Tausendmal kleiner

Es gibt Sachen, die machen mich einfach rappelig. Dazu gehört die Angewohnheit vieler Wissenschaftsjournalisten, sehr kleine oder sehr große Dinge durch die abenteuerlichsten Vergleiche scheinbar anschaulich zu machen.

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Eigentlich ... soll man Kollegen nicht öffentlich schelten. Aber es gibt Sachen, die machen mich einfach rappelig. Dazu gehört die Angewohnheit vieler Wissenschaftsjournalisten, sehr kleine oder sehr große Dinge durch Vergleiche anschaulich machen zu wollen. So auch in der aktuellen Nummer der TR: „Als Nanopartikel“, schreibt der Kollege in einem ansonsten schwer zu empfehlenden Stück über Nanopartikel inn Lebensmitteln, „gelten Teilchen in Expertenkreisen, wenn sie nicht größer sind als 100 Nanometer im Durchmesser sind - das ist fast 1000-mal kleiner als ein menschliches Haar dick ist.“

Nun werden Sie fragen: Wo ist denn das Problem? Ist doch bombig. Kann ich mir jetzt echt was drunter vorstellen - wirklich ein Bild machen. Ich sehe es doch förmlich vor meinem inneren Auge: So eine typische Mikroskop-Aufnahme von einem menschlichen Haar, und daneben so ein winzig, winzig kleines Nanoteilchen. Eben, sage ich. Das Bild, das Sie sich da machen, ist total falsch. Wenn das Teilchen wirklich tausend mal kleiner ist, als ein menschliches Haar, dann sehen sie das nicht. Auch nicht, wenn sie das Haar so vergrößern, dass es fünf Zentimeter dick ist. Das Bild ist also nur scheinbar anschaulich. In Wirklichkeit verwirrt es nur.

Diese Nonchalance, mit der viele Kollegen mit Tausender-Schritten nur so um sich werfen, treibt mich gelegentlich in die Verzweiflung. Es mag ja ganz amüsant sein, zu wissen, wie viele Zuckerstückchen das Volumen der Nordsee ausfüllen würden, oder wie viele CDs man stapeln muss, damit man die Entfernung von der Erde bis zum Mond zurücklegen kann. Aber anschaulich ist das nicht. Und es vermittelt kein Wissen, sondern Scheinwissen. Sinnlose Faktenhuberei, die höchstens dazu taugt, den Nachbarn am kalten Büffet zu beeindrucken. Aber spätestens seit Wolfram Alpha online gegangen ist, ist auch diese Form der Rechenarbeit massiv entwertet.

Aber vielleicht ist das ja auch mein ganz persönliches Problem. Ich bin, wie zumindest diejenigen wissen, die diesen Blog bereit seit längerer Zeit verfolgen, von der Ausbildung her ein Physiker. Physiker, jedenfalls solche wie ich, können - oder wollen - nicht wirklich rechnen. Stattdessen schätzen sie lieber. Das drückt sich aus in Redewendungen wie „in der Größenordnung von“, oder „ein Faktor Zwei bis Drei“. (Ingenieure, die ja gewohnt sind, Dinge exakt bis auf die Kommastelle aus werden bei solchen Abschätzungen regelmäßig ein bisschen blass um die Nase - wahrscheinlich bekommt ihnen der schnelle, geistige Wechsel der Perspektive nicht). Das ist leicht. Das kann ich mir direkt vorstellen. Kein Mensch, behaupte ich einfach mal dreist, kann sich hingegen so etwas wie „tausend mal“, wirklich bildlich vorstellen. Wir haben, ähnlich, wie viele andere Tiere, höchst einen angeborenen Sinn für Zahlen. Aber der beschränkt sich auf kleine Zahlen - etwas in der Größenordnung von der Zahl unserer Finger. Alles andere ist abstrakt - und wird auch in anderen Hirnregionen abgehandelt. (wst)