Muskelspiele im deutschen Online-Jugendschutz

Die Kommission für Jugendmedienschutz hat bei Internet-Angeboten erhebliche Verstöße gegen die Bestimmungen des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags festgestellt und erste Verfahren angekündigt.

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Von
  • Monika Ermert

Die Kommission für Jugendmedienschutz droht erste Verfahren gegen Pornoanbieter an. Sie habe bei verschiedenen geprüften Internet-Angeboten "erhebliche Verstöße gegen die Bestimmungen des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags (JMStV) festgestellt", heißt es in einer Mitteilung. Demnach will die Kommission vor allem Angebote abmahnen, die keine ausreichende Altersverifikation vorschalten. Die KJM fordert eine persönliche Authentifizierung. In einem Fall wirft sie einem Anbieter vor, Jugendliche in "unnatürlich geschlechtsbetonter Körperhaltung" darzustellen. Zu einer Stellungnahme war die KJM nicht bereit.

Beim Mainzer Softwarehersteller Erodata, dessen Altersverifikationssystem "ueber18.de" ebenfalls im Visier der KJM ist, sieht man den Androhungen der KJM gelassen entgegen. "Die KJM hat bisher noch kein Verfahren gegen ueber18.de eingeleitet", teilte Tobias Huch von Erodata auf Anfrage von heise online mit. Dies müsse über eine Landesmedienanstalt per Bußgeldverfahren passieren. "Falls solch ein Verfahren gestartet werden sollte, werden wir selbstverständlich Einspruch einlegen und einen Prozess bis zu einer höchstrichterlichen Entscheidung durchfechten", kündigte Huch an. Er sieht sich durch ein Gutachten der Uni Leipzig bestätigt. Das Unternehmen teilte überdies mit, dass dann auch überprüft werden müsse, ob die KJM als von Bund und Ländern besetzte Einrichtung überhaupt verfassungsgemäß errichtet worden sei oder ob es sich um eine unzulässige "Mischverwaltung" handle.

Das von der KJM geforderte Authentifizierungs-Verfahren sorgt nach Ansicht von Huch außerdem nicht für eine tatsächliche Verbesserung des Jugendschutzes. Ebenso wie Jugendliche sich unter den Passdaten ihrer Eltern einloggen könnten, könnten sie Mobiltelefone der Eltern benutzen. Erodata kündigte allerdings gleichzeitig an, der KJM durch Nachbesserungen am eigenen System entgegenzukommen. Man werde in dieser Woche Gespräche mit den Jugendschützern führen.

Eine kürzlich vorgestellte Studie in Norwegen, Schweden, Dänemark, Island und Irland zeigt, dass Eltern ein sehr ungenaues Bild davon haben, was ihre Kinder im Netz anstellen. 22 Prozent der befragten 3200 Eltern ging davon aus, dass ihre Kinder nie im Netz sind, nur 3 Prozent der 4700 Kinder bestätigten dies. 8 Prozent der Kinder gaben an, sich auch pornographische Seiten anzusehen; Mütter oder Väter kalkulieren diese Nutzungsvariante dagegen gar nicht ein, liegen allerdings auch bei den Themen Nachrichten und Einkauf im Netz ziemlich daneben. Kinder interessieren sich mehr für Nachrichten, als ihre Eltern annehmen.

"Wir glauben, dass die wichtigste Lektion aus der Umfrage die ist, dass es an einem Dialog zwischen Eltern und Kindern fehlt," teilte die Koordinatorin des von der EU-Kommission geförderten SAFT-Projekts Elisabeth Staksrud auf Anfrage von heise online mit. "Kinder gehen ins Netz und sie tun dies an den unterschiedlichsten Orten auch ohne Überwachung durch Erwachsene." Kontrolle durch technische Filterungen sind nach Ansicht von Staksrud keine Lösung, "sondern eher dazu geeignet, Erwachsenen ein falsches Gefühl von Sicherheit vorzugaukeln". Dies sei umso gefährlicher, als die Studie auch eine kleine, aber hoch bedenkliche Anzahl von Fällen dokumentiert, in denen Erwachsene sich online an Kinder herangemacht hätten.

In Norwegen lautet die Konsequenz laut Staksrud, "alle beteiligten Gruppen koordinieren, damit Wirtschaft, Behörden und NGOs dieselbe Message vertreten: 'Sprecht mit Euren Kindern! Sorgt dafür, dass sie vorsichtig mit persönlichen Daten umgehen und jemand haben, mit dem sie reden können, wenn etwas passiert!'" Gleichzeitig arbeite man an einer Reihe interaktiver Tools für Missbrauchsfälle, zum Beispiel automatisierten Abmahnungen gegen diejenigen, die persönliche Daten speichern. "Kinder sollen online sein, daher ist unser Ansatz nicht Regulierung, sondern Aufklärung und Befähigung zum Selbstschutz", so Staksrud. Sie wird auch bei der Konferenz des Dachverbandes der Europäischen Hotlines, INHOPE, am Donnerstag in Berlin referieren.

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(Monika Ermert) / (anw)