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Was war. Was wird.

Menschen stören, sie haben chaotische Schnittstellen. Glücklicherweise haben wir die IT, haben wir Netzwerke. Die machen das schon. Und raus bist Du. Hal Faber erlaubt sich, Bedenken anzumelden.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Die Stinkstiefel rausgestellt (DE-Variante), die Stinkesocken in den Kamin gehängt (US-Version)? Nikolaus kann gleich kommen, wenn zeitgleich diese Zeilen im Internet auftauchen. Wir werden ihn angemessen feiern, ja seine ganze Angemessenheit noch einmal gründlich durchrechnen. Für andere Menschen in anderen Ländern hat es von oben herab nicht Geschenke geregnet: "Wie viel leichter scheint es jetzt, sich ein Urteil über diese Frage der Angemessenheit zu bilden aus der Distanz mit auch für mich zahlreichen neuen Dokumenten mit neuen Bewertungen, die ich am 6. November dieses Jahres noch nicht hatte. Aus heutiger, objektiver Sicht im Lichte aller auch mir damals vorenthaltener Dokumente ist der Angriff militärisch nicht angemessen gewesen." Geht es noch verschwurbelter, Herr zu Guttenberg? Da hat jemand nicht richtig gemessen, hat nur geschätzt, hatte die Informationen falsch zusammengeführt und einen regelwidrigen Angriff befohlen, bei dem mehr als hundert Zivilisten getötet wurden. Zu den eindeutigen Regeln der ISAF gehört der direkte Feindkontakt, der einem befohlenen Luftangriff vorausgehen muss. Den hat es bei den im Schlamm festsitzenden Tankern nicht gegeben. Das deutsche Lager lag gemessene sieben Kilometer entfernt.

*** Insgesamt bietet sich – ohne die zahlreichen neuen Dokumente unseres Kriegsministers zu kennen – ein Bild, bei dem die tolle vernetzte Operationsführung nach dem Vorbild vernetzter Unternehmen nicht besonders gut abschneidet. Diese NetOpFü, wie das System bei uns korrekt in Milisprech bezeichnet wird, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als PuBuFa, als Push-Button-Fantasy, eine amerikanische Bezeichnung für den Drohnenkrieg in Afghanistan. Dass im besonderen Fall der Tanklaster Menschen in den Fluggeräten saßen, ist eine ironische Pointe, denn diese dachten nach und fragten, ob nicht ein paar Tiefflüge reichen würden. Negativ, so lautete die Antwort auf die Frage. Sie hat ihre innere Logik: Es ist immer negativ, wenn Soldaten mit dem Nachdenken anfangen. Menschen haben chaotische Schnittstellen, angemessen kann nur das Informationsnetz reagieren.

*** In dieser Woche, in der zu Guttenberg Schachtelsätze über den Afghanistan-Konflikt abwarf, sprachen sich die Volksvertreter für eine Verlängerung des Afghanistan-Mandats aus, ohne auf das Volk zu hören. Um es mit einem abgehalfterten Politiker zu sagen: Am Hindukusch wird der AVZ verteidigt und sonst nichts. In dieser Woche lud der Rüstungskonzern EADS Journalisten aus ganz Europa nach Unterschleißheim zu seinem Technology Day ein. Sie erfuhren, welche Wunderdinge Talarion leisten kann, die Europadrohne, die nach ihrem Erstflug 2014 die US-amerikanischen Predatoren ablösen soll. Von denen sind 31 Stück Bundeswehrflieger ständig in Afghanistan im SaATEG-Einsatz. Das ist Milisprech und steht für "System für die abbildende Aufklärung in der Tiefe des Einsatzraumes". Eifrig notierten sich die Journalisten, dass der Flieger mit dem Namen der Fußlatschen vom Götterboten Hermes 10.000 Arbeitsplätze garantiert, davon 3500 in Deutschland. Ahs und Ohs gab es, als die Schar der Interessierten ins NetCOS geführt wurde, das größte, weltumspannende Designzentrum für "Network Centric Operations Solutions". Jede netzwerkzentrierte Kampfhandlung kann über drei Steuerzentren in Deutschland, Frankreich und Großbritannien nachgestellt oder vorab in einer Simulation durchgerechnet werden – nur ausgerechnet die Sache in Kundus nicht: Die "sensorischen Grundeinheiten", auch Infanterist der Zukunft genannt, waren mit ihren hyperintelligenten PDAs ja nicht vor Ort, nicht mal ne einfache Messdrohne rommelte durch das Gelände. Doch wunderbar, wie all die Laptops im NetCOS über APIs miteinander kommunizierten und eine hochpräzise Informationsverdichtung bis zur FAUSt betrieben. Das ist Milisprech für "Führungsaustattung taktisch", komplett mit Großbildschirm, GPS und Satellitentelefon. Nun fehlt nur noch die Information, wofür "ANGEMESSEN" eigentlich ausgeschrieben steht. Am Ende ist angemessen der IKS-Haken der NetOpFüGu.

*** Wo bleibt das Positive? Es kommt, ganz bescheiden, mit einem Begräbnis: Poblador, compañero poblador war ein Lied, das Europäer im Protest sangen, als das Experiment von Salvador Allende gemeuchelt wurde, komplett mit dem sozialistischen Internet. Heute erweist Chile seinem großen Sänger nach 36 Jahren die Ehre und nimmt Abschied von Victor Jara, der das Menschenrecht in Frieden zu leben verteidigte. Natürlich bin ich hier parteiisch, als Vater von Kindern, die ihren Lebensweg in Südamerika fortsetzen wollen und zitiere hier einen anderen Musiker, Gilberto Gil: "In Ländern wie Kolumbien, Peru oder Brasilien gibt es ein großes Völkergemisch. Die lokalen Indianer, die Afrikaner, die Europäer, die Asiaten, alle kommen beim Aufbau Amerikas zusammen. Hier entsteht eine Weltneuheit, Lateinamerika ist dafür das Versuchslabor par excellence." Das hätte auch dem alten Grantler Alfred Hrdlicka gefallen, der immer für ein "politisches Beben im uralten Stein" gut war und so manchen Bürger verschreckte, nicht nur mit seinem Gedenkrelief "Der Tod des Demonstranten" oder dem "Mahnmal gegen Krieg und Faschismus". Nun grantelt er nicht mehr, die Beben, die er auslöste, werden wir vermissen.

Was wird.

Nach Nikolaus geht es auf die Geschenke-Jagd. Die Zeitungen sind voll mit langweiligen Empfehlungen ihrer Mitarbeiter für Bücher und Musik, ein hemmungsloser Schweifvergleich, bei dem der Weihnachtsmann lächelt. Wie wäre es mit einem schicken Badge aus Bielefeld und einem Fummel von Gerry Weber? Zum großen Geschäft beginnt die Marke aus der Nähe von Bielefeld damit, RFID-Chips in die Kleidung einzunähen, um die armen Mitarbeiter von "zeitintensiven Zählungen" zu befreien, ganz zu schweigen von der "integrierten Warensicherungsfunktion auf dem eingenähten Chip". Diese Handarbeit an der Kasse, den Tag zu suchen und abzufummeln, ist unter der Würde der Kartenlesegerätpräsentiererin. Wer sich nicht von Weber oder dem Christkindl veralbern lassen will, sei an Fairtracing verwiesen, das zeigt, wie IT auch in der Gegenrichtung arbeiten kann. Durchsichtige Kleidung ist gefragt.

Halt, vor dem großen Kaufrausch kommt die neue deutsche Nüchternheit. Der 4. IT-Gipfel tagt in Stuttgart. Die einstmals von Angela Merkel initiierte Veranstaltung wird seit Tagen von der deutschen Elite-Schmiede für IT-Ingenieure, vom Hasso-Plattner-Institut in einem Blog begleitet. In Stuttgart gibt es eine Arbeitsgruppe "Sicherheit und Vertrauen", doch zum 4. Mal schafften es die Gipfelstürmer nicht, einen Datenschützer einzuladen. Denn da oben, auf dem Gipfel, geht es um Leuchtturm-Technologien erster Güte. Erinnert sei an die elektronische Gesundheitskarte, die mittlerweile nur ein bleiches Gerippe ist. Weil Gerippe per default nicht mehr abspecken können, geht es dem Umfeld ans Fleisch: Der sogenannte Konnektor wird abgeschafft wie das gesamte Sicherheits-Blabla, wenn die Kassenärzliche Bundesvereinigung schreibt: "Die Online-Anbindung der Praxen kann eventuell auch ausschließlich über die Kartenlesegeräte erfolgen, ähnlich wie bei den EC-Kartenterminals." Da fällt er, der stolze Leuchtturm und die bestmögliche Datensicherheit des Patienten. Die kümmerlichen Reste wird der Esel Bitkom fressen und verdauen. Über 300 Millionen hat die deute IT-Industrie nach Angabe des Esels in die Karte gesteckt. Heraus kommt ein System, das Name, Anschrift und Zuzahlungsstatus des Versicherten überprüft.

Ähnlich schnittig ist es um den 450726:Klima-Gipfel bestellt, wo das "Treibhausgas" so lieblich suggeriert, ein Staat müsste nur sein "Haus" in Ordnung halten und schon wird alles gut. Tatsächlich interessiert es Staatslenker einen nassen Kehricht, wenn pazifische Archipel absaufen, Bangla Desh verschwindet und weite Teile der norddeutschen Tiefebene rund um die Insel Bungsberg ein Paddel-Paradies für bayerisch-schwäbische Touristen werden. Was ist die "grote Mandränke" schon gegen den geheimen Plan, der Flut von 2012 das Wasser abzugraben, in dem der Wasserspiegel um magische 7 Meter steigt? Wunderbar passt in die aufgeregten Debatten um die geklauten Klima-Mails der wichtigsten Forscher auf diesem Gebiet eigentlich der Satz von Fefe: "Wenn Rush Limbaugh auf deiner Seite ist, dann bist du auf der falschen Seite." (jk)