Die bemannte Raumfahrt am Wendepunkt

Warum Millarden Dollar und womöglich Menschenleben verschwenden, wenn es kein klares Ziel für den weiteren Vorstoß ins All gibt? Wenn wir uns nicht auf eines einigen können, sollten wir es lassen, meint der Raumfahrtexperte Jeff Foust.

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  • Jeff Foust

Warum Millarden Dollar und womöglich Menschenleben verschwenden, wenn es kein klares Ziel für den weiteren Vorstoß ins All gibt? Wenn wir uns nicht auf eines einigen können, sollten wir es lassen, meint der Raumfahrtexperte Jeff Foust.

Die Internationale Raumstation ISS ist eines der aufwändigsten und teuersten Ingenieurprojekte aller Zeiten. Wenn sie 2011 endlich fertig gestellt ist, wird ihr Bau rund 100 Milliarden Dollar verschlungen haben. Aber schon fünf Jahre später soll sie wieder außer Dienst gehen: Dann will die NASA sie nicht mehr in ihrer Umlaufbahn halten, so dass sie durch die Reibung mit Luftmolekülen allmählich tiefer in die Erdatmosphäre absinkt und schließlich abstürzt.

So sieht es zumindest der derzeitige Zeitplan der US-Raumfahrtbehörde vor. Die würde die ISS zwar gerne weiter betreiben, aber deren Finanzierung ist nur bis 2015 gesichert. Sehr zum Verdruss von Wissenschaftlern, die gerade erst anfangen sie zu nutzen, und der ISS-Partnerländer, die ihrerseits Milliarden in die Station hineingesteckt haben. Der weitere Betrieb würde jedoch jährlich zwei bis drei Milliarden Dollar kosten. Ein kontrollierter Absturz ins Meer ist aber auch nicht billig: Er würde wohl noch mindestens zwei Milliarden Dollar verschlingen.

Deshalb kann sich der US-Kongress sich nicht mehr wie bisher durch die Raumfahrtpolitik lavieren: Denn in beiden Fällen muss er viel Geld locker machen. Und die Zukunft der ISS ist nur eins von mehreren heißen Eisen in der bemannten Raumfahrt: Der Betrieb der Space-Shuttle-Flotte wird spätestens im kommenden Jahr eingestellt, so dass die NASA für einige Jahre keine Astronauten mehr ins All schicken kann; die neuen Raumfahrzeuge Ares I – für den Transport der Astronauten in die Umlaufbahn – und die Orion-Kapsel liegen beide mehrere Jahre hinter dem Zeitplan.

Bereits im Oktober 2009 hatte das von Präsident Obama beauftragte Augustine-Komitee einen Bericht zur Zukunft der Raumfahrt vorgelegt. Darin wurden die NASA-Pläne evaluiert und denkbare Alternativen skizziert. Wichtiger noch ist allerdings, dass der Bericht eine Motivation für das Bemannte-Raumfahrt-Programm der NASA benannte. Dessen Ziel sei, „einen Weg für die Ausbreitung des Menschen im Sonnensystem vorzuzeichnen“.

Nun haben NASA und andere Raumfahrtexperten im Laufe der Jahre viele Gründe ins Rennen geführt, warum man Astronauten ins All schickt. Um breite Unterstützung dafür zu bekommen, hatten sie für jeden einen möglichen Gewinn im Angebot. Wissenschaftlicher Fortschritt, strategische Überlegenheit und internationals Prestige waren dabei wichtigsten Versprechungen. Die halten einer genaueren Prüfung allerdings kaum stand. Roboter-Missionen eignen sich längst für wissenschaftliche Experimente im All, zu deutlich geringeren Kosten als bemannte Missionen. Strategische Dominanz haben die USA auch durch Satelliten auf vergleichsweise billigen Einwegraketen erlangt. Die Motive des Kalten Kriegs schließlich haben sich mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion erledigt.

Deshalb sind einige Zeitgenossen zu dem Schluss gekommen, dass es für die bemannte Raumfahrt keine guten Gründe mehr gebe. Zu den Kritikern gehörte etwa James Van Allen, der 1958 den – später nach ihm benannten – Strahlungsgürtel um die Erde entdeckte. 2004 sinnierte er in einem Essay, ob angesichts der Fortschritte in der Robotik „der enorme Einsatz von technischem Talent für die bemannte Raumfahrt und die permanente Möglichkeit, kostbare Menschenleben zu verlieren, wirklich zu rechtfertigen sind“.

Die meisten Raumfahrt-Ingenieure und Astronauten halten freilich nichts von Robotern, weil für sie die bemannte Raumfahrt schon ihr eigener Zweck ist. So wie das Augustine-Komitee glauben sie daran, dass sie am Ende die Besiedlung des Weltraums ermöglichen wird.

So mancher Steuerzahler hingegen hält diese Aussicht für Sciencefiction, wenn nicht gar für ein Hirngespinst. Soll dafür wirklich sein Geld ausgegeben werden? Die Argumentation für die bemannte Raumfahrt ähnelt mehr und mehr der für die Grundlagenforschung: Sie könnte sich eines Tages in einer Weise auszahlen, die wir jetzt noch gar nicht abschätzen können. Nun gilt für hochriskante Unternehmungen per definitionem, dass ihre Erfolgswahrscheinlichkeit nicht sehr hoch ist. Andererseits haben gerade sie zu vielen Erfindungen und Entdeckungen geführt, die historisch und wirtschaftlich von enormer Bedeutung waren.

Wer also eine konsistente, langfristige Raumfahrtpolitik will, muss sich entweder dem Motiv von der Erschließung des Alls anschließen oder einen noch besseren Grund liefern, der alles zusammenbindet. Und zwar schon bald, soll das Bemannte-Raumfahrt-Programm der NASA nicht ins Stocken kommen. Oder in den Worten Augustine-Komitees: „Es sieht so aus, dass das US-Programm der bemannten Raumfahrt sich auf einer nicht nachhaltigen Bahn bewegt.“

Das ist schon länger der Fall. Anfang 2004 präsentierte der damalige Präsident George W. Bush seine weitere Strategie für das US-Raumfahrt-Programm. Eckpunkte waren die Fertigstellung der ISS, das Ende der Shuttle-Flotte 2010, die Entwicklung von Ares I und Orion bis 2014 und die Rückkehr zum Mond bis 2020. Von da sollte es, ohne konkreten Zeitrahmen, weiter zum Mars gehen.

Bush schaffte es jedoch nicht, eine klare, einheitliche Argumentation für diese Pläne vorzulegen – so dass die dafür erforderlichen Mittel nie in vollem Umfang bewilligt wurden. Mit einem kleineren Budget verzögern sich die von Bush anvisierten Projekte aber um Jahre. Ein Beispiel ist die Schwerlastrakete Ares V, die die Ausrüstung für künftige Mondmissionen ins All bringen soll. Nach der bisherigen Planung soll sie Ende der 2010er Jahre fertig sein – dass Augustine-Komitee hingegen rechnet mit ihr nicht vor Ende der 2020er Jahre. Selbst dann würde aber das Geld fehlen, um bis dahin auch die neue Mondlandefähre zu entwickeln.

Machen wir uns aber die Argumentation des Komitees zu eigen, können wir einen vernünftigen Plan aufstellen. Mit einem klaren Ziel vor Augen – der Ausbreitung des Menschen ins Sonnensystem –lässt sich Geld besser zuteilen, Leistung besser überprüfen. Der US-Kongress wird eher eine langfristige Finanzierung bewilligen, wenn klar ist, wozu sie dient und woran sie gemessen werden kann.

Eine der ersten und einfachsten Entscheidungen wäre dann, die Lebensdauer der ISS bis 2020 auszudehnen. Wenn Menschen längere Zeit im All leben und arbeiten sollen, müssen wir die nötigen Technologien und die Menschen selbst auch unter den entsprechenden Bedingungen testen. Die ISS wäre dafür ein ideales Labor. Außerdem hält ihr Fortbestand eine wichtige internationale Partnerschaft für künftige Missionen zusammen.

Ein Problem ist, dass nach dem Ende des Space Shuttles die russische Sojus-Rakete für Jahre das einzige Raumfahrzeug ist, das Astronauten und Material auf die ISS bringen kann. Ares I und Orion stehen laut Plan erst ab 2015 zur Verfügung – das Augustine-Komitee hält 2017 für wahrscheinlicher. Es schlägt deshalb vor, den Transport zur ISS mit privaten Raumfahrtunternehmen abzuwickeln. Die könnten das Shuttle eher ersetzen und dadurch bei der NASA Gelder für die weitere Erkundung des Weltraums freimachen.

Der Augustine-Bericht macht sich außerdem für eine Technologie stark, die die NASA lange Zeit außer Acht gelassen hat: das Betanken im Weltraum. Dann bräuchten wir keine ungeheuer teuren Raketen wie die Ares V, die allein sämtlichen Treibstoff für die Reise zum Mond von der Erde aus mitführen könnte. Mit nachfüllbaren Treibstofftanks könnten die Raketen kleiner ausfallen, während kommerzielle Dienstleister für den Nachschub, vielleicht sogar mit Treibstoff-Depots in der Umlaufbahn, sorgen. Die erforderlichen Technologien könnten schon in wenigen Jahren im Weltraum getestet werden.

Sollte sich die amerikanische Raumfahrt-Gemeinde allerdings auf dieses klare Ziel nicht einigen können, wäre es besser, so schließt das Komitee, nicht länger Geld und womöglich Menschenleben zu verschwenden. Dann sollte man ganz aufhören, Menschen ins All zu schießen: „Die Bemannte Raumfahrt ist an einem Wendepunkt: Entweder werden weitere Mittel bereitgestellt, oder das Programm, das zuerst von Präsident Kennedy angestoßen wurde, muss aufgegeben werden – jedenfalls bis auf weiteres.“

Jeff Foust ist Chefredakteur und Herausgeber des Magazins The Space Review. (nbo)