Europäischer Gerichtshof kippt "Lex Telekom"

Laut Urteil der Luxemburger Richter verstößt Paragraph 9a des deutschen Telekommunikationsgesetzes, der "neue Märkte" wie etwa das VDSL-Netz der Telekom von der Regulierung ausnimmt, gegen europäisches Recht.

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Absehbare Schlappe für Deutschland und die Telekom: Die von der letzten Bundesregierung im Telekommunikationsgesetz (TKG) verankerten regulatorischen Rahmenbedingungen für neue Netze verstoßen gegen europäisches Recht. Mit diesem Urteil (Az: C-424/07) vom heutigen Donnerstag kippt der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) in Luxemburg den § 9a des TKG, von Kritikern auch "Lex Telekom" genannt. Diese Regelung nahm neue Märkte grundsätzlich von der Regulierung durch die Bundesnetzagentur aus. Wettbewerber der Telekom und die EU-Kommission hatten den Paragraphen vehement als "Regulierungsferien" für das VDSL-Netz der Telekom kritisiert.

Die Bundesrepublik Deutschland habe "durch den Erlass von Paragraph 9a des Telekommunikationsgesetzes vom 22. Juni 2004 gegen ihre Verpflichtungen" aus verschiedenen EU-Richtlinien verstoßen, urteilte die Kammer des EuGH. Zudem habe der Gesetzgeber das Ermessen der Bundesnetzagentur bei der Regulierung neuer Märkte "in unzulässiger Weise eingeschränkt". Die Richter folgten mit ihrem Urteil erwartungsgemäß der Empfehlung von Generalanwalt Miguel Poiares vom April dieses Jahres.

Die Kammer gab damit auch den zahlreichen Kritikern Recht, die von Beginn an gegen die Ausnahme für neue Netze Sturm gelaufen waren. Die Warnungen vor möglichem Ärger mit der EU-Kommission hatten sich zudem bewahrheitet: Nach einigem Streit um das TKG hatte die Kommission sich im Juni 2006 für eine Klage entschieden. Im Februar begann die Verhandlung in Luxemburg.

Während die EU-Kommission vor allem negative Auswirkungen auf den Wettbewerb befürchtete, sah die Bundesregierung in der Regelung einen legitimen und mit EU-Recht konformen Schutz der Investitionen in neue Technologien. Zudem sei das Gesetz keine "Lex Telekom", weil es für alle Anbieter gelte. Das neue TKG war 2007 in Kraft getreten, als die Telekom mit dem VDSL-Ausbau begonnen hatte.

Ein "positives Signal für den Wettbewerb" sieht der Branchenverband VATM in dem Urteil der Luxemburger Richter. "Das Gericht hat die Unabhängigkeit der Bundesnetzagentur gestärkt", lobt VATM-Chef Jürgen Grützner. In der neuen Legislaturperiode müsse nun "auf jeden Fall eine wettbewerbskonforme und mit der Entscheidung des EuGH übereinstimmende Änderung des § 9a vorgenommen werden".

In der Praxis wird das Urteil kaum Auswirkungen haben. Die Telekom bietet VDSL inzwischen auch ohne IPTV an. Damit fehlt aus Regulierersicht das Merkmal, um VDSL als neuen Markt einzustufen und in den Genuss der Ausnahme nach § 9a kommen zu lassen. Vorsorglich hat die Telekom ihr VDSL-Netz inzwischen für die Wettbewerber geöffnet und kooperiert auf lokaler Ebene auch beim Ausbau mit der Konkurrenz. Doch Grund zu Streiten findet die Branche weiterhin genug. (vbr)