Berliner Piraten "verflüssigen" innerparteiliche Demokratie

Die Berliner Piratenpartei experimentiert mit neuen Demokratiekonzepten. Am Sonntag hat der Landesverband einen Testlauf zur Einführung der "liquid democracy" zur parteiinternen Entscheidungsfindung begonnen.

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Von
  • Torsten Kleinz

Die Berliner Piratenpartei experimentiert mit neuen Demokratiekonzepten. Am Sonntag hat der Landesverband einen Testlauf zur Einführung der "liquid democracy " zur parteiinternen Entscheidungsfindung begonnen.

Mit der Software LiquidFeedback unternimmt die Piratenpartei erste Versuche mit "Liquid Democracy"

(Bild: Piratenpartei)

Bei dem Konzept sollen Elemente der direkten mit denen der repräsentativen Demokratie vereint werden. Jedes Mitglied kann an der Entscheidungsfindung mitarbeiten, seine Stimme abgeben – oder aber seine Stimme an ein anderes Mitglied übertragen. Anders als bei der repräsentativen Demokratie, bei der man einen Abgeordneten wählt und damit für eine bestimmte Zeit Zustimmung oder Ablehnung zu allen Themen in dessen Hände legt, soll diese Stimmübertragung aber nur für einzelne Entscheidungen oder Themenbereiche gelten. Im Zweifel kann der Wähler seinen Repräsentanten durch eine direkte Stimmabgabe übergehen.

Da bisher keine geeignete Plattform zur Umsetzung dieser Entscheidungsprozesse existiert hatte, entwickelte der Berliner Verein Public Software Group die Software Liquid Feedback, die unter der MIT-Lizenz veröffentlicht wurde und später auch bei anderen Vereinen genutzt werden soll. Zu dem Testlauf der Berliner Piraten hatten sich am Sonntag schon in den ersten drei Stunden 100 Parteimitglieder angemeldet.

"Die Piratenpartei hat seit der Europawahl ein massives Mitgliederwachstum verzeichnet", erklärt Andreas Nitsche, Mitentwickler der Software. "Das hat unsere Strukturen strapaziert und uns vor die Frage gestellt, wie wir den Geist der Partei erhalten und Verknöcherung, Hierarchie und Diskursausschluss verhindern." Allein der Berliner Landesverband hat nach eigenen Angaben derzeit zirka 900 Mitglieder, bundesweit gehören der jungen Partei mehr als 11.000 Mitglieder an.

Mit der Einführung des neuen Systems wollen die Berliner Piraten eine "Vergrünung" vermeiden. "In Ortsvereinen der Parteien herrscht zu einem Thema selten eine einzige Meinung – trotzdem haben sie auf Parteitagen nur eine Stimme", erklärt der Vorstandsvorsitzende der Piratenpartei in Berlin, Andreas Baum, im Gespräch mit heise online. Mit LiquidFeedback soll hingegen die "interaktive Demokratie" eingeführt werden.

Verbindliche Entscheidungen werden mit der neuen Software aber vorerst nicht zustande kommen – vielmehr sollen auf der Plattform Anträge für den Landesparteitag Ende Februar vordiskutiert werden. "Bevor ein Antrag auf dem Parteitag eingereicht wird, ist auf diese Weise schon ersichtlich, ob er eine große Anzahl von Unterstützern hat", erklärt Baum. Auf der Plattform können auch schon konkrete Änderungswünsche eingebracht und zur Abstimmung gestellt werden. Damit weniger computerversierte Mitglieder an dem Online-Diskurs teilnehmen können, sollen in den nächsten Wochen Schulungen zur Nutzung der Software stattfinden.

Baum ist zuversichtlich, dass sich das neue Konzept auch mit dem deutschen Parteienrecht vereinbaren lässt – wenn auch mit Einschränkungen: "Geheime Wahlen können in dem System nicht stattfinden", somit sind die Parteitage auch langfristig nicht ganz durch die neue Plattform zu ersetzen. Da die Piraten Wahlcomputern misstrauen, werden nach erfolgter Abstimmung bei LiquidFeedback sämtliche Namen samt Stimme veröffentlicht. Mit dieser Transparenz soll Wahlbetrug vorgebeugt werden. Aus Datenschutzgründen ist aber auch die Nutzung von Pseudonymen zugelassen.

Ob sich das System auch im Streitfall für verbindliche Entscheidungen eignet, bleibt abzuwarten. So fehlen bisher aufwendige Identifikationsmechanismen, wie sie zum Beispiel die Initiative D21 bei Deutschlands erster offiziell gültiger Online-Wahl im Jahr 2003 eingeführt hatte und die rechtlich einer Unterschrift gleichkommen. Ebenfalls muss sich herausstellen, ob die soziale Dynamik einer Partei in der Online-Plattform abgebildet werden kann. (jk)