LKW-Maut: Erste Einblicke in die Verträge

Stück für Stück tauchen Dokumente über die LKW-Maut auf den Seiten von Wikileaks auf. Nun kann überprüft werden, ob die geheimgehaltenen Maut-Verträge zwischen der Bundesregierung und dem Maut-Betreiber Toll Collect tatsächlich eine "Lizenz zum Gelddrucken" sind.

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Von
  • Detlef Borchers

Stück für Stück tauchen Dokumente über die LKW-Maut auf den Seiten von Wikileaks auf. Der Wust an Informationen verdient eine eingehende Sichtung. Nun kann überprüft werden, ob die geheimen Maut-Verträge zwischen der Bundesregierung und dem Maut-Betreiber Toll Collect eine "Lizenz zum Gelddrucken" sind, wie die Illustrierte Stern in ihrer aktuellen Ausgabe schreibt. Doch vor der Prüfung warten die Mühen der Ebene.

Die weitaus umfangreichste Lieferung, die mit dem Beginn "Editionstätigkeit" zu den Maut-Verträgen durch Wikileaks bislang bereitsteht, ist ein Konvolut von eingescannten Dateien, von denen etliche Scans aus dem Jahr 2002 recht ungeordnet einherkommen. Bei der zwei Mal durchgeführten Aktion, das Angebot in der Schweiz notariell beglaubigen zu lassen und damit eine Fristverlängerung für das Angebot zu erreichen, war die Bietergemeinschaft ETC (später Toll Collect GbR, später Toll Collect GmbH) nicht besonders wählerisch. An zahllosen ausgedruckten Excel-Tabellen und Formeln lässt sich allenfalls der Irrsinn erfahren, mit dem die Unterlagen von einem kostengünstigen Schweizer Notar gestempelt wurden. Selbst für Fachleute dürften die notariell beglaubigten Excel-Orgien absolut wertlos sein, dokumentieren aber auf ihre Weise den Zustand des Projektes. Die Macher von Wikileaks setzen auf die Weisheit der Massen, in dem Wust des Materials die Details zu finden, die das Geben und Nehmen bei der deutschen LKW-Maut erklärt. Ähnlich sieht das auch Netzpolitik, das von einem großen kollaborativen Experiment spricht.

Neben diesem Konvolut veröffentlicht Wikileaks Auszüge und Anhänge aus dem geheimen, jedoch nicht den kompletten Betreibervertrag. Mit dabei ist außerdem ein Kooperationsvertrag mit der AGES, nach eigenen Angaben der führende Dienstleister für Straßennutzungsgebühren, Tankkarten und Flottenkarten in Europa. AGES hatte sich in die Beteiligung am Maut-System gewissermaßen hineingedroht und wurde mit dem Clearing der Mautgebühren und dem Aufbau des manuellen Zahlstellennetzes beauftragt. Dazu sollte AGES mit den Tochterfirmen T-Systems GEI (Softwareentwicklung) und T-Systems International (Rechenzentrumsleistungen) der Deutschen Telekom zusammenarbeiten. Für die Zahlstellen sollte AGES 28 Millionen Euro pro Jahr erhalten, dazu 1,3 Prozent der Zugangsgebühren und 0,70 Euro für jede Bargeldeinzahlung bei der Maut-Buchung. Eine Abrechnungspauschale von jährlich 10 Millionen Euro und ein Anteil von 0,5 Prozent am gesamten erwarteten Gebührenaufkommen, etwa 150 Millionen Euro, runden die Sache ab. Insgesamt ein außerordentlich lukrativer Auftrag für AGES.

Ein weiteres von Wikileaks veröffentlichtes Dokumentenbündel bilden verschiedene Verträge mit einem Sachverständigenbüro, das die Funktionsfähigkeit des Maut-Systems prüfen sollte. Diese Verträge sind unvollständig, weil Toll Collect dem Sachverständigen mindestens einmal die Arbeit aufkündigte. Seine Aufgabe war es, die Funktionsfähigkeit des Maut-Systems, insbesondere der Kontrollbrücken, zu attestieren. Die Arbeit des Sachverständigenbüros wurde am 1. 10. 2009 vor dem Oberlandesgericht Frankfurt/M in einem Streitfall zwischen zwei Zulieferern der Maut-Brückentechnik ausführlich diskutiert. Dabei stellte sich heraus, dass der Sachverständige im Sommer 2003 mit drei Fahrzeugen (Maut-Zahler, -Preller, Falschzahler) sogenannte Positivtests an zwei Kontrollbrücken in Venlo und Bottrop unternahm. Von diesen Tests, die bei besten Sonnenbedingungen durchgeführt wurden, rechnete der Sachverständige die Ergebnisse auf die 300 Maut-Brücken hoch, die Toll Collect laut Betreibervertrag installieren sollte. In einem weiteren Test prüfte der Sachverständige die Funktionsfähigkeit der Kommunikation der Maut-Brücke zwischen dem Zentralrechner des Maut-Systems und dem Rechner des Kraftfahrzeug-Bundesamtes in Flensburg. Weitere Tests, etwa von den einzelnen Komponenten der Mautbrücke oder von besonderen Witterungszuständen (Nebel, starker Regen, Schneetreiben), erfolgten nach Aussage des Sachverständigen vor dem Gericht in Frankfurt/M nicht. Das Bundesamt für Güterverkehr, das die Kontrollbrücken betreiben sollte, hatte seinerzeit noch nicht einmal das Equipment geliefert bekommen, um eigene Tests durchführen zu können. Dennoch wurde das Mautsystem am 15. Oktober 2003 gestartet – und entwickelte sich zu einem veritablen Flop.

Zur Geschichte, den Verträgen und den technischen Bedingungen des LKW-Maut-Systems in Deutschland siehe den Hintergrund-Artikel:

(jk)