Revolution auf der Schiene

"Unternehmen Zukunft": Wenn der Bahn-Slogan irgendwo berechtigt ist, dann in China. Im Dezember wurde dort die schnellste Bahnlinie der Welt eröffnet – und bis Ende des Jahrzehnts soll das Streckennetz für Hochgeschwindigkeitszüge auf 16.000 Kilometer ausgebaut werden.

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Von
  • Peter Fairley

"Unternehmen Zukunft": Wenn der Bahn-Slogan irgendwo berechtigt ist, dann in China. Im Dezember wurde dort die schnellste Bahnlinie der Welt eröffnet – und bis Ende des Jahrzehnts soll das Streckennetz für Hochgeschwindigkeitszüge auf 16.000 Kilometer ausgebaut werden.

China drückt beim Ausbau seiner Wirtschaft überall mächtig auf die Tube. Nun auch im Schienenverkehr: Im Dezember wurde mit der 968 Kilometer langen Verbindung zwischen Wuhan im Inland und der Hafenstadt Guangzhou die schnellste Bahnlinie der Welt gestartet. In ersten Tests erreichte der Hochgeschwindigkeitszug der WuGuang-Linie eine Spitzengeschwindigkeit von 394 Kilometern pro Stunde. Dank einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 312 km/h hat sich die Fahrzeit von 10,5 auf drei Stunden verkürzt.

Damit stößt die WuGuang-Linie den bisherigen Spitzenreiter, den Streckenabschnitt zwischen Lothringen und Champagne, vom Podest. Dort erreicht der französische TGV im Schnitt 272 km/h. Die beiden bisherigen Hochgeschwindigkeitsstrecken in China können erst recht nicht mithalten: Zwischen Peking und Tianjin verkehren die Züge mit durchschnittlich 230 km/h, und auch der Magnetschwebe-Shuttle vom Flughafen ins Zentrum von Shanghai erreicht nur 251 km/h (trotz einer Spitzengeschwindigkeit von 430 km/h).

Die Zugtechnik, die in China eingesetzt wird, unterscheide sich zwar nicht besonders von TGV, ICE oder dem japanischen Shinkansen, sagt Rongfang Liu, Eisenbahn-Expertin am New Jersey Institute of Technology. Bemerkenswert sei aber, dass die WuGuang-Linie nicht alte Bahntrassen modernisiert, sondern über Hunderte von Kilometern von Grund auf neu angelegt wurde. Wie auf einigen ICE-Strecken hierzulande werden natürliche Hindernisse mit Tunneln und Brücken eingeebnet.

Und die WuGuang-Linie wird nur der Anfang sein: Nach dem vom Eisenbahnministerium 2006 erarbeiteten Plan soll bis 2020 das Streckennetz für Hochgeschwindigkeitszüge auf 16.000 Kilometer erweitert werden und alle wichtigen Städte miteinander verbinden. Rund zwei Billionen Yuan (gut 200 Milliarden Euro) lässt die chinesische Regierung sich die Aufrüstung des Bahnnetzes kosten. Die erste Ost-West-Linie zwischen Xi’an und Zhengzhou soll in diesem Monat den Betrieb aufnehmen, die Peking-Tianjin-Linie bis 2012 nach Shanghai verlängert werden. Die WuGuang-Linie wiederum wird bis 2013 nach Norden bis Hongkong weitergeführt. „In den nächsten fünf Jahren werden in China mehr Hochgeschwindigkeitsstrecken entstehen als im Rest der Welt zusammen“, sagt Keith Dierkx, Direktor des Global Rail Innovation Center von IBM in Peking.

Mit den Hochgeschwindigkeitszügen wolle China sein Transportnetz auf saubere Art und Weise ausbauen, betont Dierkx. Der Ausbau ist zum einen nötig, weil sich das Passagieraufkommen in China bis 2020 wohl auf jährlich fünf Milliarden verdreifachen wird. Zum anderen will das Reich der Mitte seine Abhängigkeit von importiertem Öl für Flug- und Autoverkehr nicht weiter verschärfen. Zudem werde auch der Güterverkehr in China von den neuen Linien profitieren, weil die existierenden entlastet würden, sagt Dierkx.

Ein derartiger Ausbau der Infrastruktur erfordert gewaltige Ingenieurleistungen. Allein die WuGuang-Linie hat 625 Brücken, die zusammen 362 Kilometer lang sind, sowie 221 Tunnel mit einer Gesamtlänge von 177 Kilometern. Die Baukosten der Linie beliefen sich denn auch auf stolze 116 Milliarden Yuan (11,7 Mrd. Euro). Die Erweiterung der Peking-Tianjin-Trasse nach Shanghai wird fast doppelt so viel kosten – und mit 221 Milliarden Yuan (22,3 Mrd. Euro) teurer als der umstrittene Drei-Schluchten-Staudamm sein.

Fachleute gehen aber davon aus, dass die Baukosten unter anderem durch niedrigere Betriebskosten wieder hereinkommen. Die Gleisbetten sind sämtlich aus Beton gegossen. Die Technik dazu liefern die deutschen Firmen RAIL.ONE und Max Bögl. Betontrassen haben den Vorteil, dass vor allem an den Zügen keine Schäden durch aufgewirbelten Schotter entstehen. Die Abnutzung der Räder ist ebenfalls geringer, weil sich die Schienen nicht so stark wie in herkömmlichen Gleisbetten mit Holzschwellen verschieben.

Damit die Züge bei den enormen Geschwindigkeiten auch sicher fahren, investiert China in modernste Steuertechnologien. Das IBM-Center in Peking entwickelt etwa Laserscanner, die, auf die Züge montiert, den Zustand der Gleise überwachen. Hinzu kommen Software für die Fehlererkennung, Sensoren auf Brücken und in Tunneln sowie dynamisch erstellte Fahrpläne. Die sollen dafür sorgen, dass die Züge ihre Geschwindigkeit möglichst selten drosseln müssen.

Die USA – bislang nicht als Eisenbahn-Wunderland bekannt – könnten vom chinesischen Bahnboom profitieren. Denn dessen Umfang dürfte langfristig die Baukosten für Hochgeschwindigkeitsstrecken senken. „Für die USA sind die Innovationen, die weltweit gemacht werden, von Vorteil“, ist sich Dierkx sicher.

Nach Jahrzehnten der Stagnation sind dort erste Anzeichen für ein Umdenken beim Eisenbahnausbau zu erkennen. Die California High Speed Rail Authority (CHSRA) finanziert derzeit aus einem Paket von Staatsanleihen – vom Wähler abgesegnet – den Entwurf einer Hochgeschwindigkeitsstrecke von Los Angeles über San Francisco nach Sacramento. Länge: 1270 Kilometer. Dadurch will Kalifornien nach Prognosen der CHRSA bis 2030 5,5 Millionen Tonnen CO2 im Jahr einsparen. Das wäre immerhin ein Zwanzigstel der derzeitigen CO2-Emissionen des Bundesstaates .

US-Präsident Obama hat einen Hochgeschwindigkeitsbahn-Konzept vorgeschlagen, für das der Kongress acht Milliarden aus dem amerikanischen Konjunkturpaket bewilligt hat. Und die Bahngesellschaft Amtrak will endlich die Strecke zwischen Boston und New York in Angriff nehmen. „Plötzlich sind die finanziellen Mittel da“, freut sich der frühere CHSRA-Vorsitzende Rod Diridon. (nbo)