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Was war. Was wird.

Auch das menschliche Gehirn kann sich zur ultimativen Maschine entwickeln, manchmal ist es aber auch nur schlecht ausgeleuchtet. Vielleicht strahlt deshalb die IT in letzter Zeit in allen mögliche und unmöglichen Farben, fragt sich Hal Faber.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Sehen wir der Realität ins Auge: Der Mensch ist eine leicht depressive Maschine inmitten der Natur, die ein selbstregulierendes System ist. Maschinenmäßig wird unser Leben organisiert, ein bisschen Willensfreiheit ist nur Dekor: Wir haben die Wahl, ultimative Maschinen zu bauen oder ultimative Maschinen zu kaufen, am besten Aliens mit rotglühender Zunge für ein Leben am USB-Anschluss. Der Mensch ist von Tieren wie Knut umgeben, "Maschinen fast so vollkommen wie wir". Mitunter plagen den Menschen Gedanken, die in einer "gut erleuchteten Maschine" namens Gehirn entstehen. Bei schlecht gewarteten Maschinen können dies Trübungen sein und Annahmen über höhere Wesen, während die besten Maschinen zur Selbsterkenntnis kommen: "Diese Welt wird niemals glücklich sein können, wenn sie nicht atheistisch ist."

*** Wenn die Maschine Mensch nicht richtig funktioniert, so produziert sie Schuldgefühle und es entsteht das, was manche Menschen ein Gewissen nennen. Es verhindert den Genuss ohne Reue und macht aus den großartigen Maschinen geknickte, leicht depressive Gebilde, die den aufrechten Gang verlernt haben. Die Schuld an der Schuld trägt natürlich die Erziehung, die aus freien Maschinen abgerichtete Automaten macht, die den erlernten Werten freiwillig gehorchen: Morgen vor 300 Jahren wurde der Arzt und Philosoph Julien Offray de La Mettrie geboren, aus dessen Theorie des Über-Ichs und der Erziehung diese Gedanken stammen. Wenn überhaupt, ist La Mettrie heute als Hofnarr Friedrich des Großen bekannt, der an einer Fasanenpastete erstickte, oder als Ergebnis einer unglücklich verlaufenden Internet-Suche im Roman Der Augenblick der Liebe.

*** Wahrscheinlich hätte La Mettrie seine helle Freude an HAL, jenen exoskelettigen Hilfsmuskeln, mit denen auf der Medica in dieser Woche schmächtige Japaner gestapelte Kartoffelsäcke durch die Halle tragen konnten. Und der Kritiker der Ärzte, die von neuen Sachen nichts wissen wollen und nur um ihre Pfründe besorgt sind, hätte auch nach Düsseldorf gepasst. Selbst die dubiosen Methoden der Pharmabranche, die jetzt von Wikileaks mit Ermittlungsakten aus dem Ratiopharm-Skandal beleuchtet werden, wäre einem La Mettrie nicht fremd gewesen. Käufliche Ärzte und bestechende Quacksalber gab es auch zu seiner Zeit. Eher etwas für unsere Zeit ist die Frage, ob die Strafanzeige von Ratiopharm gegen Wikileaks Erfolg haben wird. "Ein Firmenpersönlichkeitsrecht" kannte man im Zeitalter der Aufklärung noch nicht.

*** Nur für das Gezeter und Gejammer eines reichen Investors über die wieder einmal abgespeckte Gesundheitskarte hätte es einiger Erläuterungen zum deutschen Gesundheitssystem bedurft, die den geistigen Horizont des großen Aufklärers überschreiten. Obwohl, da könnte man auch als Zeitgenosse am Verstand der Beteiligten zweifeln. Mit der neuen Karte soll eigentlich das größte deutsche IT-Projekt aller Zeiten gestartet werden, doch jetzt sieht es danach aus, als ob für einen einfachen Online-Abgleich von Versichertendaten Milliarden investiert werden. Das elektronische Rezept, der Heilsbringer des neuen Systems, wird derzeit durch Debatten um zweidimensionale Barcode-Informationen auf dem Papierrezept ersetzt, den der Arzt druckt und der Apotheker bruchlos in seine IT einlesen kann. Das ist ein Vorschlag, den der Chaos Computer Club vor vier Jahren gemacht hatte und der seinerzeit als Billiglösung nur belächelt wurde. So mancher Fortschritt ist ein echter Rückschritt.

*** Es geht aber auch anders. Mit Erstaunen wird mancher bemerken, dass aus der waffenstarrenden inneren Sicherheit mit Vorratsdatenspeicherung, Online-Durchsuchung und der Zusammenlegung aller Polizeien ein Duales System namens innerer Friede und öffentliche Sicherheit werden soll. Zumindest steht dies in einem Interview, das die Süddeutsche Zeitung mit unserem neuen Innenminister geführt hat. Vielleicht ist Kuschelview das bessere Wort für die besinnlich-vorweihnachtliche Plauderei über Gott und die Welt, die selbst die anstehende, unter Minister Schäuble geplante Herbstkonferenz des BKA als Beweis für den neuen Frieden wertet. Nach Thomas de Maizière hilft Gott, "weil man sich sagen kann und muss, jeder Mensch ist in seiner Würde und damit auch in seinem politischen Gewicht gleich. Schließlich ist da das Bild vom Menschen als Geschöpf Gottes". Daran schließen sich die neckischen Frage der Redakteure an, ob Gottes Ebenbilder NPD wählen und Gott mitregiert in der neuen Koalition. Bei solch besinnlicher Lektüre hilft wieder einmal der Griff zum "Maschinendenker" La Mettrie: "Die Religion samt allen ihren Ablegern muss vernichtet und mit der Wurzel ausgerottet werden, damit die Menschen allein der spontanen Stimme ihres authentischen Ichs folgen können."

Was wird.

Aber halt. Bevor es dual losgehen kann mit dem inneren Frieden, ist eine Durchsage an alle Sicherheitskräfte erforderlich. Passend zu diesem Programm startet in der nächsten Woche die Fachmesse für Behördenfunker, eine wirklich spannende Sache. Denn die Vergabe des Regelbetriebs ist entgegen den Meldungen nicht in trockenen Tüchern. Der Haushaltsausschuss des Bundes muss der Entscheidung der Vergabekommission noch zustimmen. Besagter Ausschuss hatte in der letzten Legislaturperiode aus Verärgerung über ständige Kostensteigerungen die BOS-Mittel kurzerhand gesperrt. In der aktuellen muss Frau Merkel (Petra) erst einmal den Ausschuss zusammenrufen.

Wie gut, dass Frau Merkel (Angela) derweil schon sicher telefonieren kann. Kaum glaublich klingt dagegen die Aussage, dass in der schwarzroten Zeit unverschlüsselt gequatscht wurde. Wahrscheinlich verhält es sich mit dieser Aussage wie mit dem Lob von Frau Professorin Miriam Meckel, die US-Präsident Obama bewundert. Heraus kommt blühender Unsinn: "Wer bei Twitter erfolgreich und akzeptiert sein will, muss die Kommunikations- und Beziehungswünsche der Nutzer erwidern. Das Beispiel Obama zeigt, dass er neben Millionen Lesern auch selber knapp 750.000 anderen Twittern folgt." Ehe sich jemand wundert, wann dieser Präsident regiert: In dieser Woche gab Obama zu, dass er niemals Twitter benutzt hat.

Es liegt nicht an Weihnachten, Gott oder Thomas de Maizière, wenn nächste Woche die "White IT" ihren ganz großen Auftritt hat. Es ist auch keine Sequel zur "Green IT" und der ständigen Klage, dass Strom aus der Steckdose kommt. Nein, dieser Stoff hat andere Väter wie den IT-Lobbyisten Bitkom, Microsoft Deutschland und den niedersächsischen Innenminister Uwe Schünemann, der unsere Familienministerin Ursula von der Leyen überholen will. Er startet "White IT", das erste echte Bündnis im Kampf gegen Kinderpornographie. Lobend schreibt sein Ministerium: "Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann hat im Kampf gegen Kinderpornographie erstmals alle gesellschaftlichen Gruppen zusammengebracht, um endlich etwas zu bewegen. Weltweit agierende IT-Firmen, Verbände der IT-Wirtschaft und Internetprovider sind genauso dabei wie Opferschutzverbände, Ärztevertreter und Wissenschaftler." Was jetzt kommt, ist laut Ankündigung aus Hannover die erste ganzheitliche Verfolgung ihrer Art, die auf "effizientere Strafverfolgung, Opferschutz und Prävention setzt" und damit "die Internet-Politik als eigenständiges Politikfeld" entdeckt. "White IT" soll alle dunklen Stellen dieses Netzes anstrahlen. Es gibt eben Tage in der norddeutschen Tiefebene, wo Flachdenker herausragen wie die Stoppschilder des Wahlkampfes: "Im Bündnis White IT verpflichten sich alle Beteiligten, den Kampf gegen die Kinderpornographie auf allen Ebenen aufzunehmen: durch Selbstkontrolle, technische Lösungen, Prävention und rechtliche Maßnahmen." Bis zur Vorstellung des Gesamtprojektes am kommenden Freitag klingt "White IT" für mich wie eine Gammakorrektur von Andersdenkenden.

Bis dahin kann man sich etwas Zeit nehmen, den Geist frechster Gottlosigkeit zu athmen und die "cynische Sittenlosigkeit" zu bewundern, die La Mettrie zur Erkenntnis beisteuerte: "Die meisten Empfindungen und Ideen hängen von unseren Organen ab, dass sie sofort sich ändern, wenn diese eine Veränderung erfahren." Der Schließmuskel ist kräftiger als der Verstand. (jk)