen Ölradiatoren, elektrische Heizschlangen oder Klimaanlagen. So erstaunlich es für viele Nordeuropäer auch klingt: In Japan (wie auch in großen Teilen Chinas) besitzen die meisten Häuser und Wohnungen selbst in Regionen keine Heizungen, in denen die Temperaturen im Winter gerne unter zehn Grad Celsius oder gar null Grad sinken. Das Ergebnis meines Vergleichs vorweg: Immer häufiger setzen die Kunden auf Klimaanlagen als Heizaggregat – aus Gründen der Bequemlichkeit und des Umweltschutzes.

Die japanische Heizungslosigkeit hat bautechnische und kulturelle Gründe. In Japan werden Häuser "mit dem Sommer im Sinn" gebaut, wie mir eine Architektin erklärte – traditionell mit großen, papierbespannten Schiebetüren oder Fenstern. Die Wohnungen sollen in der heißen Jahreszeit schnell auskühlen können. Auf Raumheizung im Winter wurde dagegen verzichtet, was mangels Isolierung und fester Wände durchaus Sinn machte. Dieser klimapolitische löbliche Lebensstil bedeutet allerdings bis heute, dass die meisten Japaner im Winter frieren. Einen Aufstand gibt es deswegen nicht, denn hier gilt es nicht als Menschenrecht, im Winter im T-Shirt und kurzer Hose durch die Wohnung laufen zu können.

Traditionell kleidete man sich in wattierte Jacken, mehrere Schichten Hosen und heizte nur den Raum mit dem kniehohen Kotatsu-Tisch, unter dessen Platte eine Heizschlange und eine große Decke befestigt sind – er entspricht dem westeuropäischen Gemütlichkeitsäquivalent eines Kachelofens. Schiebt man die Beine unter den Tisch, wird der ganze Körper wohlig warm und man selbst angenehm schläfrig, während vor dem Mund eine Atemfahne steht. Vorm Ins-Bett-Gehen bringen sich Japaner dann durch ein heißes Bad zum Glühen.

Seither hat sich allerdings einiges getan. Zuerst gestaltete die beheizte Klobrille die Notdurft angenehmer. Zusätzlich ermöglichten mit der Zeit diverse Öfen und zuletzt Klimaanlagen sogar die Beheizung der Raumluft. Lange waren transportable Gas- oder Kerosinbrenner en vogue, mit denen kurzzeitig die Räume beheizt wurden (Schornsteine oder Gasaußenheizungen wie ich sie aus meiner Zeit in Hamburg kenne, sind in Zentraljapan absolut unüblich). Dass diese Geräte neben der Strahlungswärme auch ihre Abgase in die Raumluft abgeben, störte wenig.

Schließlich herrscht in viele Wohnungen dank undichter Fenster reger Durchzug. Die modernen Gasbrenner werben überdies damit, sich bei zu hohen Kohlendioxidanteilen in der Raumluft abzuschalten. Richtig attraktiv bleiben die Geräte allerdings durch die relativ niedrigen Anschaffungs- und Betriebskosten. Ein Gerät für die Beheizung von zehn bis 14 Quadratmeter großen Räumen kostet nur 150 Euro, die Betriebskosten pro Stunde nur sieben Cent. In den wenigen hochmodernen Wohnungen mit Isolierverglasung (noch heute ist meist Einfachverglasung mit Alu-Rahmen selbst bei Neubauten weit verbreitet, an denen im Winter das Kondenswasser hinunter in die Wand läuft und für Schimmel sorgt) werden die Bewohner darauf aufmerksam gemacht, diese Öfen zu vermeiden, wenn ihnen ihr Leben lieb ist. Es bestehe Erstickungsgefahr.

Wen Geruch und Abgase stören, kann zu elektrischen Heizschlangen (dass es so was noch gibt, wundert mich immer wieder) oder die deutschen Heizkörper ähnelnden Ölradiatoren greifen, die einfach und sauber in die Steckdose zu stöpseln sind. Die Sauberkeit hat allerdings ihren Preis. Die preiswertesten Ölradiatoren aus China kosten 75 Euro, die Elite aus meist italienischer Produktion bis zum fünffachen. Klimatechnisch eine gute Wahl, da man die Geräte nur sparsam einsetzt. Die Betriebskosten sind mit 10 bis 33 Cent pro Stunde erzieherisch hoch.

Als Alternative heizen immer mehr Japaner ihre Räume mit der Klimaanlage. Bei alten Geräten kommt dies natürlich sowohl der Haushaltskasse als auch der Umwelt teuer zu stehen. Die neueste Generation ist allerdings so energieeffizient, dass die Heizkosten pro Stunde sogar die von Gasöfen unterbieten. Im Jahresmittel holen die Spitzenmodelle aus einem kW Stromeinsatz sechs bis sieben kW Kühl- oder Heizleistung heraus (zum Unterschied zwischen dem in Europa zur Bemessung oft üblichen COP-Wert zum japanischen APF-Wert gibt es hier Infos). Damit hat sich die Energieeffizienz in ungefähr fünf Jahren etwa verdoppelt und ist Weltspitze. Zusätzlich be- oder entfeuchten die Geräte die Räume und reinigen die Raumluft wie sich selbst automatisch. Dieser Luxus hat natürlich seinen Preis: 1300 bis 1800 Euro.

Mich selbst plagt allerdings sogar bei der Verwendung der sparsamsten Methoden ein schlechtes Gewissen. Denn wegen der miesen Isolierung der Wände und Fenster heizt man mit allen Raumheizungen in der Regel die Umwelt mit. Und so werde ich mich wie die meisten Japaner auch dieses Jahr wieder mehr oder weniger klaglos in meinen wattierten Hanten und gefütterte Hosen gewanden, die Beine unter den Kotatsu-Tisch stecken und nur kurzfristig einmal die Temperatur der Raumluft erwärmen. Die klammen Finger rede ich mir schön: Die hohe Lebenserwartung der Japaner zeigt ja, dass ein bisschen Frieren noch niemandem geschadet hat. (bsc)