Elektronische Gesundheitskarte: Moratorium oder Mors Ultima?

Nach dem vom Gesundheitsministerium im Einvernehmen mit den Krankenkassen und Kassenärzten ausgehandelte unbefristete Moratorium stellt sich den Beteiligten am Gesundheitswesen die Frage: Wie geht es weiter mit der elektronischen Gesundheitskarte?

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Von
  • Detlef Borchers

Das vom Gesundheitsministerium im Einvernehmen mit den Spitzenverbänden der Krankenkassen und Kassenärzte ausgehandelte unbefristete Moratorium dominierte die Gesprächsrunden auf der Medizinmesse Medica in Düsseldorf. Wie geht es weiter mit der elektronischen Gesundheitskarte (eGK)?

Moratorium, so belehrt uns die Wikipedia in einem nach Ansicht der Wikipedianer teilweise nicht hinreichend belegten und löschbedrohten Artikel, ist lateinisch und bedeutet einfach nur Aufschub. Die Assoziation zum "Morituri te salutant" als Gruß der Gladiatoren liegt nahe, zumal früher in finsteren Zeiten das Moratorium vor einer Hinrichtung ausgesprochen wurde. Ganz so schlimm ist die Situation bei der Gesundheitskarte nicht, denn ihre bundesweite Ausgabe soll nicht gestoppt werden. Doch wie es weitergehen soll, ist selbst den Beteiligten nicht klar: Abseits der Region Nordrhein sind die Verhandlungen um Installationspauschalen für die Anschaffung von Lesegeräten ins Stocken geraten. Auch die Detailarbeiten am "Zwiebelschalenmodell" sind unterbrochen: Unklar ist, in welcher Region nach Nordrhein und später Westfalen-Lippe als nächstes Gesundheitskarten eingeführt werden.

Auch die Verhandlungen über Pauschalen zur Online-Anbindung kommen nicht weiter. Sie ist aber nötig, damit der Stammdatendienst als vorläufig einzige Pflichtanwendung der eGK funktionieren kann: Wenn ein Patient die Praxis betritt, wird online geprüft, ob er noch versichert ist und welchen Zuzahlungsstatus er besitzt. Diese Prüfung samt möglicher Adressenaktualisierung ist für die Krankenkassen der Anreiz, die eGK überhaupt auszugeben: Jährlich müssen 15 Millionen herkömmlicher Krankenversicherungskarten (KVK) neu produziert werden, weil sich der Name des Versicherten geändert hat oder dieser umgezogen ist. Entsprechend heftig reagieren die Kassen auf das Moratorium: "Wir brauchen schnell Klarheit. Die Ärzte und Apotheker müssen verpflichtet werden, sich online anzubinden", erklärte Thomas Ballast, der Vorstandsvorsitzende der Ersatzkassen gegenüber der Tageszeitung Die Welt. Gegen eine solche Zwangsverpflichtung, den Versichertenschutz online zu prüfen, wendet sich die freie Ärzteschaft. Sie behauptet in einem auf der Medica verteilten Flugblatt, dass viele Ärzte auf ihre Kassenzulassung verzichten werden, wenn sie zur Online-Anbindung verpflichtet werden.

Abseits dieser Streitfrage kommt das ministerielle Moratorium bei den Ärzten offenbar gut an, wie eine Podiumsdiskussion zur Zukunft von eHealth zeigte. "Wir können nun noch einmal in Ruhe nachdenken: Wollen wir diese technische Infrastruktur? Wollen wir nicht eine regionale Medizin und eine regionale Datenhaltung haben?", fragte Siegfried Jedamzik vom Ärztenetzwerk Goin, ein bekannter Befürworter der medizinischen Telematik. Für ihn gibt das Moratorium die Chance, dass die Resultate der beiden 100.000er-Feldtests auch wirklich in die Ausgestaltung der telematischen Infrastruktur fließen werden. Einen neuen Aufbruch erhofft sich Jedamzik von mündigen Patienten, die selbst beginnen, ihre Daten in digitalen Akten zu verwalten: "Es wäre viel besser, wenn das Geld, das jetzt in die Schweinegrippe gesteckt wird, in 80 Millionen Patientenakten gesteckt wird. Das ist nicht teuer und dann wird der Patient selbst nachfragen, was mit seinen Daten passiert." Ein mündiger Patient habe seinerseits keine Probleme, eine Karte zu benutzen, die seine Daten sicher verschlüsselt.

Eine ähnliche Position zum mündigen Patienten vertrat Heiner Vogelsang von der TK: "Heutzutage ist es unmöglich, seine eigene Patientenbiografie zu führen und wirklich einen Überblick über alle seine Daten zu haben." Allerdings habe er Skepsis, was die Angebote anbelangt, die etwa Microsoft und Google den Anwendern machen, eine eigene Akte zu führen. Hier wären auch kommerzielle Interessen im Spiel. Bei Microsoft, das an seinem Stand die persönliche Gesundheitsakte HealthVault demonstrierte, hat man mit einer solchen Sicht keine Probleme. "Wir liefern das Ökosystem für das Gesundheitswesen", heißt es in der HealthVault-Broschüre, die auf jeder Seite in den Fußnoten mächtige Disclaimer zum "bestimmungsgemäßen Gebrauch der Software" anführen. Sie lesen sich wie eine Warnung vor dem mündigen Patienten: "Da der Benutzer bestimmt, welche Informationen in der HealthVault-Akte gespeichert werden, stellen die Daten keinen Ersatz für medizinische Gesundheitsakten dar. Die Behandlungsentscheidungen der Gesundheitsdienstleister dürfen nicht allein auf Informationen in der HealthVault-Akte basieren, sondern müssen sich auf eine unabhängige Beurteilung aller Daten stützen, nachdem die Daten aus der HealthVault-Akte in das System des Gesundheitsdienstleisters kopiert wurden."

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